Jedem sein Bauhaus
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Das Bauhaus ist umstritten wie je zuvor, aber nicht totzukriegen
Ein Mord und eine Vergewaltigung sind geschehen, ohne dass der Zuschauer den Hergang kennt. So beginnt der Film "Rashomon", 1950 von Akira Kurosawa gedreht. Vier Beteiligte oder Zeugen treten vor Gericht auf. Jeder erzählt seine Version, jeder eine andere, sodass die Tat auch für den Zuschauer immer geheimnisvoller wird. Im Rahmen der Handlung wird ein ruinöser Tempel rückgebaut, um ihn zu verheizen. Die Wahrheit gibt es nicht. Sie ist ein Mythos.
Dieser Mythos umgibt auch das Bauhaus, das wie die Vertreter des Neuen Bauens insgesamt Licht in die verzopfte Architektur und in die obskuren sozialen Verhältnisse bringen wollte. In der europäischen Kulturgeschichte ist das Licht das Symbol für Vernunft und Wahrheit. Die Auftaktveranstaltungen zum Bauhaus-Jubiläum bestätigten jedoch den "Rashomon-Effekt". Jeder sieht im Bauhaus etwas anderes.
Noch beunruhigender: Jeder, der im Bauhaus selbst arbeitete, sah in ihm etwas anderes. Aber hier schwingt die Projektion heutiger Animositäten über das Bauhaus mit. Paul Klee sah hingegen im "Streit der Fakultäten", wie es Kant formulieren würde, im Dialog aller Fachrichtungen und Gewerke durchaus eine Kultur. Die Reform, die die neue Kunstschule in Weimar angestoßen hatte, bestand gerade in der produktiven Zusammenführung von Architektur, Bildhauerei und Malerei, von Kunst, Technik und Handwerk. Gropius ermunterte die Studierenden zur Grenzüberschreitung.
Gelegentlich knirschte es, so zwischen dem für seine Farbenlehre bekannten Johannes Itten und Walter Gropius, zwischen dem Mazdaznan-Anhänger, der die Kunst um ihrer selbst Willen betrieb, und dem zweckmäßig denkenden Rationalisten. Als wegen prekärer Finanzen die "Auftragsnotwendigkeit" für das Bauhaus stieg, gerieten die reinen Maler unter Druck und die anwendungsorientierten Werkstätten bekamen mehr Gewicht.
Eine schärfere Gangart kam mit dem Streit zwischen den Bauhausdirektoren Gropius und Hannes Meyer auf, der 1928 die Leitung übernahm. Dieser liebäugelte mit dem Kommunismus, was sich inhaltlich und pädagogisch in dem Vorsatz niederschlug, "Volksbedarf statt Luxusbedarf" zu schaffen. Dagegen hatte Gropius, der die Strippen zog, zunächst nichts, aber "Kommunismus" war das Reizwort, auf das rechte und völkische Parteiungen nur gewartet hatten, um das Bauhaus kaputt zu machen. Gropius wollte im Unterschied zu Meyer die Politik aus dem Bauhaus heraushalten. 90% seiner Arbeitsleistung am Bauhaus seien ein "Abwehrkampf" gewesen sagte er.
Die Politik schwappte dennoch ins Bauhaus, dessen Lebensdauer sich mit der der Weimarer Republik deckte. Der Riss zwischen links und rechts ging durch die Studentenschaft. Schon unter Hannes Meyer zeichnete sich ab, dass das Programm, mit künstlerischen Mitteln die fortschreitende technische Rationalisierung in eine Sozialreform zu überführen, scheitern musste. Der letzte Direktor, Mies van der Rohe, hatte gar nicht mehr den Anspruch: "Ich bin kein Weltverbesserer." Es half ihm und dem Bauhaus nichts. Half nichts gegen die Nazis.
Der Streit zwischen Gropius und Meyer wurde sehr monologisch geführt. Ein regelrechter Ausstellungskrieg entbrannte. Wo immer das Bauhaus sich präsentierte, zeigten Gropius oder Meyer jeweils nur "ihr" Bauhaus. Nach dem Krieg, als die Bauhäusler schon über die ganze Welt verstreut waren mit Schwerpunkt USA, setzte sich das fort und bestimmte auch die Rezeption in Westdeutschland.
