Ist die Energiewende eine Gefahr für unsere Versorgungssicherheit?
Probleme gibt es weniger im Stromsektor, sondern in den Bereichen Wärme und Verkehr
In der Diskussion um die Energiewende taucht immer wieder die Befürchtung auf, die Energiewende würde unsere Versorgungssicherheit bedrohen. Meist wird hierbei der zunehmende Anteil von Stromeinspeisungen aus Windenergie und Photovoltaik betrachtet, der naturgemäß entsprechend den Wetterbedingungen fluktuiert und sich nicht nach dem Strombedarf richtet.
In der Tat ist bekannt geworden, dass die Übertragungsnetzbetreiber inzwischen einiges mehr als früher zu tun haben, um den Betrieb der Stromnetze stabil zu halten. Dies liegt teilweise daran, dass insbesondere in Zeiten mit starkem Wind gewisse Regionen bereits deutlich mehr Strom erzeugen, als sie verbrauchen, während der Ausbau der Stromnetze für einen Transport zu entfernteren Verbrauchern noch nicht weit gediehen ist. Man kämpft also gelegentlich mit einem Überschuss an Erzeugung, nicht etwa mit einem Mangel. Ein anderes Problem ist, dass die tatsächliche Erzeugung von Wind- und Sonnenstrom nicht exakt den Prognosen vom Vortag folgt, sodass sogenannte Ausgleichsenergie benötigt wird.
Obwohl die genannten Herausforderungen durchaus real sind, folgt daraus nicht, dass die Versorgungssicherheit bedroht wäre - sondern allenfalls, dass sie zukünftig bedroht würde, wenn nicht geeignete zusätzliche Maßnahmen ergriffen würden.
Hierfür gibt es eine ganze Reihe von Möglichkeiten, insbesondere den Ausbau der Stromnetze (vor allem einige zusätzliche interregionale Leitungen) und die Entwicklung des restlichen Kraftwerksparks hin zu mehr Flexibilität. Des Weiteren können verbesserte Erzeugungsprognosen und zusätzliche Energiespeicher hilfreich sein; letzteres ist freilich meist kostspieliger als Netze.
Was die Kraftwerkskapazitäten betrifft, kümmert sich die Bundesnetzagentur darum, dass eine ausreichend große Kaltreserve für unvorhergesehene Engpässe im Winter aufrechterhalten wird. Von dort hört man übrigens keineswegs, dass man eine hohe Versorgungssicherheit zukünftig nicht mehr gewährleisten könne, sondern nur, dass dafür geeignete Maßnahmen ergriffen werden müssen.
Daher ist damit zu rechnen, dass unsere Versorgungssicherheit weiterhin höher bleiben wird als in anderen Ländern ohne Energiewende, beispielsweise in den USA. Am ehesten wirkt erschwerend, dass gewisse populistische Politiker den Ausbau der Netze torpedieren, also ausgerechnet den kostengünstigsten Lösungsansatz. Wenn hierdurch der nötige Konsens nicht zustande kommt, werden wesentlich teurere Lösungen nötig werden.
Interessanterweise wird selten thematisiert, dass ein inzwischen häufiger auftretendes Überangebot an Strom auch mit dem Betrieb von Braunkohlekraftwerken zusammenhängt. Diese sind technisch nicht für eine flexible Anpassung an den Bedarf geeignet und werden deswegen oft viele Stunden lang betrieben, ohne dass ihr Strom überhaupt benötigt würde. Dies ist keineswegs ein geringfügiger Zusatzbeitrag zum genannten Problem, sondern ein erheblicher Faktor. In Deutschland werden zur Zeit rund 20 bis 25 Gigawatt in konventionellen Kraftwerken erzeugt, die man in Zeiten ohne Bedarf nicht einfach abstellen kann. Dies ist nicht wenig im Vergleich zu 34 Gigawatt theoretischer Maximalleistung aus Windenergie (bei vollem Wind gleichzeitig an allen deutschen Standorten, Stand 2013). Trotzdem hört man kaum je, dass Braunkohlekraftwerke vom Netz genommen werden sollten, um eine Überproduktion zu vermeiden und so die Netze zu stabilisieren.
Nicht vergessen werden sollte, dass die Versorgungssicherheit keineswegs nur an der technischen Verfügbarkeit von Kraftwerken hängt. Auch verfügbare Brennstoffmengen können limitierend wirken, und indem die Energiewende die Abhängigkeit von importierten Brennstoffen reduziert, kommt sie auch der Versorgungssicherheit in diesem Sinne zugute.
Freilich könnte man einwenden, dass häufig von einem erhöhten Einsatz von flexiblen Gaskraftwerken die Rede ist, um fluktuierende erneuerbare Energien besser ergänzen zu können. Dies erscheint zunächst problematisch, nachdem die Versorgung mit Erdgas heikler ist als diejenige mit Kohle oder Uran. Allerdings darf man nicht übersehen, dass Deutschland weitaus mehr Gas in Heizungen verbrennt als in Kraftwerken. Wer also die Gasversorgung als prekär ansieht, müsste sich in erster Linie um die größten Verbrauchssektoren kümmern, d. h. vor allem die energetische Sanierung von Gebäuden und die Energieeffizienz in der Industrie vorantreiben. Dann ließe sich auch mehr Spielraum für etwas mehr Erdgas im Stromsektor gewinnen.
