Jean-Luc Mélenchons linksnationalistische Wende und neue Angriffspunkte

Seite 2: Mélenchons neue Register

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Fünf Jahre später zog Mélenchon deswegen im Wahlkampf 2016/17 andere Register. So wurde nunmehr bei seinen Veranstaltungen nicht länger - wie es bei Mélenchons Verbündeten von der französischen KP bereits seit 1936 in dieser Kombination üblich war - sowohl die "Marseillaise" als auch im Anschluss die "Internationale" gesungen. Vielmehr wurde nunmehr nur noch die französische Hymne angestimmt, die "Internationale" verschwand dagegen aus dem Repertoire.

Machte Mélenchon sich im Jahr 2012 noch ziemlich eindeutig für das Menschenrecht auf (auch internationale) Bewegungsfreiheit stark, so erschien nunmehr in seinen Auftritten ab 2016 Migration hauptsächlich noch als ein Negativzustand, als das "Leiden" über den Abschied und die Entfernung vom Herkunftsland.

An die Stelle der Verteidigung der Migranten im Ankunftsland - auch wenn diese mitunter weiterhin in Mélenchons Repertoire vorkam - trat überwiegend die Rede von der "Bekämpfung der Fluchtursachen" in den Herkunftsländern.

Nun spricht im Prinzip sicherlich nichts dagegen, die Ursachen dafür zu beseitigen, warum Menschen fliehen. Nur werden sich dadurch menschliche Migrationsbewegungen im 21. Jahrhundert sicherlich nicht wieder auf Null drehen lassen.

Vor allem jedoch bildet ebendiese "Bekämpfung der Fluchtursachen" noch in jeder Sonntagsrede bürgerlicher Politiker in jenen Ländern, die hauptverantwortlich für diese Ursachen sind - etwa durch die fortgesetzte rücksichtslose Ausbeutung der Rohstoffe in der so genannten Dritten Welt - eine rhetorische Figur.

Sie wird immer dann beschworen, wenn es gilt, die Idee zu rechtfertigen, die Menschen aus diesen Ländern hätten gefälligst dort zu bleiben, wo sie herkommen (und notfalls werde man sie dazu zwingen). Auch Mélenchon hat sich diesem Dauerdiskurs zumindest angenähert.

EU-Flagge raus?

Im Herbst 2017 verschärfte er den nationalistischen Diskurs noch, indem er die von ihm angeführte Parlamentsfraktion der locker strukturierten - und durch ihn geleiteten - Wahlbewegung La France insoumise beantragen ließ, die EU-Flagge aus den französischen Parlamentsräumen zu verbannen. Die französische Nationalfahne ebenfalls von dort zu beseitigen, war hingegen nicht Gegenstand des Antrags.

Um seine Handlung nicht als Spiegelbild solcher der extremen Rechten erscheinen zu lassen, die ihrerseits die EU-Flagge aus von ihr regierten Rathäusern verbannt hat, schickte Mélenchon eine spezifische Begründung voran: Die EU-Fahne sei von Marienbildnissen oder jedenfalls von religiösen Einflüssen inspiriert - was übrigens laut Aussagen von Arsene Heitz, der sie 1955 entwarf, tatsächlich zuzutreffen scheint - und verstoße deswegen gegen Frankreichs Prinzip der Trennung von Religion und Staat.

Geht man allerdings auf die historischen Ursprünge jeden Symbols zurück, muss man feststellen, dass die Anhänger der Commune de Paris von 1871 die blau-weiß-rote Trikolorefahne als jene ihrer Mörder (der in Versailles ansässigen Regierung unter Adolph Thiers) bezeichneten. Die selektive Empörung Mélenchons und seiner Leute über die europäische, nicht jedoch die Nationalflagge erscheint insofern vor dem Hintergrund der Geschichte der französischen Linken als kurios. Ihr Antrag kam übrigens nicht durch.

Mélenchon bot sich zugleich unverhohlen den "Souveränisten", wie gegen die EU gerichtete Nationalisten sich in Frankreich oft bezeichnen, als Bündnispartner, wenn nicht Sprachrohr an.

Reaktionen: Kritik an Mélenchon

Solche Töne sind bei dem französischen Linkspolitiker relativ neu. Nun setzte es erstmals äußerst harsche Kritik auch im Organ eines politischen Verbündeten, nämlich in den Spalten der französischen KP-Tageszeitung L'Humanité. Im Dezember griff dort der Schriftsteller Jean Rouaud in einem Gastbeitrag Mélenchon anhand von zwei unterschiedlichen Aspekten äußerst scharf an, und machte dabei erstmals auch vor einem Vorwurf des Antisemitismus nicht halt.

