Ist die deutsche Autoindustrie noch zu retten?

Bild: Pixabay License

Die Energie- und Klimawochenschau: Vom bevorstehenden und selbstverschuldeten Niedergang einer deutschen Schlüsselindustrie

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Wie wäre es mit einem Pkw, der auf der Stelle drehen kann? Die deutschsprachige Ausgabe von Technology Review schreibt über einen japanischen Hersteller, der demnächst einen Radnabenmotor auf den Markt bringen will.

Mit dem könnten dann alle vier Räder einzeln angesteuert werden, sodass sie sich in unterschiedlichen Richtungen drehen. Das mit ihnen ausgestattete Auto könnte seitwärts in die Parklücke fahren oder auch auf der Stelle wenden.

Das sind natürlich nur nette Spielereien. Aber ein Radnabenmotor würde nicht nur Gewicht für Getriebe, sondern auch für das Lenkgestänge sparen, außerdem die herkömmlichen Motor- und Antriebskonzepte über den Haufen werfen und damit die ganze Automobilproduktion umkrempeln.

Nidec, ein Unternehmen mit 45 Jahren Erfahrung in der Entwicklung und Miniaturisierung von Motoren ist ziemlich zuversichtlich, dass es schon in wenigen Jahren in Massenfertigung gehen und der alten Industrie das Fürchten lehren wird. Diese wird nämlich den Vorsprung der Japaner kaum aufholen können, so Nidecs Prognose. Das Unternehmen hat schon einmal etwas ähnliches bei der Herstellung von Motoren für CD-Laufwerke erlebt.

Bisher sind das alles natürlich nur Ankündigungen, vielleicht auch ein wenig Prahlereien, und hierzulande ist man ja ziemlich groß darin, überheblich auf Neuerungen herab zu sehen. Viel zu lange war die deutsche Automobilindustrie damit beschäftigt, ihre Ingenieure ausgetüfftelte Abgasbetrügereien entwickeln zu lassen und die Politik von bindenden Vorgaben für die Verbrauchs- und Emissonsminderungen abzuhalten.

Entsprechend läuft man nun der Entwicklung hinterher. Noch heute wagt es niemand, mit den Vorständen von VW, BMW und Daimler Tacheles zu reden und ein fixes Ende für den Verbrennungsmotor festzulegen.

Keine Wende in Sicht

Letzteres würde Planungssicherheit für die Unternehmen und einen heimischen Markt bedeuten, auf dem Neuentwicklungen abgesetzt werden könnten. Doch die bisherigen Konzepte von VW & Co. sehen eher danach aus, dass man Elektroautos exportieren und zuhause möglichst lange die alten Stinker verkaufen will.

Und eine grundsätzliche Wende ist ohnehin nicht in Sicht. Denn natürlich kann das E-Auto allein nicht die Alternative sein. Weltweit ziehen immer mehr Menschen in die Städte, und die sind voll. Dort beanspruchen Privatautos viel zu viel des knappen Guts "öffentlicher Raum". Und sie verbrauchen viel zu viel Energie und andere Ressourcen.

Denn natürlich ist auch die Produktion von Elektroautos ziemlich energieaufwendig. Die verwendeten Materialien wie das Kupfer für die Motoren oder das Lithium für die Akkus sind endlich und sollten zuerst eher für Elektrobusse, Bahnen, Taxen, Krankenwagen, LKW und andere Fahrzeuge des öffentliche Bedarfs eingesetzt werden.

Es kriselt schon

Aber vielleicht muss erst die große Krise kommen, bevor umgesteuert werden kann. In Indien sind seit April bereits 350.000 Autoarbeiter auf die Straße geworfen worden, wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtet. Besonders betroffen sind die Zulieferer, darunter auch die deutschen Unternehmen Bosch und ZF mit ihren indischen Niederlassungen.

Ursache ist ein Absatzrückgang bei Pkws und Motorrädern auf dem Subkontinent. Auch auf dem inzwischen weltweit größten Markt für Autos, dem chinesischen, zeigt sich inzwischen eine Sättigung. Mit 23,271 Millionen wurden 2018 etwas weniger Pkw als im Vorjahr verkauft. Das war übrigens der erste - leichte - Rückgang seit 1990.