Übrigens ist keineswegs ausgemacht, dass die Energiewende langfristig mehr Erdgas erfordert. Der Ausgleich von Angebot und Nachfrage muss nämlich nicht unbedingt durch flexible Kraftwerke erfolgen. Das langfristig kostengünstigere Mittel sind verstärkte Stromnetze, die diesen Ausgleich nicht zeitlich, sondern räumlich vornehmen, und zwar meist mit geringeren Energieverlusten, als sie bei der Speicherung auftreten.
Gleichzeitig können solche Netze auch bereits vorhandene riesige Speicherkapazitäten in Norwegen besser erschließen, und genau dies ist bereits im Gange. Im Skagerrak zwischen Dänemark und Norwegen werden derzeit die Verbindungen auf eine Leistung von 1,64 Gigawatt verstärkt, sodass beispielsweise Dänemark und Deutschland bei schwachen Winden Strom aus norwegischen Speicherkraftwerken beziehen können, während man zeitweilige Windstromüberschüsse in Norwegen verwendet, um das Wasser für spätere Zeiten aufzusparen. Langfristig könnten es sogar Dutzende von Gigawatt an Verbindungskapazitäten werden.
Norwegen ist auf dem Weg, zur Batterie Mitteleuropas zu werden, womit ein wesentlicher Beitrag zur Versorgungssicherheit bei steigendem Anteil erneuerbarer Energien auf kostengünstige und robuste Weise erreicht wird.
Das eigentliche Problem liegt nicht im Stromsektor
Eigentlich unübersehbar ist der Umstand, dass der Stromsektor keineswegs derjenige ist, in dem die Versorgungssicherheit besonders schwierig zu gewährleisten wäre. Insbesondere der Verkehrssektor, soweit er nicht elektrifiziert ist (hauptsächlich im Bereich der Bahnen), ist zu einem sehr hohen Grad auf Kraftstoffe angewiesen, die auf absehbare Zeit zum Großteil nur aus Erdöl gewonnen werden können. Das Potenzial von Biokraftstoffen ist nämlich bei weitem zu begrenzt, um daran grundlegend etwas zu ändern.
Auch der Wärmesektor, betreffend vor allem Heizungen und Industrie, ist in hohem Maße von Erdgas und Erdöl abhängig. Anders als beim Strom ist nicht erkennbar, wie in diesen Sektoren drohende Engpässe - beispielsweise im Falle einer Ausweitung der Krise mit Russland - durch eine Substitution bewältigt werden sollten. Auf Dauer wird der Wärmesektor zwar mit dem Stromsektor stärker verbunden werden; insbesondere wird man voraussichtlich mehr Wärme mit Wärmepumpen erzeugen. Eine effektive Problemlösung wird jedoch wohl voraussetzen, dass der Wärmebedarf insgesamt stark reduziert wird. Dies ist im Prinzip auch möglich, nachdem der heutige Gebäudebestand etliche mal mehr Wärme verbraucht, als es technisch unvermeidbar ist. Neubauten sind hier bereits bei weitem besser. Nur erweist es sich als eine Herkulesaufgabe, den Gebäudebestand innerhalb eines vernünftigen Zeitraums effektiv zu sanieren.
Hier bestehen also massive Bedrohungen der Versorgungssicherheit, die nur mit mühsamer Arbeit über viele Jahre reduziert werden könnten. Unsere Politik hat allerdings, obwohl sie dauernd von der Energiewende spricht, eine Wärmewende und Verkehrswende bisher nicht ernsthaft eingeleitet.
Wer thematisiert die Versorgungssicherheit, und warum?
Interessanterweise befassen sich konservative Politiker, die besonders häufig vor Problemen mit der Versorgungssicherheit warnen, mit den genannten Problemen im Verkehrs- und Wärmesektor anscheinend am liebsten gar nicht. Im Gegenteil arbeiten sie häufig gegen Verbesserungen durch schärfere Verbrauchsvorschriften bei Autos und Gebäuden, wollen keine Mittel für eine beschleunigte energetische Sanierung des Gebäudebestands aufbringen und stemmen sich allgemein gegen engagierte Ziele beim Streben nach mehr Energieeffizienz.
Gleichzeitig werden neue Straßen gefordert, und die Zunahme des Flugverkehrs wird durch Subventionen für zusätzliche Flughäfen gar noch beschleunigt. Ein allgemeines Tempolimit auf Autobahnen, welches den Ölverbrauch reduzieren und noch etliche Leben retten würde, lehnen sie ebenfalls ab.
All dies verschlimmert die Abhängigkeit vom Erdöl natürlich noch weiter, und ein Mittel dagegen findet sich unter diesen Voraussetzungen nicht - höchstens Alibi-Maßnahmen wie das Ergänzen des Fahrzeugbestands durch ein paar wenige Elektroautos. Umso willkommener ist offenbar die Möglichkeit, von den eigentlichen Problemen abzulenken auf die angeblich so großen Gefahren der Energiewende, die man deswegen einfach ausbremsen müsse.
Dr. Rüdiger Paschotta ist Physiker und Autor des RP-Energie-Lexikons.
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