Jean-Luc Mélenchons linksnationalistische Wende und neue Angriffspunkte

Seite 3: Mélenchon entfacht eine "communautarisme"-Debatte

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Mélenchon war im Laufe der über zweistündigen Sendung mit reichlich Gegnerinnen und Gegnern konfrontiert worden - etwa mit Landwirten, die anders als er gegen das Verbot des Pestizids Glyphosat eintreten, mit Unternehmerinnen und vorgeblich unparteilichen Menschen aus der Zivilgesellschaft, die sich als ziemlich parteiisch herausstellten (was allerdings dem Prinzip der Debattensendung entspricht). In Rage brachte ihn unter anderem ein Zusammenstoß mit der jungen Schriftstellerin Laurence Debray.

Die Tochter des früheren französischen Linken und Che Guevara-Fans Régis Debray - er ist selbst längst konservativ gewendet - und einer früheren venezolanischen Kommunistin ist eine glühende Liberale und hasst das Regime in Venezuela wie die Pest, oder wie der Teufel das Weihwasser verabscheut. Mélenchon seinerseits gilt seit Jahren als eher unkritisch gegenüber dem Regime unter Hugo Chavez respektive seinem Nachfolger Nicolas Maduro.

Nachdem Mélenchon schon während der Sendung gegenüber deren Leitung losgepoltert hatte, was die Auswahl seiner Gesprächspartner betraf, ereiferte sich kurz darauf im Internet noch erheblich mehr. Dabei griff er die Moderatorin Léa Salamé mit folgenden, sicherlich interpretierungsbedürftigen Sätzen hart an:

Ich glaubte, Léa Salamé sei guter Absichten, als sie mich einlud. Ich erwartete eine tollte Debatte über die beiden widerstreitenden Lehren zur Wirtschaftspolitik und so weiter. Ich bekümmerte nicht über ihre familiären, politischen und gruppenbezogenen Bindungen (im Original : liens familiaux, politiques et communautaires). Als sie mich wegen meines angeblichen Neureichen-Vermögens angriff, mich, den Sohn eines Postboten und einer Grundschullehrerin, hätte ich ihr ziemlich begründete Vorhaltungen in Sachen Familien und Vermögen machen können.

Jean-Luc Mélenchon

Die Besonderheit des Ausdrucks "communautaire"

Diese Sätze sind an einem neuralgischen Punkt nicht einfach - Wort für Wort - zu übersetzen und ohne weiteres verständlich. Dabei geht es um den, in französischen Politik mitunter beliebten, Ausdruck communautaire (gruppenbezogen), welcher - mitsamt seinen Ableitungen - in aller Regel immer dann benutzt wird, wenn in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung jemand Partikularinteressen von Gruppen kritisieren möchte.

Attackiert etwa ein Rechtspolitiker einen in seinen Augen zu großen Einfluss des Islam in Frankreich oder (wie man in Deutschland wohl sagen würde) "Parallelgesellschaften" von Einwanderern, dann wird er dafür den Ausdruck communautarisme benutzen. Dieser Ausdruck wird dann also in etwa "eine Ideologie, die Partikular- über Allgemeininteressen stellt", bezeichnen.

Selbstverständlich zählt dieser Begriff unter anderem, jedoch keineswegs ausschließlich, auch zum Vokabular der Rechtsextremen Marine Le Pen.

Auch Mélenchon benutzte also eine Variante des Begriffs in diesem speziellen Zusammenhang. Nun stellt sich jedoch die Frage, was er damit gemeint haben könnte, als er Moderatorin Léa Salamé sinngemäß die Verbundenheit mit Partikularinteressen vorwarf.

Antisemitisch fundierte Kritik?

Eine These dazu lautet: Er meine eine antisemitisch fundierte Kritik, indem er die TV-Journalistin Salamé als Jüdin eingeordnet habe. Dies ist die These von Jean Roucaud in seinem oben zitierten Artikel, aber sie wird mittlerweile auch in rechtsextremen Quellen verbreitet, deren Betreiber allzu froh sind, nun eine Kampagne wegen vorgeblichen Antisemitismus gegen Links lostreten zu können. (Vgl. hier in einer französisch-nordamerikanischen rechten Publikation, wo man 2011 tendenziell Anders Behring Breivik rechtfertigte - und noch nicht einmal den Namen von Jean Rouaud richtig schreiben kann, welcher am Ende zu "Rouat" wird.)

Das Problem ist nur, dass eine solche Einordnung grobschlächtig falsch wäre: Léa Salamé, 1979 in Beirut geboren, ist eine Französin libanesischer Herkunft und hat keine jüdischen Wurzeln. Sicherlich ist nicht völlig auszuschließen, dass Mélenchon dies irrtümlich angenommen haben könnte. Allerdings ist der Mann für gewöhnlich etwas besser informiert, bevor er in eine Angriffsposition übergeht, auch wenn Mélenchon für seine regelmäßigen Poltereien gerade auch gegenüber Medienschaffenden durchaus bekannt ist.

Präzisierungen Mélenchons

Jean-Luc Mélenchon selbst hat seine Äußerungen inzwischen präzisiert, indem er in seinem Text aus "liens communautaires" nunmehr "liens communautaires politiques" (sinngemäß: Verbindungen zu politischen partikularen Gruppeninteressen) machte. Diese Behauptung seinerseits gegen Léa Salamé gerichtet, bleibt zwar reichlich verquast. Sie soll jedoch verdeutlichen, dass er keine angebliche, noch dazu sachlich falsche, Zugehörigkeit zur jüdischen Bevölkerungsgruppe gemeint habe.

Die Wahrheit liegt wohl im Kern darin, dass Mélenchon die TV-Journalistin tatsächlich nicht wegen eines vermeintlichen jüdischen Hintergrunds attackieren wollte - dies würde ihm tatsächlich absolut nicht ähnlich sehen -, wohl aber, dass er sie mit einer patriotischen Rhetorik in Widerspruch zu einem vermeintlichen nationalen Allgemeininteresse setzen wollte. Was kritikwürdig genug ist, ohne alle ideologisch-moralischen Kampagnen wie die von Jean Rouaud zu rechtfertigen.

Versuchen wir ein vorläufiges Fazit: Mélenchons in den letzten rund zwei Jahren vollzogene linksnationalistische Wende, die ihn stärker zu EU-Gegnerschaft und Einwanderungskritik hintrieb, kann, darf, ja muss Gegenstand inhaltlicher Kritik insbesondere auch aus der Linken sein. Unterdessen nährte sie in der jüngere Zeit auch Kampagnen, deren Wahrheitsgehalt, insbesondere bei dem - bis zum Beweis des Gegenteils doch ziemlich hergeholten - Vorwurfs des Antisemitismus, zweifelhaft bleibt. Inhaltlich da die Spreu vom Weizen zu trennen, dies sollte Gegenstand der Debatte sein.