Je mehr Akademiker, desto klüger das Land?

Über wissenschaftliche und publizistische Kurzschlüsse in der Bildungsdebatte

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Mehr Akademiker braucht das Land! Dieser Ruf war am Montag anlässlich der Präsentation einer neuen Studie über die Qualifikationsstruktur der österreichischen Bevölkerung einmal mehr zu hören. Wenn die Wissenschaft schon auf problematische Weise eine höhere Akademikerquote mit einer höher gebildeten Bevölkerung gleichsetzt, dann setzen die Massenmedien hier noch eins drauf: "Österreicher so gebildet wie nie zuvor" oder sogar "Frauen retten Österreichs Bildungsbilanz - Frauen lernen erfolgreicher" war da in den Online-Ausgaben der Tageszeitungen der Alpenrepublik zu lesen.

Die Redakteure bzw. Content Manager der Tagespresse dürften die "Theorie der Unbildung" von Konrad Paul Liessmann (Interview: "Die besten Kopisten konnten nicht lesen") nicht gelesen haben. Aber auch ohne Kenntnis dieses Buchs müsste ihnen der Hausverstand gesagt haben, dass mit den Schlagzeilen etwas nicht stimmen kann.

Wenn in Österreich der Anteil der Abiturienten an der gleichaltrigen Gesamtbevölkerung in den vergangenen vierzig Jahren von rund 10 auf rund 40 Prozent gestiegen ist und die Akademikerquote auf ca. 18 Prozent angewachsen ist, dann sagt dies eben einzig und allein, dass mehr Jugendliche über ein Reifeprüfungszeugnis verfügen und es etwas mehr Akademikerinnen und Akademiker im Land gibt. Über die Qualität der Ausbildung wird nichts ausgesagt. Insofern ist die Rede von einer erhöhten Bildung reine bildungspolitische Ideologie, d. h. die Behauptung eines unbewiesenen Zusammenhangs.

In der Berichterstattung der Austria Presse Agentur finden sich gleich mehrere ideologische Voraussetzungen, die eine aufklärerische Gegenstimme notwendig machen. In der Meldung heißt es:

Der durchschnittliche Österreicher ist so hoch gebildet wie nie zuvor. Verantwortlich dafür sind vor allem die Frauen, die immer höhere Bildungsabschlüsse erreichen. Im internationalen Vergleich verfügt Österreich aber nach wie vor über geringe Maturanten- und Akademikerquoten.

Nachzulesen z.B. bei ORF.at

Die drei Fehlschlüsse sind:

  1. Aus dem Anstieg des Anteils der Abiturienten und Akademiker lässt sich nicht ableiten, dass der Österreicher "so hoch gebildet" ist "wie nie zuvor". Über die Qualität der Ausbildung, über die Qualität der mündlichen und schriftlichen Arbeiten von Abiturienten und Hochschulabsolventen, über das theoretische und praktische Wissen in den Hirnen der Zertifikatsinhaber und Titelträger wird nichts ausgesagt. Vielmehr wird einfach stillschweigend davon ausgegangen, dass der Bildungsstandard steige, wenn es mehr Akademiker gäbe. Vielleicht ist aber auch das Gegenteil der Fall: Möglicherweise sinkt das Bildungsniveau aufgrund der immer schlechteren Ausbildung an höheren Schulen und Universitäten. Oder aufgrund der Tatsache, dass es an vielen Fachhochschulen und Studiengängen gar nicht mehr primär um Wissensvermittlung, sondern um Titelmarketing geht.
  2. Dass Frauen für die höhere Bildung der Österreicher "verantwortlich" seien, ist der nächste Fehlschluss. Es lässt sich höchstens (wertfrei) feststellen, dass der Frauenanteil bei den Abiturienten (sehr stark) und bei den Akademikern (stark) zugenommen hat. Dass die Frauen damit Österreichs Gesellschaft insgesamt klüger machen würden, wie es die Berichterstattung suggeriert, darf wohl erneut als politisch korrekte Ideologie gewertet werden.
  3. Dass Österreichs Akademikerquote im Vergleich zum OECD-Schnitt von ca. 25 Prozent zu niedrig ist, wird von den Bildungspolitikern der Alpenrepublik immer wieder beklagt. Diese Klage macht aber nur Sinn, wenn vorausgesetzt wird, dass mehr Akademiker per se ein höheres Bildungsniveau und somit insgesamt eine besser qualifizierte Bevölkerung garantieren. Damit beißt sich die Katze in den Schwanz, und wir sind so schlau wie am Anfang.

Akademikerquote sagt nichts über Bildungsqualität aus

Schon vor einigen Jahren fand der Präsident des Deutschen Lehrerverbands deutliche Worte zur Ideologie der Erhöhung der Akademikerquote:

[...] Laut genug war einmal mehr die jetzt vermeintliche OECD-amtliche statistische Untermauerung der Uralt-Klage um die angeblich zu geringe Abiturienten- und Studierquote in Deutschland. [...] Für die Bundesregierung war die OECD-Studie erneut Anlass zum Appell, alles zu unternehmen, um die Studienanfängerquote in Deutschland zu steigern [...]. Und das Gros der Zeitungen betete all dies brav nach.

Josef Kraus

Genau so geschehen gestern in Österreich, viereinhalb Jahre später.

Anstelle immer wieder dasselbe Lied zu singen, sollte man die Karten einmal neu mischen: Wären nicht Langzeitstudien aufschlussreicher, die etwa erheben, ob Abituraufgaben in den vergangenen Jahrzehnten leichter oder schwerer geworden sind? Ob Lehrer strenger oder milder beurteilen? Wie sich die Qualität der akademischen Abschlussarbeiten in den vergangenen Jahren entwickelt hat (Indikatoren wie Eigenständigkeit der Forschung und der Wissenschaftsprosa, Quellenkritik u. a.)? Wie sich die Betreuungsverhältnisse verändert haben? Freilich wären solche Forschungsdesigns komplex und wohl nur punktuell zu realisieren, aber aufschlussreicher wären sie allemal.

Wir müssen gar nicht laut nach noch mehr PISA-Tests rufen. Es würde schon genügen, die bildungspolitische Debatte endlich von ihren ideologischen Altlasten zu befreien und sich empirisch die spannenderen Fragen zu stellen.