Je kleiner, desto giftiger
Gefahr aus der Zwergenwelt
Nanopartikel sind ein Risiko für die Gesundheit. Zu diesem Schluss kommt die Technologie kritische ETC-Group in einer aktuellen Veröffentlichung.
Die Technologie der Zwergenwelt (Nano = griechisch Zwerg) scheint schier unendliche Möglichkeiten zur Verbesserung verschiedener Techniken zu bieten. Ein Nanometer entspricht einem Millionstel Millimeter. Ein menschliches Haar 50'000 Mal gespalten, ergibt eine Faser dieser Dicke. Durch Nanotechnologie werden Oberflächen Schmutz abweisend oder sogar selbstreinigend, medizinische Implantate oder Verbände verwachsen mit dem menschlichen Körper, Medikamente werden gezielt durch die Blutbahn zum Wirkungsort gebracht, Computer und andere elektronische Geräte können bei gleicher oder verstärkter Leistungsfähigkeit extrem verkleinert werden. Die Bereiche in denen die winzigen Bauteile eingesetzt werden sollen reichen von der Werkstoffproduktion über die Wehrtechnik bis zum Umweltschutz. Eine Entdeckung jagt in den Wissenschaftsjournalen die andere. Erst Anfang April machte die "Killer-Kleidung" Schlagzeilen, deren Oberfläche mit Nanodolchen bestückt ist, die Bakterien und Pilzsporen vernichten (vgl. New clothes stab bugs with molecular daggers).
Jetzt geraten die Nanopartikel selbst als potenzielle Killer in die Kritik. Und diesmal ist es kein Thriller von Michael Crichton (vgl. Die Angst des Lesers vor der Nanotechnologie), sondern eine wissenschaftliche Studie. Die ETC-Group (Action Group on Erosion, Technology and Concentration) warnt davor, dass die Konsequenzen des Nanotechnologie-Booms nie genügend untersucht wurden und verlangt, dass damit sofort begonnen werden muss. Die amerikanischen Technikkritiker hatten bereits vor wenigen Monaten eine Studie veröffentlicht, die unkontrollierbare Risiken der in der Verschmelzung von Bio- und Nanotechnologie anprangerte (vgl. Anschwellender Bocksgesang). Die Experten für Technikfolgenabschätzung sind keine versponnenen grünen Fundamentalisten, sondern namhafte Forscher, und die Arbeit der Organisation wird unter anderem von der Rockefeller-Foundation gesponsort. Das neue Paper der Group mit dem schönen Titel Size matters! bezieht sich auf die Forschungsergebnisse der letzten Jahre.
Maßgeblich miteinbezogen ist der Bericht des Pathologen Vyvyan Howard von der Universität Liverpool, die sich seit fast zwanzig Jahren mit diesem Thema beschäftigt und insgesamt 27 Studien dazu verfasst hat. Er zeigt auf, dass die winzigen Teilchen durch Einatmen, über den Verdauungstrakt und durch die Haut aufgenommen werden können. Nano-Partikel haben in vieler Hinsicht andere Eigenschaften als ihre "großen Brüder" aus dem selben Material. Das ist längst bekannt, erstaunlich ist nur, dass dabei ihre potenziell giftigen, gesundheitsschädlichen Wirkungen nie eingehend unter die Lupe genommen wurden. Vergangenes Jahr stellten Wissenschaftler fest, dass sich Nanopartikel in den Organen von Versuchstieren anreicherten. Die Partikel sind wesentlich kleiner als Viren.
Die Größe verändert die Eigenschaften und zudem ist unklar, ob Nanopartikel nicht auch Schadstoffe in den menschlichen Organismus transportieren. Dr. Howard dazu:
Die Forschung zeigt nun, dass wenn normalerweise unschädliche Materialien in ultrafeine Partikel [Nanopartikel] zerteilt werden, sie dazu tendieren toxisch zu werden. Im Allgemeinen kann man sagen: je kleiner die Partikel sind, desto reaktiver und toxischer werden sie.
Seit Jahren wird von einzelnen Wissenschaftlern und Kommissionen immer wieder die systematische Erforschung von gesundheitlichen Risiken, aber es gelang der Industrie trotzdem immer wieder, Genehmigungen zur Produktion zu erhalten, ohne dass dies geklärt wurde. Kathy Jo Wetter von der ETC Group stellt fest:
Obwohl die Industrie immer mehr Nanopartikel und Kohlenstoff-Nanoröhrchen herstellt, scheint es keine gesetzlichen Bestimmungen in Europa oder Nordamerika zu geben, um die Sicherheit der Arbeiter oder Konsumenten zu garantieren. Einige nationale Regierungen beginnen einige Aspekte der Regulation von Nanotechnologie zu bedenken, aber keine Regierung bezieht die umfassenden sozioökonomischen und Umwelt relevanten Aspekte sowie mögliche Gesundheitsfolgen dieser machtvollen neuen Industrie in vollem Umfang mit ein.
Heute sind Nanopartikel u.a. schon in Sonnencreme, Kosmetika, Textilien, Tennisschlägern und -bällen, Displays, Desinfektionsmitteln und Verbandsmaterialien enthalten. Das ist aber sicher erst der Anfang, Analysten sehen den Weltmarkt im Jahr 2005 bei 900 Millionen Dollar für Nanotechnologie-Produkte.