Jedem sein Bauhaus

Seite 2: Tanz ins neue Jahrhundert

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Lässt sich das Bauhaus verantwortlich machen für die Moderne, und ist die Moderne verantwortlich für die Bausünden der Nachkriegszeit? Die Frage wiederholt sich im Prinzip mit jeder neuen sozialen und kulturellen Aufbruchsbewegung. Ist die Jugendbewegung verantwortlich für das Aufkommen der SA gewesen und die Studentenbewegung für die RAF? Ist die Kunstbewegung des Futurismus mitschuldig am Faschismus?

Die Möglichkeit, dass die Emanzipation in Repression umschlägt, ist beim Bauhaus im Topos des Gesamtkunstwerks begründet. Der Anspruch einer umfassenden Totalität von Leben und Kunst holt die Utopie und das Ziel eines "Schönguten" in die Welt zurück, die vom Übel sozialer Ungleichheit erlöst wird. Leider gibt es stets einige, die das Licht der Aufklärung, das die neue Gemeinschaft erfasst, nicht annehmen möchten. Sie gehören nicht zum "Wir". Die Aufklärung wird exklusiv und gewaltsam. Hannes Meyer erlebte das in der Sowjetunion am eigenen Leibe, leugnete jedoch den Gulag.

Figurinen zum Triadischen Ballett, Staatsgalerie Stuttgart. Bild: José Luiz Bernardes Ribiero / CC-BY-SA-4.0

Oder trägt Le Corbusier für die Überflutung der Städte mit automobilem Verkehr die Verantwortung? In seinen frühen Entwürfen gegliederter und aufgelockerter Städte, die in verschiedene Funktionen dividiert sind, sah er durchaus Platz für Grün. Dass die schlechtere der Alternativen obsiegte, dürfte daran liegen, dass Le Corbusier den Totalitarismus der Bauwirtschafts- und Verkehrslobby nicht ins Kalkül gesetzt hat.

Von seinen Kritikern wird dem Bauhaus unter Gropius auch vorgeworfen, für die Pflege eines Bauhausstils verantwortlich zu sein. Objekte wie die "Wagenfeld-Lampe" werden dann als Marke Bauhaus ins Luxussegment hochgejubelt. Im Ergebnis wird das Bauhaus elitär. Funktionalismus wird zum hohlen Begriff. Gropius widersprach unter Hinweis auf das eigentliche künstlerische Programm des Bauhauses. Die Versteinerung und Verewigung zum Stil vertrage sich nicht mit dem fließenden Raum. Der Raum wird durch die Befreiung vom Ornament erweitert, elementarisiert und in Bewegung gesetzt. Dieses dynamische Raumkonzept ist fraktal. Es umfasst alles vom Gebrauchsgegenstand über die Architektur bis zum Städtebau.

Ob Gropius' Ansicht der Realität standhält, bleibt offen, fest steht jedoch, dass die Steigerung zum Luxus auch unabhängig von der Intention der Bauhäusler als kultugeschichtlicher und sozialer Prozess abläuft. Die Objekte gentrifizierten sich mit den Nutzern. Ein neuer Mittelstand kam in der Nachkriegszeit auf und suchte die alten Geschmackseliten zu übertrumpfen. "Schöner Wohnen" sollte den Alltag ästhetisieren. Die Bauhausobjekte wurden im veränderten Kontext neu rezipiert. Sie wurden zu Kultobjekten eines geschönten und getönten Lebens. Dagegen ist kein Kraut gewachsen.

Mies van der Rohe wird aus den nachträglichen Debatten herausgehalten. Er steuerte gleich die Luxus-Produktion an. Er war "kein Bauhäusler", sagen die Kritiker, da er die "Ästhetik der Masse" links liegen ließ. Das täuscht. Wie kein anderer beherrschte er das Wechselspiel von innen und außen und die Abstraktion von Raumgrenzen. Deswegen nutzte er Glasfassaden. Die Beziehung zur Landschaft war subtil inszeniert, und der Blick ging in viele Richtungen: Die Bewohner selbst, meist Fabrikantenfamilien, wurden gläsern. Gelegentlich sträubten sie sich gegen so viel Einsicht. Doch Mies kannte kein Pardon. Allerdings ist auch diese Zur-Schau-Stellung nicht dagegen gefeit, zum Stil zu werden.