Der Beitrag ist inzwischen leider aus dem Online-Archiv der Zeitung verschwunden, nachdem der Chefredakteur der Zeitung seinerseits eine Erwiderung auf den - in seinen Darstellung hemmungslos überzogenen - Kommentar verfasst hat. Tatsächlich ist er bei weitem nicht der Einzige, der von weitgehend überzogenen Anwürfen spricht. Doch schauen wir uns den Inhalt der Kritik, die auch außerhalb der linken Presse für Schlagzeilen sorgte, ein wenig näher an.

Rotes Dreieck oder gelber Stern

Im ersten Punkt dürften die Vorwürfe von Mélenchon wohl abprallen. An diesem Punkt warf der Schriftsteller Rouaud dem Linkspolitiker vor, er schmälere das Andenken an die ermordeten Juden, indem er sich ein anderes Symbol als den gelben Stern - in Gestalt eines roten Dreiecks - ans Revers hefte. Dadurch werte er, behauptete der Autor, ein konkurrierendes Zeichen auf. Als gelte es, einen Exklusivitätsanspruch zu wahren.

Dieser Vorwurf dürfte reichlich haltlos sein. Das rote Dreieck ist nicht als beabsichtigte Konkurrenz zur Anerkennung der Judenvernichtung aus dem Nichts erschaffen worden, sondern es hat seine eigene historische Bedeutung und steht für eine durch und durch legitime Aussage.

Ursprünglich stand es als Wahrzeichen für die Arbeiterbewegung und hatte dabei einen sehr konkreten Hintergrund - acht Stunden Arbeit, acht Stunden Schlaf und acht Stunden Freizeit täglich (so lautete eine Grundforderung der frühen Gewerkschaftsbewegung) bildeten ein Dreieck.

Unter dem Nationalsozialismus wurde es zum Kennzeichen linker politischer Häftlinge, die zeitlich als erste in den Konzentrationslagern landeten, wobei zwischen solcherlei Konzentrations- und den späteren Vernichtungslagern unterschieden werden muss. In Frankreich diente ein solches rotes Dreieck in den letzten Jahren und Jahrzehnten oft als Abzeichen antifaschistischer Gesinnung. Auch Mélenchon trug lange Zeit ein solches Symbol an der Jacke.

Es gibt wahrlich keinen Grund, auf dieses Symbol politischer Aktivität gegen die extreme Rechte etwa deswegen zu verzichten, weil man darum weiß, dass es über politisch Verfolgte im nationalsozialistischen Deutschland hinaus eine ungeheure Zahl "rassisch" Verfolgter, also Opfer des besonders mörderischen Staats-Antisemitismus im Nationalsozialismus, gegeben hat.

Das eine anzuerkennen, schließt das andere mitnichten aus; und das eine wahrzunehmen bedeutet auch nicht, die Anerkennung des anderen zu verdrängen. Es ist eher Jean Rouaud selbst, der hier eine haltlose Opferkonkurrenz aufmacht. Darauf weist auch der L'Humanité-Chefredakteur in seiner Erwiderung zu Recht hin.

Man darf hinzufügen, dass, hätte Mélenchon stattdessen einen gelben Stern an seiner Jacke befestigt, der Schriftsteller ihm auch just dies zum Vorwurf machen hätte können: Heften Nichtjuden sich selbst einen gelben Stern an, haftet dem ein Geruch der Vereinnahmung an - der Beanspruchung eines Opferstatus, den sie so nie innehatten. (Tatsächlich gibt es auch genügend Beispiele mindestens geschmack- und geschichtsloser Selbststilisierung zu Opfern mit diesem Symbol). Mélenchon also vorzuwerfen, dass er ein antifaschistisches Symbol benutzt, sich jedoch nicht selbst einen gelben Stern andrückt, führt also offenkundig ziemlich in die Irre.

Hingegen sieht die Kritik Jean Rouauds an einem zweiten Punkt zunächst plausibler aus. Sie hängt sich an einem Ausspruch Mélenchons auf, welchen er nach seinem Auftritt bei der TV-Sendung L'émission politique am 30. November 17 (vgl. hier die Debatte in voller Länge) tätigte.