Italien schließt mit libyscher Regierung ein Abkommen zur Migrationskontrolle
Das Abkommen knüpft an einen Deal an, den der damalige Ministerpräsident Berlusconi mit "mehr Öl, weniger Migranten aus Libyen" beschrieb. In Libyen sorgt das für Ärger, möglicherweise auch mit Russland
Die italienische Regierung hat am Montag ein Abkommen zur Migrationskontrolle mit Libyen geschlossen. Italien will die vom Westen unterstützte libysche Einheitsregierung mit Drohnen und Radareinrichtungen sowie der Bereitstellung von Ausrüstung und Ausbildung unterstützen. Im Gegenzug soll Libyen Anstrengungen unternehmen, irreguläre Grenzübertritte entlang der Landgrenze in der Sahara zu verhindern und Migranten in Länder wie den Niger, Tschad oder Sudan zurückzuschicken.
Die Regierung in Rom kündigt außerdem gemeinsame Patrouillen in libyschen Hoheitsgewässern an. Dort abgefangene Geflüchtete sollen nach Libyen zurückgeschoben werden. Die dafür notwendige Errichtung und Finanzierung von Unterkünften will Italien ebenfalls unterstützen. Die neue Kooperation soll auch die Handelsbeziehungen mit der ehemaligen italienischen Kolonie verbessern und Investitionen im Energiesektor ermöglichen.
Das Abkommen knüpft dem italienischen Innenminister Marco Minniti zufolge an eine Vereinbarung von 2008 an. Der mit dem damaligen Staatsoberhaupt Muammar al-Gaddafi geschlossene "Freundschaftsvertrag" sah Zahlungen in Milliardenhöhe an Libyen vor. Ein Großteil des Geldes sollte Gaddafi in Italien investieren, dort ansässige Bau- und Rüstungsunternehmen errichteten dafür Anlagen in Libyen. Hierzu gehörte unter anderem ein satellitengestütztes Überwachungssystem für die Land- und Seegrenzen.
Der frühere Ministerpräsident Silvio Berlusconi beschrieb den Vertrag mit "Wir werden mehr Gas und Benzin aus Libyen bekommen und weniger illegale Einwanderung" (Mehr Benzin, weniger illegale Einwanderung). Ähnlich kommentiert der amtierende italienische Außenminister Angelino Alfano das neu geschlossene Abkommen mit dem Satz: "Jetzt mehr Kontrolle der Abfahrten von Migranten."
Verhandlungen über russische Militärbasis
Laut der italienischen Verteidigungsministerin soll die bilaterale Zusammenarbeit auch dazu dienen, der Regierung in Tripolis unter dem Präsident Fayez al-Sarraj zur Kontrolle über das libysche Territorium zu verhelfen. Das im Osten des Landes in Tobruk residierende House of Representatives erkennt die Sarraj-Regierung nicht an. Auch wegen der teils feindlich gesinnten rund 1.000 Milizen in Libyen kann sich der vom Westen unterstützte Präsident nicht im Land bewegen.
Die Bundesregierung hat al-Sarraj deshalb sondergeschützte Fahrzeuge im Wert von 15 Millionen Euro überlassen. Italien hilft dem Präsidenten nun beim Aufbau einer Präsidialgarde mit Armee- und Polizeiverbänden. Bei Misrata hat das italienische Militär ein Krankenhaus bezogen, zum Schutz des dort tätigen medizinischen Personals stationiert Italien 100 Fallschirmjäger auf dem Gelände. Als erste westliche Regierung wird Italien seine Botschaft in Libyen wieder eröffnen.
Die italienische Unterstützung der Einheitsregierung sorgt jedoch für Konflikte. Der frühere Ministerpräsident Chalifa Mohamed al-Ghweil des international nicht mehr anerkannten libyschen Nationalkongresses fordert die Regierung in Rom zum Rückzug auf. Auch die Tobruk-Regierung kritisiert den Deal mit Italien.
Das italienisch-libysche Abkommen könnte auch Spannungen mit Russland provozieren. Die Regierung in Moskau setzt sich derzeit für die Aufhebung des Waffenembargos gegen Libyen ein, um die Tobruk-Regierung zur Bekämpfung islamistischer Gruppen mit militärischem Gerät versorgen zu können. Russland könnte im Gegenzug eine Militärbasis im Osten Libyens errichten. Im Internet kursieren heute Meldungen, wonach hochrangige russische Militärs zu Gesprächen mit dem General Khalifa Haftar in Tobruk angereist seien. Auch der russische Flugzeugträger Admiral Kusnezow befahre libysche Gewässer.
