Italien und Frankreich: Haushaltsdefizite im Vergleich
Lässt die EU Macrons Rettungspaket für seine Präsidentschaft unbeanstandet, während sie gegen die Koalition aus Lega und M5S ein Defizitverfahren einleitet?
Obwohl das Gipfeltreffen der EU Staats- und Regierungschefs erst morgen beginnt, ist der italienische Ministerpräsident Giuseppe Conte bereits heute nach Brüssel gereist, um dort mit dem EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker über den italienischen Haushaltsentwurf für das nächste Jahr und die deshalb von der Kommission ausgesprochene Einleitung eines Defizitverfahrens zu sprechen.
Anlass für die Defizitverfahrensempfehlung war die im italienischen Haushaltsentwurf vorgesehene Neuverschuldung von 2,4 Prozent. Die liegt zwar unterhalb der in der Eurozone erlaubten drei Prozent - aber der Gesamtschuldenstand Italiens ist mit 132 Prozent des Bruttoinlandsprodukts höher als die dort maximal erlaubten 60 Prozent. Überschreiten die Gesamtschulden eines Landes den Maximalwert, soll es dem Stabilitätspakt nach den Teil, der darüber liegt, alle drei Jahre durchschnittlich um ein Zwanzigstel verringern, damit ein Defizitverfahren vermieden wird. In Italien liegen die Daten, mit denen sich das errechnen lässt, noch gar nicht vor. Die EU-Kommission konstatiert in ihrer Empfehlung deshalb nur eine "erhebliche Gefahr", dass dieses Ziel verfehlt werden könnte (vgl. Entscheidung mit dem Hintergedanken, eine Regierung loszuwerden, die unbequem ist?).
Französisches Haushaltsdefizit würde auf über drei Prozent, die Gesamtverschuldung auf über 100 Prozent des Bruttoinlandsprodukts steigen
Vor dem heutigen Treffen hatten Conte und der italienische Finanzminister Giovanni Tria in Aussicht gestellt, die im Entwurf vorgesehene Neuverschuldung von 2,4 auf zwei Prozent oder knapp darunter zu drücken (vgl. Neue Verhandlungen um Italiens Haushaltsdefizit). Manchen Medienmutmaßungen nach könnte Conte aber nun etwas selbstbewusster auftreten als vorher und Juncker eine niedrigere oder gar keine Senkung des Defizits anbieten.
Das liegt daran, dass der französische Staatspräsident Emmanuel Macron am Montag geschätzte 10 Milliarden Euro schwere Ausgabensteigerungen angekündigt hat: Er verspricht unter anderem, seine Ökosteuer und eine Steuererhöhung für Rentner auszusetzen, Überstunden nicht mehr zu besteuern und den Mindestlohn mit staatlicher Hilfe um 100 Euro anzuheben. Wo das Geld dafür herkommen soll, ist bislang noch weitgehend unklar. Finanziert Macron die Maßnahmen mit neuen Staatsschulden, erhöht sich das bisher geplante Defizit von 2,8 Prozent voraussichtlich so sehr, dass die in der Eurozone maximal erlaubten drei Prozent überschritten werden.
Dadurch würde die Gesamtverschuldung, die bei höchstens 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegen darf, auf über 100 Prozent steigen. In Sozialen Medien vermutet man deshalb, dass Macron versuchen könnte, andere Finanzquellen anzuzapfen. Zum Beispiel solche aus Brüssel, für die dann andere Länder aufkommen. Gäbe es bereits das von Macron geforderte Eurozonen-Budget, würde ihm das wesentlich leichter fallen. Gegen dieses Budget sperrt sich bislang vor allem der niederländische Finanzminister Wopke Hoekstra.
Gegensätzliche Popularitätsentwicklung
Anlass für Macrons Maßnahmen waren die nun bereits seit einem Monat andauernden Proteste der "Gelben Westen", an denen am Samstag frankreichweit etwa 100.000 Personen teilnahmen. Außerdem sank Macrons Zustimmungswert inzwischen auf bloße 18 Prozent und liegt damit noch deutlich niedriger als der seines Vorgängers und bisherigen Unbeliebtheitsrekordhalters François Hollande im gleichen Abschnitt seiner Amtszeit. Man kann die teuren Maßnahmen deshalb durchaus als "Rettungspaket" verstehen - nicht für eine Bank oder ein Automobilwerk, sondern für den Präsidenten selbst, der auch günstigere Forderungen der gelben Westen erfüllen hätte können - zum Beispiel die nach mehr direkter Demokratie oder nach seinem Rücktritt.
Während Macron in Frankreich mit Ludwig XVI. verglichen wurde, ließ sich der italienische Innenminister Matteo Salvini auf der Piazza del Popolo in Rom von 80.000 Anhängern zu Puccinis Nessun Dorma feiern. Würde derzeit neu gewählt, käme seine Koalition Umfragen zufolge auf eine satte Zweidrittelmehrheit - deutlich mehr als bei der Wahl im März. Kleinere Abstriche am Defizit schloss er bei seiner Rede zwar nicht aus, verwehrte sich aber gegen die von der EU-Kommission geforderte Rückkehr zur "Null-Komma-Politik" der sozialdemokratischen Vorgängerregierung.
Ob Macrons teure Maßnahmen die Proteste beenden können, ist derzeit noch unklar. Für eine Beruhigung sprechen zwei Faktoren, die jahreszeitlich bedingt sind: Die Weihnachtsfeiertage, die gerade hart arbeitende Franzosen lieber mit ihren Familien verbringen, als auf den Straßen. Und das Wetter, das im Januar und Februar auch in großen Teilen Frankreichs im Regelfall sehr ungemütlich wird.