Schon 2017 war das Wachstum deutlich abgeflacht; zusammen deuten beide Jahre auf eine längerfristige Sättigung hin. 2019 läuft der Verkauf bisher ebenfalls eher schleppend. Hinzu kommt, dass in China aufgrund der staatlichen Förderungs- und Quotenpolitik der Absatz von Elektroautos rasant zunimmt.

2018 wurden dort bereits 1,1 Millionen Elektroautos plus 60.000 elektrischer Transporter verkauft. Das entsprach einem Marktanteil von 4,2 Prozent, der aber - wie die Monatszahlen zeigen - rasch weiter wächst. 2019 könnten es bereits 1,8 Millionen verkaufte Elektro-Pkw sein.

Verstaatlichung?

Doch wie bekommt man die deutsche Autoindustrie dazu, sich vom Verbrennungsmotor zu verabschieden und die Produktion auf den öffentlichen Verkehr auszurichten? Ob sich wohl deutsche Gewerkschafter, wenn die Krise erst richtig zuschlägt, ein Beispiel an ihren nordirischen Kollegen nehmen?

Im dortigen Belfast haben Arbeiter einer einst riesigen Traditionswerft ihren Betrieb besetzt. Die Konkursverwalter sind ausgesperrt und der Abtransport von Maschinen und Material wird verhindert. Ihre Forderung an die Regierung in London: Verstaatlicht unser Unternehmen und stellt es auf erneuerbare Energie um.

Wie laut die Krise bereits an die Türe der deutschen Automobilbranche klopft, zeigen auch die Vorbereitung zur Internationale Automobilausstellung vom 10. bis zu 15. September in Frankfurt - Klimaschützer wollen sie mit Protestaktionen und Blockaden begleiten, aber das ist eine andere Geschichte.

Krisen-IAA

Der Stern schrieb schon vor einigen Monaten, dass es Absagen hagele. Aus Japan und Frankreich werde kein einziger Hersteller kommen, deutsche Anbieter reduzieren ihre Präsenz erheblich. Der Focus sprach vor zwei Wochen von einer Krisen-IAA.

Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) weist ebenfalls auf den Bedeutungsverlust der Messe hin, die einst eine der wichtigsten in der globalen Autowelt war, und spricht davon, dass der deutschen Autoindustrie das Nokia-Schicksal drohe. Der finnische Handyproduzent hatte einst die Einführung des Smartphones verschlafen und ist daraufhin untergegangen.

Unter den 20 weltweit meistverkauften E-Autos sei kein einziges deutsches, so die DUH. Stattdessen solle auf der IAA auf 4.000 Quadratmetern mitten in Frankfurt ein Off-Road-Parcours für SUV errichtet werden. Um den Menschen zu erklären, weshalb sie in den Städten mit panzerähnlichen Geländewagen herumfahren müssen.

"Als gebe es keine sterbenden Wälder, schmelzenden Gletscher und vergiftete Luft in den Innenstädten, zelebrieren die deutschen Autokonzerne mit dem SUV als Stadt-Geländewagen das wohl absurdeste Mobilitätsangebot auf deutschen Asphaltstraßen", so die DUH.

Deutsche Hersteller könnten Interessenten, so die DUH, derzeit nur drei Elektroautos anbieten. Neben dem BMW i3 seien dies zudem auch noch zwei "sündhaft teure" SUV. Dennoch gibt es Leute, die BMW für einen Elektro-Pionier halten.

Verkorkste Industriepolitik

Die DUH spricht von einer gescheiterten Industriepolitik und einem industriepolitischen Desaster. Statt neue elektrische Mittelklassewagen anzubieten, würden sich die hiesigen Hersteller einen absurden Wettbewerb um den größten und längsten SUV liefern.

Die Autokonzerne sollten einen radikalen Modellwechsel vollziehen und freiwillig auf SUVs verzichten. Die dadurch freiwerdenden Ingenieure sollten lieber Elektrobusse und elektrische Nutzfahrzeuge entwickeln.

Wenn die Bundesregierung BMW, Daimler und VW keine Radikalkur in Richtung Zukunftsfähigkeit und Umstieg auf alternative Antriebe verordnet, werden diese in wenigen Jahren nur mehr ein Nischendasein als Hersteller für Oldtimer-Ersatzteile spielen. Der Rückstand auf die führenden Hersteller von batterieelektrischen Modellen beträgt zwischenzeitlich fünf bis sieben Jahre. Die Digitalisierung scheitert im analogverliebten Deutschland bereits am fehlenden Tempolimit.