Der Bauhaus-Kenner Tomás Maldonado, der an der Ulmer Hochschule für Gestaltung (1953-1968) lehrte, plädierte dafür, die Künstler an ihren Ideen zu messen. Die Ideen stecken in ihren Werken. Dieser Ansatz ist fruchtbarer als die Erklärung aus der Biografie der Personen und aus ihren Streitigkeiten mit anderen Personen. Die Architektursprache ist nicht unbedingt kongruent mit der politischen Haltung oder der psychischen Verfasstheit des Architekten. Das gilt auch für das Bauhaus insgesamt. Mies: Das Bauhaus war erfolgreich, weil es eine Idee war. Nur als solche hat es die Kraft zur Verbreitung, nicht als Organisation und nicht durch Propaganda.

Die Idee des Bauhauses war die künstlerische Umsetzung eines Universalprinzips, das alle Bereiche des Lebens durchzieht. Die Suche nach dem 'Universale' hatte je nach Künstler verschiedene Ergebnisse. Für Kandinsky waren es zum Beispiel Dreieck, Kreis und Quadrat, für Bruno Taut war es die Bauform des Kristalls. Piet Mondrian ging mit der Abstraktion am weitesten.

Die Kraft dieser Idee entfaltete sich zur Eröffnung des Bauhaus-Jahres an einem anderen Ort, der Akademie der Künste im Berliner Tiergarten. Im Mittelpunkt stand die Bauhausbühne unter Oskar Schlemmer. Er leitete von 1923-29 die Bühnenwerkstatt. Sein bekanntestes Werk ist das "Triadische Ballett". Wenn nach dem Universalgesetz des Bauhauses Raum erst durch Bewegung erfahrbar wird, liegt die Darstellung im Tanz nahe. Der Körper, der mit dem Raum verschmilzt, ist abstrakt. Er wird geometrisiert. Die Tänzer werden zu Figurinen, deren bekannteste "die Abstrakte" heißt.

Die Figurinen sind "Raumplastiken", aber ungreifbar. Sie sind Maschinen, die sich wie Menschen bewegen, und umgekehrt. Der Mensch ist zum Körper geworden und dieser zum marionettenhaften Bewegungsapparat. Der Automat wird von magischen Kräften getrieben. Die Bühne dieses "Totaltheaters" reicht zugleich in die Gesellschaft hinein, wo der Maschinenmensch, der entfremdet im Räderwerk der Industrie rotiert, eine massenhafte Erscheinung ist. Die Macht der stampfenden Industriemaschinen, die den Lebensrhythmus vorgeben, wird durch das Tanztheaterspiel zugleich gebannt.

In diesem Theater soll die Trennung zwischen Bühne und Zuschauer aufgehoben werden. Figuren, die auch mal Glaskostüme tragen, werden vom Licht durchdrungen und durchdringen ihrerseits den Raum. Der "Tanz im Glas" ist ein Höhepunkt des "fließenden", nicht euklidischen Raums, wenn auch nur eine Variante neben dem Metalltanz, der mit Lichtreflexen arbeitet, dem Reifentanz usw.

Die Motorik jener automatischen Figuren stammt unverkennbar aus dem mechanischen Zeitalter. Sie lässt sich spielend ins digitale Zeitalter übertragen. Das belegte eine brillante Virtual-Reality-Installation im Ausstellungsraum der Akademie. Der Besucher wird mitten ins Geschehen versetzt. Die Schlemmerschen Figurinen sind unantastbar wie Geister. Ihr Tanz im schwarzen Raum ist schwerelos. Durch VR-Brillen können die Zuschauer-Akteure tiefer in den virtuellen Bühnenbau eintauchen und persönlich in die Choreographie eingreifen. Vorn oder hinten, unten oder oben, das bleibt sich gleich. Die Mensch-Maschine-Illusion ist perfekt. Der Choreograph des "Totalen Tanztheaters" ist Richard Siegel. Es wird im September in Dessau wiederholt.

Der virtuelle Tanz trägt die "Idee Bauhaus" ins 21. Jahrhundert. Die Avantgarde ist zum Klassiker geworden, indem sie ihre Erneuerungsfähigkeit beweist. Die Moderne überlebt, wenn sie sich von Endzeiterwartungen verabschiedet.