Ja wo sind sie denn, die Nachtwölfe?

Über Wochen waren die Nachtwölfe eines der dominierenden Themen in der Berichterstattung vieler europäischer Medien. Doch am Sowjetischen Ehrenmal in Berlin-Treptow, dem Höhepunkt ihrer Reise, gingen "Putins Rocker" regelrecht unter

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Nach Polen durften sie mit ihren Motorrädern nicht einreisen. Auf dem Flughafen Schönefeld wurde einem Mitglied die Einreise verweigert. Trotzdem schafften es einige Mitglieder der im Westen umstrittenen Nachtwölfe nach Berlin. Dies konnte man jedenfalls der Berliner Presse entnehmen, die "Putins Rocker, wie die Nachtwölfe wegen ihrer Nähe zu dem russischen Präsidenten hierzulande getauft wurden, auf Schritt und Tritt beobachtete. Man konnte über deren Ankunft in Schmöckwitz lesen, wo sie sich in einem Ferienhaus eingemietet habe, sowie über ihren ersten öffentlichen Auftritt in Berlin, bei der alljährlichen Feier des Deutsch-Russischen-Museums in Berlin-Karlshorst am 8. Mai.

Doch am Sowjetischen Ehrenmal in Treptow, der größten Gedenkstätte für die in der Schlacht um Berlin gefallenen Soldaten in der deutschen Hauptstadt, suchte man die Nachtwölfe vergebens. Zumindest noch um 10 Uhr morgens, wo nach Angaben der Berliner Polizei bereits 10.000 Besucher das Ende des Zweiten Weltkrieges begingen. Einen 70. Jahrestag, der durch die Ukraine-Krise und die daraus entstandenen Spannungen zwischen dem Westen und Russland zu einem Politikum wurde. Während in Moskau der "Den Pobedy" - der Tag des Sieges mit der größten Militärparade in der Geschichte Russlands gefeiert wurde, blieben die westlichen Regierungsvertreter dieses Jahr lieber unter sich. Vor fünf Jahren, als der 65. Jahrestag gefeiert wurde, reisten viele von ihnen noch in die russische Hauptstadt.

Doch nicht nur die Absagen der westlichen Politiker entwickelten sich zu einem Politikum. Auch die Sternfahrt des russischen Motorradclubs Nachtwölfe nach Berlin führte zu weiteren diplomatischen Belastungen. Man hätte fast denken können, dass sich einige Divisionen der russischen Armee gen Westen aufgemacht hätten, so empfindlich reagierten westliche Medien und Politiker auf die Reise der Motorradrocker.

Sicherlich, die Nachtwölfe sind politisch alles andere als angenehme Zeitgenossen. Sie sind homophob, nationalistisch und scheuen sich auch nicht, ihre Ansichten mit der Waffe zu verbreiten. Sie waren aktiv bei der Annektierung der Krim, und im Krieg in der Ostukraine sollen einige von ihnen bei den prorussischen Separatisten kämpfen. Dies mag Putin vielleicht gefallen, der auf einem dreirädrigen Schopper schon mal eine Tour mit den Nachtwölfen unternommen hat und dem freundschaftliche Bande zu Alexander Zaldostanow nachgesagt werden, dem Gründer und Chef der Nachtwölfe. Im Westen kommt das jedoch nicht gut an.

Aber war diese Aufregung, waren diese ganzen Einreiseverbote überhaupt nötig? Immerhin haben sich am 25. April nur 20 Biker auf die lange Reise von Moskau nach Berlin aufgemacht und nicht der gesamte Club.

Und tatsächlich schien es, als ob die Emotionen sich zumindest bei der Berliner Polizei gelegt hätten. Die Anzahl der Polizisten rund um das Ehrenmal war übersichtlich. Auf dem Gelände sah man keinen einzigen Uniformierten, ebenso wenig wie die Lederkutten der Nachtwölfe. Stattdessen warteten einige Pressevertreter auf die Ankunft der Motorradrocker, wohl in Erwartung einer großen Show.

