Ist die Quantentheorie des Bewusstseins Humbug?
Schonungslose Kritik des Hameroff-Penrose-Modells durch Neurobiologen
Wie Telepolis berichtete, stand unlängst auf dem Symposium "Das Rätsel des Bewusstseins" in Luzern die Quantenphysik des Bewusstseins im Mittelpunkt einer erkenntnistheoretischen Debatte: Deren Vertreter, Roger Penrose und Stuart Hameroff, diskutierten mit Anton Zeilinger, Peter Weibel und Otto E. Rössler über realistische und konstruktivistische Interpretationen der Quantenwelt(en). Nun melden sich die Neurobiologen zu Wort: Die ganze Theorie sei "unbrauchbar" (Marco C. Bettoni), ihre Vertreter hätten "keine blasse Ahnung" (Gerhard Roth), ja, sie erzählten gar einen "hanebüchenen Stuss" (Thomas Metzinger). - Ein Lehrstück in Sachen naturwissenschaftlicher Kontingenz?
Um es vorwegzunehmen: Der Autor ist kein Naturwissenschaftler. Und: Er vertritt einen tendenziell (sprich: graduell) konstruktivistischen Standpunkt im Erkenntnisproblem. Zwei Gründe, warum dem Leser hier nicht vermittelt werden wird, wer nun Recht hat, die Wahrheit spricht oder die Wirklichkeit beschreibt. Fest steht nur: Die Quantentheorie des Bewusstseins ist entweder Humbug oder Geniestreich, mystische Themenverfehlung oder profunde Welterklärung, dumpfe Esoterik oder handfeste Empirie.
Noch einmal zu der einen Seite: Der amerikanische Bewusstseinsforscher Stuart Hameroff und der britische Mathematiker Roger Penrose haben in den neunziger Jahren eine Theorie entwickelt und vorgestellt, wonach sich Bewusstsein durch den Kollaps der Wellenfunktion in den Mikrotubuli des Gehirns erklären ließe (zentrale Forschungsergebnisse hier). Ein bewusstes Ereignis entstehe, wenn sich dieser Kollaps der Wellenfunktion in vielen Neuronen über das gesamte Gehirn verteilt "global und holistisch" einstelle. Hameroff und Penrose sprechen von einer "orchestrierten objektiven Reduktion" (der Quantenwelt in die klassische Welt). Fragt sich nur: Wer ist der Dirigent dieses Orchesters?
Quantenprozesse für Bewusstsein irrelevant?
Es gibt nicht nur keinen Dirigenten, sondern nicht einmal Quantenzustände im Gehirn, die auch nur irgend etwas mit der Emergenz von Bewusstsein zu tun hätten, kontert kein geringerer als Gerhard Roth vom Institut für Hirnforschung der Universität Bremen, u.a. Autor des vielbeachteten Buches "Das Gehirn und seine Wirklichkeit" (Frankfurt am Main, 1994):
Es gibt nicht den geringsten Hinweis dafür, dass Quantenprozesse im Gehirn auf der Ebene, die für die Funktionen des Gehirns im Zusammenhang mit Wahrnehmung, Kognition, Emotion und Motorik wichtig sind, eine Rolle spielen. Bei diesen Funktionen sind immer Millionen, wenn nicht Milliarden von Nervenzellen und Milliarden von Synapsen aktiv, und das Ganze ist ein klar makrophysikalisches Geschehen. Die einzigen Ansatzorte', an denen überhaupt Quantenprozesse eine Rolle spielen könnten, wären der Ausstoß von Transmitter-Molekülen an der erwähnten Synapse und das genaue zeitliche Auftreten eines singulären Aktionspotentials. Beide physiologischen Prozesse - so hat der bekannte Tübinger Neurobiologe Prof. Kirschfeld (MPI für Biologische Kybernetik) nachgerechnet - liegen um mindestens eine Größenordnung über quantenphysikalischen Geschehnissen.
Gerhard Roth
Durchaus pikant ist Gerhard Roths Nachsatz:
"Mir scheint, dass die erwähnten Personen keine blasse Ahnung von zellulärer und suprazellulärer Neurophysiologie haben (Prof. Penrose gibt dies auf Anfrage auch zu)."
Thomas Metzinger von der Universität Mainz, u.a. Herausgeber des Kompendiums "Bewußtsein. Beiträge aus der Gegenwartsphilosophie" (1996), bemerkt ebenfalls, dass "das ganze Penrose/Hameroff-Zeug nicht funktioniert". Er bezeichnet das Modell als "hanebüchenen Stuss" - der Rest ist nicht zitabel. - Für den Wissenschaftsjournalisten oder Laien stellt sich mittlerweile langsam die Frage, ob es hier um Graben- und Verteilungskämpfe bzw. natürliche Rivalitäten zwischen (Neuro-)Biologen und (Quanten-)Physikern geht, ob hier wirklich ein Streit um ein kontroverses Modell entbrannt ist oder ob Penrose und Hameroff nicht am Ende doch einfach mystisches Zeugs daherreden.
Reduziert Quantenphysik Menschen zu Maschinen?
Marco C. Bettoni von der Fachhochschule Basel ist weder Biologe noch Physiker, sondern Experte für Künstliche Intelligenz. Auch er bemerkt:
Eine rein physikalische Erklärung des Bewusstseins, wie sie Penrose vertritt, erscheint mir nur in einzelnen, isolierten Punkten interessant, aber gesamthaft als unbrauchbar. Was grundsätzlich fehlt, ist meiner Ansicht nach die Berücksichtigung der Unterscheidung 'Maschine/Organismus (= sich selbst organisierendes Lebewesen)'. Die Grundlage der Willensfreiheit etwa liegt meiner Ansicht nach in der für das Organische/Biologische charakteristischen Autonomie. Somit ist für mich die 'Gebundenheit von Bewusstsein an lebende Systeme', die Hameroff erwähnt hat, kein Rätsel, sondern die wichtigste notwendige Bedingung.
Marco C. Bettoni
Wer glaubt, dass man in Fachzeitschriften wie etwa dem "Journal of Consciousness Studies" schlauer werden würde, der irrt: Dort wirbt man sogar mit dem anhaltenden Konflikt um das Hameroff/Penrose-Modell um neue Leser. In einer Annonce mit dem Übertitel "Microtubules and the Mind" heißt es:
"Rick Grush and Patricia Churchland described the Penrose-Hameroff theory of quantum coherence in microtubules as 'no better supported than any one of a gazillion caterpillar-with-hookah hypotheses', to which Penrose & Hameroff reply:
It's not that we're in Wonderland
But p'raps their heads are in the sand."
Nachsatz: Auf dem Luzerner Symposium "Das Rätsel des Bewusstseins" attackierte einmal der österreichische Philosoph Josef Mitterer sanft die anwesenden Physiker: ob es denn wirklich diese Einheitlichkeit in Bezug auf angeblich zurecht vertretene und sich irrende bzw. abweichende Theorien gäbe, fragte er. Darauf antwortete der Quantenphysiker Anton Zeilinger sinngemäß: Das Problem, dass beliebige Theorien für gültig erklärt werden könnten, sei eines der Geisteswissenschaften. Seine Position blieb unwidersprochen.