Italien will Haushalt trotz Oettinger-Drohung nicht ändern
Innenminister Salvini gibt der EU wegen ihrer Russlandsanktionen eine Mitschuld an der Wirtschaftslage und am höheren Neuverschuldungsbedarf seines Landes
Der italienische Ministerpräsident Giuseppe Conte hat auf dem EU-Gipfel in Brüssel verlautbart, seine Regierung hoffe auf einen "konstruktiven Dialog" mit dem EU-Finanzkommissar Pierre Moscovici, sehe aber "keinen Spielraum" für Änderungen im Entwurf für den Haushalt 2019, den sie der Kommission in der Nach von Montag auf Dienstag vorgelegt hatte (vgl. Italienische Regierung legt EU-Kommission Haushalt vor). Die darin vorgesehene Neuverschuldung in Höhe von 2,4 Prozent des Bruttoinlandprodukts sei nämlich notwendig, um eine wirtschaftliche Trendwende herbeizuführen.
2,4 Prozent Neuverschuldung liegen zwar unterhalb der jährlich von Brüssel erlaubten drei Prozent, vergrößern aber die Gesamtverschuldung Italiens, die mit 132 Prozent der Wirtschaftsleistung 72 Punkte über dem dort angesetzten Höchstwert von 60 Prozent liegt. Den überschritten allerdings auch die deutschen Regierungen Schröder und Merkel von 2002 bis 2017. Contes sozialdemokratische Vorgängerregierung hatte Brüssel für 2018 eine Neuverschuldung von lediglich 0,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in Aussicht gestellt und wollte 2020 einen ausgeglichenen Haushalt erreichen.
Die neue Koalition aus Lega und M5S will die Neuverschuldung zwar ebenfalls senken, aber langsamer: 2020 soll sie bei 2,1 und 2021 bei 1,8 Prozent liegen. Für die Finanzmärkte ist das ein Anlass, die Zinsen für italienische Staatsanleihen steigen zu lassen: Bei der zehnjährigen Anleihe liegen sie nun bei etwa 3,5 Prozent, während die deutsche Bundesregierung dafür nur 0,5 Prozent Zinsen zahlen muss.
Am Mittwoch hatte der deutsche EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger dem Spiegel gesagt, die "Vermutung […], dass Italiens Haushaltsentwurf für 2019 mit den Verpflichtungen, die in der EU bestehen, so nicht vereinbar ist", habe sich mit dem am Dienstag erhaltenen Entwurf "bestätigt". Die Meldung, dass deshalb bereits eine Entscheidung gefallen sei und die EU-Kommission den Haushalt Rom am Donnerstag oder Freitag formell zum Ändern zurückgeben werde, musste das Nachrichtenportal allerdings zurückziehen, nachdem man das in Brüssel dementierte.
"Ein neues Europa, das wirtschaftliche Entwicklung, echte Freiheiten und Sicherheit garantiert"
Der der italienische Innenminister Matteo Salvini gibt der EU eine maßgebliche Mitschuld an der Wirtschaftslage - und damit indirekt auch an der Neuverschuldung. Das machte er gestern bei einem Russlandbesuch mit einer Wirtschaftsdelegation deutlich, als er meinte:
Italien hat durch den Sanktionskrieg 20 Milliarden Euro verloren. Europa muss konstruktiv argumentieren. Wir warten auf ein Zeichen der Dialogbereitschaft, aber ich habe den Eindruck, dass die EU-Führung weiterhin den Sanktionsweg durchsetzen will. Das passt mir absolut nicht. Die Sanktionen haben keinerlei Sinn. Ich werde alles tun, dass die Sanktionen so schnell wie möglich ein Ende finden.
(Matteo Salvini)
Dem russischen Nachrichtenportal Sputnik sage der Lega-Chef anschließend, die sogenannten "Populisten" sollten den Niedergang der "Parteien, die seit Jahrzehnten in europäischen Staaten an der Macht sind", nutzen, "aktiv ihre Ausgangspositionen stärken" und "ein neues Europa schaffen, ein Europa, das wirtschaftliche Entwicklung, echte Freiheiten und Sicherheit garantiert". Auf die Frage der italienischen Zeitung La Repubblica, ob er eine Kandidatur als EU-Kommissionspräsident in Betracht zieht, meinte er, "Freunde aus verschiedenen europäischen Ländern" hätten ihn "darum gebeten" und er "denke darüber nach".
Dass er nicht nur ethnische Italiener als potenzielle Wähler sieht, hatte er eine Woche vor der Wahl in Südtirol gezeigt: Während italienische Politiker im letzten Jahrhundert den Südtirolern noch Sprache und Kultur austreiben wollten, trank er nicht nur Bier und trug die blaue Schürze, sondern sprach das Publikum mit "Grüß Gott alle Menschen" und einem gemeinsam mit den Kastelruther Spatzen angestimmten "Prosit der Gemütlichkeit" in der Südtiroler Mehrheitssprache an, was ihm viel Applaus einbrachte. Auf Facebook meinte er später, dass Deutsche und Italiener beide "großartig" seien und viele gemeinsame Ziele hätten: "Mehr Arbeit, mehr Sicherheit, ein paar Migranten weniger - und ein Europa, das nicht zu sehr nervt".
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