Europäische Union hilft bei der Grenzüberwachung
Schon nach dem vom Westen betriebenen Sturz von Muammar al-Gaddafi wollte die Europäische Union in Libyen Fuß fassen. In einer Unterstützungsmission "EUBAM Libyen" sollten staatliche bewaffnete Verbände zur Überwachung der Land- und Seegrenzen ausgebildet werden (Von der EU aufgebaute "Grenzschutztruppen" in Libyen verselbständigen sich). Mit dem Aufflammen des Bürgerkrieges hat die EU die Mission vor drei Jahren auf Eis gelegt. Nun ist die Wiederaufnahme militärischer und polizeilicher EU-Maßnahmen zum Kapazitätsaufbau libyscher Sicherheitsbehörden geplant.
Derzeit ist EUBAM Libyen mit einer "Lagefeststellung" im Bereich der Grenzüberwachung beauftragt, danach könnten weitere Maßnahmen folgen. Zusammen mit der libyschen Einheitsregierung werden Planungen zu Grenzsicherungsmaßnahmen und rechtlichen Rahmenbedingungen zusammengetragen. Für die Zusammenarbeit mit europäischen Regierungen hat der libysche Präsidialrat ein "National Team for Security and Border Management" einberufen.
Die italienische Verteidigungsministerin Roberta Pinotti fordert auch die Europäische Union auf, den "Kampf gegen Schleuser und Menschenhändler" auf libysche Gewässer auszuweiten. Die EU-Militärmission EUNAVFORMED müsse deshalb im Einvernehmen mit der libyschen Regierung in die sogenannte Phase 2b eintreten und in libyschen Hoheitsgewässern patrouillieren, um Abfahrten von Migranten in Richtung Italien zu verhindern.
Derzeit wird Libyen im Rahmen von EUNAVFORMED durch die Ausbildung von 78 Angehörigen der Küstenwache und Marine auf Kriegsschiffen der EU-Mitgliedstaaten unterstützt. Auch die Bundeswehr beteiligt sich daran. In einem nächsten Schritt ist die Ausbildung in Militäreinrichtungen an Land in Malta, Griechenland und Italien anvisiert. Nach diesem "Ausbildungspaket 2" soll nach derzeitigen Planungen ein "Ausbildungspaket 3" folgen, zu dem jedoch keine Inhalte bekannt sind.
Keine Zusammenarbeit privater Rettungsmissionen mit Schleusern
Der kommandierende Admiral von EUNAVFORMED, Enrico Credendino, hat die militärische Bereitschaft zum Übertritt in die Phase 2b bereits erklärt. Nach einem von der britischen Bürgerrechtsorganisation Statewatch online gestellten EU-Dokument wird die libysche Marine, zu der die Küstenwache gehört, schon jetzt mit Aufklärungsdaten aus dem Überwachungssystem EUROSUR unterstützt. Die Einheit erhält außerdem Briefings der EU-Grenzagentur FRONTEX.
Die Kooperation mit FRONTEX ist heikel, denn die libysche Küstenwache hat im vergangenen Jahr mehrmals Einsätze privater Seenotrettungsorganisationen behindert. Dabei fielen auch Schüsse, im Oktober ertranken bei einem solchen Übergriff erstmals mehrere Migranten [Gerüchte, wonach die Rettungsmissionen im Mittelmeer nunmehr direkt mit "Menschenschmugglern" zusammenarbeiten würden, bestätigen sich indes nicht. Die Zeitung Financial Times hatte vor wenigen Wochen aus einer FRONTEX-Analyse behauptet, die Retter würden von Schleusern über geplante Passagen informiert. "Kriminelle Netzwerke" hätten Migranten sogar direkt auf ein NGO-Schiff geschmuggelt.
Die Staatssekretärin im Bundesinnenministerium, Emily Haber, hat der Zeitungsmeldung widersprochen. Allerdings stelle der FRONTEX-Auswertebericht einen erheblichen Anstieg der Beteiligung von Nichtregierungsorganisationen an Rettungsoperationen im zentralen Mittelmeer fest. Gleichzeitig sei die Anzahl der Notrufe erheblich zurückgegangen.
Als mögliche Gründe nennt FRONTEX die Praxis, dass die Rettungsorganisationen vor den libyschen Territorialgewässern kreuzen und damit schnell in Sichtweite der Boote geraten. Außerdem würden die Geflüchteten durch Schleuser "genau angewiesen", in welche Richtung sie steuern müssten, um ein Rettungsschiff zu erreichen. Ähnlich äußert sich der Admiral Credendino. Schleuser würden demnach die automatisch übermittelten Positionsdaten der Schiffe im Internet abrufen und die Boote dorthin dirigieren. Der Oberkommandierende von EUNAVFORMED zählt 26 registrierte Rettungsschiffe privater Organisationen.