Izmir: Mord unter staatlicher Aufsicht
Die Oppositionspartei HDP wird in der Türkei engmaschig überwacht. Gleichwohl konnte heute in ihrer Zentrale in Izmir ein bewaffneter Angreifer eine Frau töten
Bei einem bewaffneten Anschlag auf die HDP-Zentrale in Izmir ist eine Mitarbeiterin der türkisch-kurdischen Oppositionspartei getötet worden. Der Angreifer drang laut einem Bericht der kurdischen Nachrichtenagentur ANF an diesem Donnerstag gegen 10.30 Uhr Ortszeit in die Räumlichkeiten ein, schoss um sich und legte Feuer. Die HDP-Mitarbeiterin Deniz Poyraz habe sich zu diesem Zeitpunkt in der Parteizentrale befunden und sei bei dem Anschlag ums Leben gekommen. Der Täter sei ein Mann im Alter von 35 bis 40 Jahren.
Laut einem Bericht der türkischen Nachrichtenagentur Anadolu wurde er bereits festgenommen. Zu seinem beruflichen Hintergrund heißt es dort, er habe im Gesundheitsbereich gearbeitet, seine Initialen werden mit O. G. angegeben. Die HDP sieht in dem Attentat allerdings einen Mord unter staatlicher Aufsicht, der möglicherweise auch durch regierungsamtliche Hetze provoziert wurde.
Da gegen die Demokratische Partei der Völker in der Türkei ein Verbotsverfahren läuft und zahlreiche Mitglieder bereits inhaftiert sind, ist davon auszugehen, dass ihre Büros tatsächlich rund um die Uhr von den Sicherheitsbehörden überwacht werden, wie das Social-Media-Team der Oppositionspartei nach dem Anschlag betonte. Die HDP erhebt schwere Vorwürfe gegen das Innenministerium, weil der bewaffnete Angreifer dennoch ungehindert agieren konnte. "Heute wurde in Izmir unsere Genossin Deniz Poyraz unter polizeilicher Aufsicht ermordet", erklärte die HDP.
Die Oppositionspartei wies außerdem darauf hin, dass die Regierungskoalition aus AKP und MHP in Ankara seit Monaten gegen sie hetze und staatlich organisierte Proteste vor mehreren Parteigebäuden stattfänden, um sie zu diffamieren.
Stimmungsmache rund um "Kobanê-Prozess"
Am Vortag sei eine Gruppe von Regierungsanhängern mit Türkei-Fahnen in das Gerichtsgebäude in Ankara eingedrungen, in dem der "Kobanê-Prozess" gegen den ehemaligen HDP-Vorstand stattfindet. Angeklagt sind die früheren Parteivorsitzenden Figen Yüksekdag, und Selahattin Demirtaş sowie 106 weitere HDP-Mitglieder, die mutmaßlich an Protesten gegen die Belagerung der syrisch-kurdischen Grenzstadt Kobanê durch den "Islamischen Staat" im Winter 2014/2015 und gegen das damalige Agieren der türkischen Armee beteiligt waren. Letztere hatte damals Kurdinnen und Kurden daran gehindert, ihren Angehörigen jenseits der Grenze beizustehen.
Bei den Protesten kam es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Demonstrierenden, türkischen Einsatzkräften und IS-Sympathisanten - sowie nach Angaben der HDP zu 43 Toten, die überwiegend aus ihren Reihen stammten. Die Staatsanwaltschaft spricht von 37 Toten und lastet diese HDP an.
Demirtas und Yüksekdag sind bereits seit 2016 inhaftiert. Beide waren zum Zeitpunkt ihrer Festnahme gewählte Abgeordnete der türkischen Nationalversammlung, denen jeweils die Immunität entzogen wurde.