Jürgen Resch, DUH-Bundesgeschäftsführer

Die DUH hat angesichts der Misere einen 12-Punkte-Plan zur Rettung der deutschen Automobilindustrie mit ihren über 800.000 Arbeitsplätzen vorgelegt. Darin wird gefordert, dass noch vor der IAA der Öffentlichkeit und den elf Millionen Diesel-Pkw-Besitzern alle Details über die verbauten Abschalteinrichtungen offengelegt werden.

Außerdem sollen die Autokonzerne ihr Einverständnis erklären, dass die zuständigen Behörden und Ministerien alle Akten und Messprotokolle über den Dieselskandal veröffentlichen. Dies werde bisher trotz anderslautender Gerichtsurteile verhindert. Schließlich sollen sich die Hersteller noch vor der IAA verpflichten, alle betroffenen elf Millionen Pkw kostenlos nachzurüsten.

Von der Bundesregierung wird unter anderem verlangt, von allen Herstellern und Importeuren ein Strafgeld von 5.000 Euro pro Betrugsdiesel zu erheben und die Diesel-Subventionen einzustellen. Ab 2025 sollten keine neuen Pkw mit Verbrennungsmotor mehr zugelassen werden und ein Tempolimit von 120 Kilometer pro Stunde auf den Autobahnen sowie von 80 Kilometer pro Stunde auf den Landstraßen eingeführt werden. Die Verbraucher werden zu einem "Verbrenner-Fasten" aufgerufen, also dazu, keine neuen Diesel- oder Benzin-Pkw mehr zu kaufen.

Willkommen im Peak-Oil-Club

Neben dem Klimawandel ist auch die Endlichkeit des Erdöls ein wichtiger Grund, weshalb der Verbrennungsmotor schon bald ein Fall für das Museum sein wird. Die Liste der Länder, die ihr Fördermaximum schon hinter sich und mit abnehmender Produktion zu kämpfen haben, wird immer länger.

Unter anderem Mexiko, Vietnam, Argentinien, Norwegen, Großbritannien, Syrien, Kolumbien, Venezuela und Dänemark gehören diesem Club der Peak-Oil-Länder an. Eines der jüngsten Mitglieder ist China. Das Land ist der weltweit größte Importeur von Rohöl, deckt aber zusätzlich knapp 30 Prozent des Bedarfs mit der Förderung im eigenen Land ab.

Dieser Anteil geht in den letzten Jahren aufgrund der steigenden Nachfrage und den Grenzen der eigenen Ressourcen kontinuierlich zurück. Chinas Inlands-Ölproduktion hat nach mehr als 40 Jahren Wachstum 2015 ihren historischen Höhepunkt erreicht und seit dem um knapp 12 Prozent abgenommen.

Abgesehen von diesem langfristigen Trend geht zurzeit die Förderung in den OPEC-Ländern seit Ende 2018 deutlich zurück, was eines der vielen Zeichen für eine schwächelnde Weltwirtschaft sein dürfte. Im Juli war der tägliche Ausstoß der Pumpen in den Ländern des Förderkartells rund acht Prozent niedriger als im vierten Quartal 2018.

Damit konnte der Ölpreiszunächst aus dem Tal geholt werden, in das er im Dezember 2018 gestürzt war, aber seit April zeigt der Trend wieder nach unten. Ein Fass der US-Standartsorte WTI kostet derzeit 55,40 US-Dollar, für die gleiche Menge des europäischen Standards Brent muss 59,17 US-Dollar ausgegeben werden.

Damit ist der Preis offensichtlich für viele US-Firmen, die unkonventionelle Lagerstätten mit Fracking und ähnlichen Methoden ausbeuten, offenbar nicht mehr rentabel. Die Plattform Oilprice.com berichtet von einer Zunahme der Konkurse unter den Förderfirmen und fragt, ob eine neue Pleitewelle bevorsteht.

Man darf gespannt sein, wie diese Geschichte weiter geht. Am Ende könnte die Pleitewelle Folge und zugleich verstärkende Ursache einer kommenden Weltwirtschaftskrise sein, wenn die Zusammenbrüche auch den Kreditgebern auf die Füße fallen.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier ein externer Inhalt geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.