Als gegen 11 Uhr von den Straßen rund um den Treptower Park plötzlich lautes Motorraddröhnen zu vernehmen war, machte sich im Eingangsbereich so etwas wie Hektik breit. Die Nachtwölfe waren endlich da. Und "Putins Rocker" verstanden es, ihren Auftritt zu inszenieren. Sie absolvierten eine Ehrenrunde um die Gedenkstätte. Doch war es wirklich eine Ehrenrunde oder nur die verzweifelte Suche nach einem Parkplatz? Seit dem Vormittag herrschte rund um den Treptower Park Verkehrschaos. Alle Zufahrt- und Seitenstraßen waren zugeparkt mit Autos aus ganz Deutschland, geschmückt mit dem Georgsband oder der russischen Trikolore.

Doch die Nachtwölfe mussten sich keine Gedanken um einen Parkplatz machen. Die rund 30 Mann durften ihre Motorräder vor dem Haupteingang abstellen. Umringt von Journalisten und Schaulustigen betraten sie das Gelände des Ehrenmals und wurden immer wieder von den schon anwesenden Besuchern mit Applaus bedacht. Was nicht nur auf Sympathie zurückzuführen war, sondern auch ein Ergebnis der westlichen Politik gegenüber den Nachtwölfen ist. "Die Politik hat ihnen so viele Steine in den Weg nach Berlin gelegt, dass sie schon dafür Hochachtung verdienen", antwortete der in Deutschland lebende Andrej, der seinen vollen Namen nicht in der Presse lesen möchte, auf die Frage, warum er die Nachtwölfe beklatscht.

Bild: Thomas Dudek

Die Nachtwölfe selber waren an diesem Tag weniger gesprächsfreudig gegenüber Journalisten. Vielleicht auch deshalb, weil viele von ihnen kein Russisch verstehen. Die Gruppe schien vor allem aus Sympathisanten zu bestehen, die sich ihnen in Europa angeschlossen hatten. "Ich habe auf dieser Tour so viele tolle Menschen kennen gelernt. Unglaublich!", sagte ein deutscher Biker zu seinem Kollegen, als eine russische Familie um ein gemeinsames Foto bat. Auf Fragen der Presse reagierte er weniger entgegenkommend. "Die Jungs wollen nur ihrer gefallenen Vorfahren gedenken. Da verdienen sie jede Hochachtung und Unterstützung", sagte er genervt und marschierte mit der Gruppe zu der monumentalen Soldatenstatue, dem Wahrzeichen des Ehrenmals, die in einer Hand ein Schwert und auf dem anderen Arm ein Kind hält. Dort legten die Nachtwölfe und ihre Begleiter, so wie viele andere Besucher an dem Tag, ihre Blumen nieder, um den gefallenen Soldaten ihre Ehre zu erweisen. Wären sie nicht dabei von vielen Anwesenden beklatscht worden, würden die Rocker trotz ihrer auffälligen Lederkluft, ansonsten untergehen.

Mit der Ehrerbietung gegenüber den gefallenen Soldaten endete auch der Auftritt der Nachtwölfe. Um den Haupteingang nicht zu lange zu blockieren, mussten die sie auf Bitten der Polizei ihre Motorräder auf einen benachbarten Parkplatz umstellen. Dieser ist zwar direkt gegenüber der Gedenkstätte, erwies sich für die russischen Rocker und ihre Sympathisanten jedoch als kein glückliches Plätzchen. Gleich neben dem Parkplatz feierte der Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten sein Fest. Unter anderem mit einer von den Falken, der Sozialistischen Jugend Deutschlands, aufgestellten Hüpfburg, die zufälligerweise blau-gelb war, die Farben der ukrainischen Flagge.

Pobeda-Oldtimer. Bild: Thomas Dudek

Und auch für die Rocker und ihre mit russischen Fähnchen und Georgsbändchen geschmückten Maschinen interessierte sich auf dem Parkplatz kaum jemand. Die große Attraktion ist dort ein aus dem Jahr 1955 stammender Pobeda mit einer auffälligen Lackierung. Auf den Seiten wurden berühmte sowjetische Fotos nachgemalt, darunter die bekannte Fotografie von Jewgenij Chaldei, auf der ein sowjetischer Soldat die Sowjetflagge auf dem Reichstag hisst. "Von 2009 bis 2014 habe ich den Wagen speziell für diesen Anlass restauriert. Am 4. Mai sind wir dann mit dem Pobeda auf dem Roten Platz in Moskau gestartet und kamen am 8. Mai hier an", erzählte Grigorij Solkovskij voller Stolz. "Probleme bei der Einreise hatten wir nirgends, weder in Polen noch in Deutschland", fügte er hinzu, bevor die nächste Gruppe ihn fragte, ob sie sich mit dem Auto fotografieren darf.

