Italiens Regierungskrise: Der Abbau der Demokratie unter Mario Draghi

Postdemokrat: Mario Draghi. Foto: Quirinale / CC0 1.0

Nach dem gescheiterten "Vertrauenspakt" nimmt Italiens Staatspräsident Draghis Rücktritt an und löst das Parlament auf. Vorgezogene Neuwahlen finden voraussichtlich am 25. September statt.

Mit dem nun zurückgetretenen Ministerpräsidenten Mario Draghi, der im Ausland als Stabilitätsgarant angesehen wurde, ist Italien einen weiteren Schritt in Richtung Postdemokratie gegangen. Auch wirtschaftlich befindet sich das Land auf dem absteigenden Ast.

In den letzten 20 Jahren hat sich Italien zweifelsohne von einem demokratischen zu einem postdemokratischen System gewandelt. Der langsame, aber stete Übergang von einer tatsächlich repräsentativen Demokratie zu einer puren Fiktion derselben hat sich unter Draghis Regierungszeit seit Februar 2021 allerdings weiter verschärft: Das Parlament ist absolut überflüssig geworden.

Draghi hat de facto unter Missachtung des Parlaments regiert, was nicht dadurch besser wird, sich das Parlament auch ganz unverhohlen hat missachten lassen.

Von politischer Partizipation ist gar keine Rede mehr – und sehr oft hat Draghi während seiner Amtszeit mit seinem inneren Ministerzirkel einfach im Alleingang über alle Köpfe hinweg wichtige Beschlüsse gefasst, um das Parlament dann vor vollendete Tatsachen zu stellen. Die demokratischen Formen wurden zwar gewahrt, die demokratische Substanz wurde allerdings eliminiert.

Beschlüsse, die das Parlament nur im Nachhinein absegnen durfte, waren etwa der PNRR (Nationaler Plan für Aufbau und Resilienz), der Haushaltsplan sowie das historische Abkommen mit Frankreich, das eine engere Zusammenarbeit besiegeln soll und zum Beispiel beinhaltet, dass Minister beider Länder regelmäßig an den Sitzungen der jeweils anderen Regierung teilnehmen.

Als Postdemokrat konsequent

Ein weiterer postdemokratischer Aspekt (es sein denn, man begnügt sich mit einer rein formal-prozeduralen Auffassung von Demokratie) ist die Ernennung Draghis zum Premierminister, die nie durch Wahlen legitimiert wurde.

Draghis Desinteresse an der parlamentarischen Funktion ist also offensichtlich, doch mit der Delegitimierung des Parlaments wird auch die repräsentative Demokratie abgeschafft.

Italien befindet sich in einer sehr schwierigen wirtschaftlichen Situation, nicht zuletzt wegen der Fehlentscheidungen der Draghi-Regierung. Darunter fällt auch der Kurs der uneingeschränkten Nato-Bündnistreue und Unterstützung der Ukraine, obwohl sich die Bevölkerung in allen Umfragen mit großer Mehrheit gegen eine direkte oder indirekte Beteiligung Italiens an diesem Krieg ausgesprochen hat.

Bei den Waffenlieferungen und der Verhängungen der Sanktionen gegen Russland, die sich als kontraproduktiv erwiesen haben, greift dasselbe Prinzip der Aushöhlung des parlamentarischen Konsenses.

Doch genau diesen Punkt hat Draghi in seiner Schlussansprache an das Parlament noch einmal ausdrücklich aufgegriffen und unterstrichen, dass Italien weiterhin die Ukraine bedingungslos unterstützen müsse.

Als EZB-Chef ließ er einfach Geld drucken

Bereits in seinen früheren Ämtern als Generaldirektor des Finanzministers, als Gouverneur der Banca d’Italia und als Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) hat Draghi volksfeindliche Entscheidungen getroffen, unter denen vor allem die finanziell schwächeren Bevölkerungsschichten zu leiden hatten.

Er ließ beispielsweise Geld in der Größenordnung von Billionen Euro drucken, um Staatsanleihen zu kaufen und die Renditen unter die Nullgrenze zu drücken. Er verfolgte somit eine skrupellose Liquiditätspolitik, um die Staatsdefizite zu stützen, deren Resultat eine anhaltende Inflation und ein Absturz des Staatsanleihenmarktes waren.

Zuletzt hat Draghi den Superbonus 110 kurzerhand abgeschafft – sprich das Programm, mit dem jeder Hauseigentümer seine Immobilie zum Nulltarif sanieren lassen konnte und die Kosten in Form einer Steuergutschrift vom Staat erstattet erhielt.

Das Programm war in den letzten Jahren eines der wenigen Schwungräder der italienischen Wirtschaft gewesen. Dessen Abschaffung hat zahlreiche Unternehmen in eine tiefe Krise gestürzt.

Am Mittwoch verfehlte der parteilose Ökonom Draghi sein Ziel, mit seinen Regierungsparteien einen neuen "Pakt des Vertrauens" zu bilden. Weder die Fünf-Sterne-Bewegung noch die Forza Italia und die Lega stimmten bei dem Vertrauensvotum mit ab.

Am Donnerstag nahm Staatspräsident Sergio Mattarella Draghis Rücktritt an. Neuwahlen sollen voraussichtlich am 25. September stattfinden. Für die laufenden Geschäfte bleibe die Regierung zunächst noch im Amt, hieß es.

Nach vielen Jahren der Delegitimierung des parlamentarischen, liberalen und demokratischen Systems hinterlässt Draghi ein Land, das mit großen wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen hat.