Jamaika-Koalition: Politische Gräben mit Geld zuschütten?

Grafik: TP

Die Verwirklichung der "bereits bezifferbaren Forderungen" aller vier beteiligten Parteien würde einer geleakten CDU-Berechnung nach "weit über 100 Milliarden Euro" kosten

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Morgen möchten CDU, CSU, FDP und Grüne bei ihren Sondierungsgesprächen zu einer Regierungsbildung über Steuern und Finanzen sprechen. Einer internen Berechnung der CDU zufolge, die an die Tageszeitung Die Welt geleakt wurde, könnte die Jamaika-Koalition eine teure Angelegenheit werden. "Allein die bereits bezifferbaren Forderungen" der vier an der Koalition beteiligten Parteien betragen dem Papier zufolge zusammengerechnet "weit über 100 Milliarden Euro". Dabei mit eingerechnet wurden allerdings nicht nur neue Ausgaben, die vor allem die Grünen fordern, sondern auch ältere wie die Mütterrente der CSU und Steuersenkungen, wie sie die FDP in Form einer Abschaffung des Solidaritätszuschlages verlangt.

Beim Vergleich dieser Summe mit dem errechneten "Spielraum im Bundeshaushalt der 19. Wahlperiode" in Höhe von "insgesamt etwa 30 Milliarden Euro über vier Jahre" kommen die CDU-Experten zum Ergebnis, dass damit nicht nur das Ziel einer "Schwarzen Null" verfehlt würde: Auch die mit der so genannten "Schuldenbremse" vorgeschriebenen Verschuldungsgrenzen müssten überschritten werden. Finanzminister Wolfgang Schäuble wird dagegen kein Veto mehr einlegen können, weil er bereits vorab auf einen Frühstücksdirektorenposten ver- und kommissarisch durch den engen Angela-Merkel-Vertrauten Peter Altmaier er-setzt wurde.

FDP will Telekom-Anteile verkaufen

Anstatt von Schäuble meldete sich der FDP-Vize Wolfgang Kubicki mit der Bemerkung, die "Schwarze Null" stehe "nicht zur Disposition" zu Wort. Seine Liberalen wollen Telekom-Aktien verkaufen, von denen der Bund 21 Jahre nach dem Börsengang immer noch 689.601.413 (beziehungsweise 14,5 Prozent) direkt und über die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) weitere 829.178.706 (17,4 Prozent) hält.

Verkauft die Bundesregierung nur die direkt gehaltenen Anteile, wird mit Erlösen von etwa zehn Milliarden Euro gerechnet. Dieses Geld haben die Liberalen allerdings schon verplant: Sie möchten es in den Glasfaserausbau stecken. Das befürworten auch die Grünen, die Junge Union, die Mittelstandsvereinigung der CDU und Teile der CSU.

Andere Beteiligungen, die die Bundesregierung veräußern könnte, um Wünsche der Koalitionsparteien zu erfüllen, sind die ebenfalls auf einen Verkaufswert von etwa 10 Milliarden Euro geschätzten knapp 21 Prozent, die sie an der Deutschen Post hält. Nicht so einfach zu Geld machen ließe sich die Deutsche Bahn. Hier könnte der Bund jedoch darauf drängen, dass das Unternehmen Beteiligungen wie die Logistik-Tochter DB Schenker abstößt und dadurch den milliardenschweren Zuschussbedarf aus der Staatskasse verringert.

Kompromisse

Neben den finanziellen gibt es Kubicki zufolge auch andere strittige Fragen. "Die inhaltlichen Differenzen", so der FDP-Vize, seien "nicht verschwunden, nur weil man sich etwas kennengelernt hat." Da die CSU seinen Worten nach "definitiv darauf bestehen" wird, "dass Abschiebehaftanstalten errichtet werden", müssten die Grünen, die dies bislang kategorisch verweigern, "vernünftiger werden", damit ein Kompromiss möglich wird.

Ob der Kompromiss, den Horst Seehofer mit Angela Merkel bereits vor Beginn der Sondierungsgespräche bezüglich der von ihm im Wahlkampf versprochenen "Obergrenze" vereinbarte, in seiner Partei wirklich als "gesichtswahrend" ankommt, wird sich auf dem vom November auf den Dezember verschobenen CSU-Parteitag zeigen: Der kommunalpolitische Verband der CSU hat bereits beschlossen, dass eine Obergrenze für ihn nicht eine der jeweils tatsächlichen Zuwanderung angepasste Zielzahl bei weiter offenen Grenzen ist, sondern ein Aufnahmestopp für alle "aus einem sicheren Drittstaat einreisenden Nicht-EU-Ausländer".

Innerparteiliche Opposition

Darauf, dass auch die CSU-Wähler von Seehofers Obergrenzenkompromiss eher enttäuscht sind, deutet eine neue GMS-Umfrage im Auftrag von Sat1 hin, der zufolge eine Mehrheit von 41 Prozent Markus Söder inzwischen für den aussichtsreicheren Kandidaten hält als den amtierenden Ministerpräsidenten, der nur mehr auf 40 Prozent kommt. Einer Emnid-Umfrage im Auftrag der Bild am Sonntag halten außerdem 60 Prozent der Deutschen "eine personelle Erneuerung in den Spitzenpositionen von CDU und CSU" für notwendig. Lediglich 28 Prozent sind der Meinung, dass das nicht sein muss.

Die Opposition innerhalb der CDU formiert sich zwar noch zaghaft, wächst aber weiter: Zu den Unterstützern des potenziellen Merkel-Nachfolgers Jens Spahn werden mittlerweile unter anderem der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Daniel Günther, der Thüringer Landesvorsitzende Mike Mohring, der Wolfgang-Bosbach-Zögling Diego Faßnacht und Sven Rissmann, der Parlamentarische Geschäftsführer der Berliner CDU-Fraktion, gerechnet. Letzterer schrieb den Mitgliedern seines Kreisverbandes Berlin-Mitte, die CDU sei "dahingehend degeneriert, der Bundeskanzlerin bedingungslos zu applaudieren."

Merkel will jedoch offenbar so wenig freiwillig abtreten wie Helmut Kohl. Einige Beobachter vermuten sogar, dass sie die Jamaika-Verhandlungen absichtlich hinauszögern könnte, um kommissarisch mit noch weniger Parlamentskontrolle zu regierten als zuvor und möglicherweise in Brüssel vollendete Tatsachen schaffen (vgl. Lindner warnt Bundesregierung vor vollendeten Tatsachen in Brüssel).