Kurz darauf endete auch die Visite der Nachtwölfe, vor denen sich die deutschen Behörden so gefürchtet haben. Kurz vor 13 Uhr, nach nicht mal zwei Stunden, ließen die Biker ihre Motorräder aufdröhnen, um Richtung Tiergarten zu entschwinden. Kaum beachtet von den übrigen Besuchern. Diese feierten weiter auf dem Gelände des Ehrenmals den sowjetischen Sieg über Nazi-Deutschland. Auch wenn dieses Fest teilweise skurrile Gesichter hatte. Viele Besucher nutzten die Gelegenheit, um ihre politischen Ansichten offen zu zeigen. Man bekundete seine Sympathie für Neurussland und die "Volksrepubliken" im Donbass. Viele Besucher hatten russische Fahnen und T-Shirts mit dem Konterfei Putins. Ein Patriotismus der befremdlich wirkt, da diese russischen Patrioten seit Jahren in Deutschland leben, wie sich auf Nachfrage zeigte.

Stand von Sut Vremeni. Bild: Thomas Dudek

Aufmerksam machen auf sich auch politische Organisationen und Vereine. Das DDR-Komitee aus der Ruhrgebietsstadt Bochum dankte mit einem Banner den sowjetischen Soldaten. Die MLPD ist im Eingansbereich mit einer Band vertreten, die revolutionäre Lieder vorträgt. Gelegentlich werden auch Reden gehalten. Weniger Meter weiter hatte der Verein "Sut Vremeni" - Das Wesen der Zeit - seinen Stand aufgebaut, der sich großer Beliebtheit erfreute. Kostenlos verteilten Mitglieder des Vereins Georgsbändchen sowie Schleifchen in den russischen Nationalfarben. "Unser Hauptsitz ist in Moskau, doch wir sind ein international tätiger Verein, da wir auch in anderen Staaten vertreten sind", erklärte Tony Sievert. "Wir verstehen uns als humanistisch und glauben, dass der Kommunismus eine Zukunft hat." Auf die Frage, ob es dann nicht logischer wäre, wenn sie rote Bändchen verteilen würden anstatt die in den russischen Nationalfarben, sagte er: "Ja, aber die haben wir von der russischen Botschaft bekommen."

Wenige Meter weiter ging das Fest weiter. Eine Kosakengruppe trug russische Lieder vor, darunter auch viele Lieder aus der Zeit des "Großen Vaterländischen Krieges", die noch im heutigen Russland jedes Kind kennt. Die umstehenden Menschen tanzten und sangen begeistert mit. Wenige Meter weiter hat sich eine Familie ein schattiges Plätzchen für ein Picknick gesucht.

Maria Sitnikova mit den Porträts ihrer Großeltern. Bild: Thomas Dudek

Doch je näher man sich der großen Soldatenstatue näherte, vor der eine große Menge anstand, um Blumen niederzulegen, desto besinnlicher und erdrückender wurde die Stimmung. Vor jeder Gedenktafel lagen Blumen. Und hier bekam das Leid der Soldaten auch einen Namen . An den Zäunen waren Tafeln mit den hier bestatteten Soldaten angebracht, so gut sich dies in den russischen Archiven rekonstruieren ließ. Zudem trugen viele Besucher kleine Tafeln mit den Porträts von Rotarmisten. So wie Maria Sitnikova. "Das sind meine Großeltern. Beide waren im Krieg, kamen bis nach Berlin und kehrten glücklicherweise zurück. Heute gedenke ich ihrer", sagte die in Berlin lebende Russin, die zusammen mit ihrer aus Sankt Petersburg angereisten Freundin zum Ehrenmal in Treptow gekommen ist.

Und es aren jene stillen Momente, fern von allen politischen Ansichten und überbordenden Patriotismus, in denen an diesem Tag klar wurde, welche Opfer die sowjetischen Soldaten gebracht haben. Welches Leid und welche Ängste sie durchlebt haben. "Ich möchte so sehr nach Hause. Ich habe schon so lange meine Mutter nicht gesehen", heißt es in einem russischen Soldatenlied, das wenige Meter weiter mehrere Menschen spontan sangen. Zeilen bei denen man hofft, dass sich so ein Leid nie wieder wiederholt.