"Ja Herrschaftszeiten!"
"Wackersdorf" erzählt eines der dunkelsten Kapitel aus Bayerns düsterer Politik-Geschichte als Polit-Thriller
"Also wir, die bayerische Staatsregierung, bemühen uns derzeit um ein zukunftsweisendes industrielles Großprojekt. Blitzsaubere Sache. Hightech und so weiter, alles in weißen Kitteln. Unserem Herrn Ministerpräsidenten liegen gerade die strukturschwachen Regionen am Herzen."
Bayern, Anfang der 1980er-Jahre: Die Staatspartei regiert, die Bürger, dieses Politiker-störende, unmündige Wesen, werden als tumbes Stimmvieh behandelt, erst recht die in der strukturschwachen Oberpfalz, wo die Sozis regieren.
Von Anfang an wird gelogen und betrogen
Die Landschaft zumindest ist schön und friedlich. Aber die alte Industrie ist in der Krise, "erst war d'Arbeit weg dann's Haus, dann Frau und Kinder", klagt einer, und die örtliche SPD glaubt zu wissen: "Liebe Freunde und Genossen - ein Strukturwandel ist unvermeidlich."
"Wackersdorf" (5 Bilder)
Dort, so hat es sich der gerade als Kanzlerkandidat gescheiterte Ministerpräsident Franz Josef Strauß gedacht, soll eine Atom-Wiederaufbereitungsanlage entstehen - ein Milliardenprojekt, aber gefährlicher, als viele wahrhaben wollen. Offiziell.
Denn von Anfang an wird gelogen und betrogen: Regisseur Oliver Haffner erzählt zwar die Geschichte von Wackersdorf und dem Kampf dagegen, der bald zum Symbol wurde, dokumentarisch genau, aber eben als Spielfilm.
Darum ist Hafners Film nicht zuletzt auch eine Komödie, die den bayerischen Verhältnissen mit satirischen Mitteln zu Leibe rückt, die die smarten Lackaffen und engstirnigen Provinzfürsten aufs Korn nimmt, die sich hinter dem netten CSU-Slogan von "Laptop und Lederhose" verbergen.
Der zeigt, wie sie sich schnell noch den "Sommer-Stoiber" überziehen, das schilfleinerne Trachtenjankerl, wenns gerade passt, und sie bei den Bauern ein bisschen heimattümeln müssen. Diese Beamten und Funktionäre aus München sprechen von einer sauberen, effizienten, "einfach zeitgemäßen Hochtechnologie". Die oberpfälzer Landschaft bleibe unberührt. "Also weitgehend unberührt." So funktioniert der Witz des Films.
Bald regt sich der Widerstand der Bevölkerung. Sie wollen handeln und zwar jetzt, die Zeit der Debatten sei vorbei. "Aufruhr, Widerstand, es gibt kein ruhiges Hinterland." Bis heute steht Wackersdorf für den Widerstand gegen die Atomkraft.
Ein Gesetz gegen Aufrührer unter den Landräten
Der Fokus des Films richtet sich aber auf den Schwandorfer SPD-Landrat Hans Schuierer. Dessen Zweifeln, Überlegen, Hadern, das Sich-in-Frage-Stellen macht den Kern des Films aus. Zuerst freut er sich über die Pläne aus der Landeshauptstadt, die Aussicht auf 3.000 neue Arbeitsplätze. Ein Angebot, das man nicht ablehnen kann.
Dann, nachdem die Zweifel wachsen, und er sich informiert hat, tut er genau das, lehnt es ab: Er unterschreibe "nix und schon gleich gar keine Genehmigung". Von nun an hat er es mit dem Paten aus München zu tun. Der von absoluter CSU-Mehrheit dominierte, Strauß-hörige Landtag verabschiedete ein eigens auf Schuierer zugeschnittenes Gesetz, das im bayerischen Volksmund als "Lex Schuierer" bekannt und bis heute noch in Kraft ist - mit ihm kann man Landräte, die nicht willfährig sind, aus dem Verkehr ziehen und de facto entmachten.
Aber Schuierer macht einfach weiter, legt sich mit Strauß direkt an, schimpft auf die "CSU-Demokratur" und hat bald ein Disziplinarverfahren am Hals. Aus Überzeugung wird der Sozialdemokrat zum Anführer der WAA-Gegner - nicht unbedingt zur Freude seiner SPD-Genossen. Er solle wieder vernünftig werden, nicht zum Büttel der "Kerndlfresser" werden.
Aber Schuierer ist da schon ein paar Schritte weiter
Alles eskaliert: Die Baustelle wird mit fünf Meter hohen Stahlgittern abgesperrt. Schwer gerüstete Polizisten schlagen mit Gummiknüppeln auf Demonstranten ein. Sie schießen aus Wasserwerfern Reizgas in die Menge, werfen aus Helikoptern Rauchbomben. Die Szenen erinnern an einen Bürgerkrieg, aber sie geschehen im Bayern der 1980er Jahre.
Die Menschen, die hier von der Polizei attackiert wurden, was der Regisseur in eindrücklichen Dokumentaraufnahmen zeigt, die in den Film hineinmontiert wurden und die Enthemmung der Gewalt unmittelbar spürbar machen, diese Menschen sind zum allergrößten Teil friedliche, eher konservative Bürger - nun aber werden sie von der CSU-Regierung zu "Staatsfeinden" und "Chaoten" erklärt und kriminalisiert, nur weil sie gegen den Bau einer Atom-Wiederaufbereitungsanlage demonstrieren.
Rund 35 Jahre ist das jetzt her. Aber es könnte alles auch gestern passiert sein. Typen wie Peter Gauweiler traten damals den Rechtsstaat mit Füßen, heute sind es andere. Darum hat Haffner auch keine Skrupel vor harten Vergleichen: "Des is wie bei den Nazi. Wie im Dritten Reich."
Ein Gefühl für die Realität des CSU-Staats
"Wackersdorf" ist ein monströser Polit-Thriller. Ein Mann der an den Rechtsstaat glaubt, gerät in die Mühlen der massiven Lobbyarbeit der Energiekonzerne und einer Partei, die den Staat als ihr Eigentum betrachtet, und sich um rechtliche Vorschriften nur schert, wenn die ihr nutzen.
Hafners Film vermittelt ein Gefühl für die Realität des CSU-Staats und arbeitet den Straußschen Amigo-Sumpf mit seiner Spezlwirtschaft heraus, die bis heute die CSU-Verhältnisse prägt.
Dieser Film passt wie der Senf zur Weißwurst in unsere Gegenwart: Zur Zeit wird der Hambacher Forst, ein tausendjähriger Wald mit uralten Bäumen von der Staatsmacht gerodet, gewaltsam gegen den Willen der Bevölkerung, für einen Energieriesen und dessen Braunkohle-Technik, die schon heute den Wissenschaftlern als Umweltfresser und Klimakiller Nummer eins gilt - das geschieht zwar in Nordrhein-Westfalen, trotzdem sprechen viele von einem zweiten Wackersdorf.
Und in drei Wochen sind Landtagswahlen in Bayern. Noch immer regiert die CSU alleine, noch immer beugt sie das Recht und umgeht den Rechtsstaat - ganz wie ihre politischen Freunde in Ungarn, Polen, Chile oder der Türkei.
"Wackersdorf" ist somit ein Heimatfilm gegen das Heimatministerium.