1953 trat der Architekt Rudolf Schwarz eine Debatte los, indem er das Bauhaus eines mechanischen Funktionalismus, eines fordistischen Formalismus und eines ästhetischen Technizismus bezichtigte. Die Bauhaus-Künstler bezeichnete er gar als Terroristen. Die anti-modernen Untertöne dieser Invektiven erhalten einen ganz neuen, in Wahrheit wohlbekannten Klang, wenn Schwarz den Untergang des Abendlandes wittert.
Die Fronten werden klar, wenn zur gleichen Zeit Werner Haftmann, der Kunsthistoriker, der maßgeblich an der Durchführung der ersten "documentas" beteiligt war und später die "Neue Nationalgalerie" in Berlin leitete, die "Bauhaus-Malerei" dafür lobt, den Namen "Bauhaus" fest in die Annalen der Geschichte und auch der freien Kunst eingegraben zu haben. Der Brückenschlag zur Kunst der Zwanziger Jahre sollte Deutschland wieder den Anschluss an die internationale Kunstentwicklung verschaffen. Inbegriffen war die - sinnbildliche - Wiederaufnahme in die internationale Staatengemeinschaft.
Der "Name Bauhaus", wie Haftmann ihn ausspricht, spielt auf einen langandauernden Streit um das Bauhaus als Marke an: Gab und gibt es einen Bauhausstil, und seit wann? Die Migration des Bauhauses trug zu seiner Legendenbildung, zum Mythos bei. Die Amerikaner H.-R. Hitchcock und Ph. Johnson verwässerten in ihrer Rezeption von Anfang der dreißiger Jahre die Formensprache des Bauhauses, machten sie passförmig für egalitären Hochhausbau. Im Gewand dieses "International Style" re-importierte Westdeutschland nach dem Krieg das Bauhaus bzw. was von ihm übrig geblieben war. Michael Sorkin: "Die moderne Architektur hat Amerika nicht erobert; es war genau umgekehrt."
Nicht allen Deutschen gefiel diese Dialektik; auch nicht allen Amerikanern. Der Journalist Tom Wolfe attackierte 1981 die "Geschmacksdiktatur" des Bauhauses. Diese Architektur ignoriere die Wünsche der Bauherren und nutze einen amerikanischen Inferioritätskomplex gegenüber dem europäischen Kolonialismus aus. Stempelt Wolfe das Bauhaus nachträglich zu einem Zeugnis unamerikanischer Umtriebe?
Einen möglichen Schlüssel zur Deutung solcher Verdikte lieferte der Vortrag von Beatriz Colomina auf der Eröffnungsveranstaltung im Berliner "Haus der Kulturen der Welt". Unterstützt von Mark Wigley stellte sie das Bauhaus und die gesamte Moderne als Ausgeburt übelster Perversionen dar. Es war ein Vortrag aus dem Gruselbuch der Sexualpathologien. Schwule Liebschaften zwischen Bauhausmeistern und Ehebruch nahm sie beiläufig in den Reigen der Schwerstdelikte auf. Fotos vermeintlicher Unsittlichkeiten, die sie präsentierte, stammen womöglich zum Teil von verwandlungsfreudigen Künstlerfesten, die zum Bauhaus wie zu jedeweder Künstlergemeinschaft gehörten.
Die Geschlechterbeziehungen am Bauhaus machten in der Tat nicht vor dem offenen Umgang mit freier Liebe halt. Was damals modern anmutete, ist heute Common sense. Aber Colomina stellt diese Liebeleien am Bauhaus so monströs abnorm dar, wie sie sich Weimarer Spießbürger damals - unter Protest - vorstellten.
Ist sich Colomina bewusst, dass sie die Bauhauskunst noch einmal für entartet erklärt? Der dem nostalgisch rückwärtsgewandten Heimatschutzstil verpflichtete Architekt Paul Schultze-Naumburg hatte es vorgemacht: Bereits zur Zeit der Weimarer Republik dokumentierte er Bildende Kunst, vornehmlich Malerei, der Moderne, um sie der physischen und psychischen Pathologie zu überführen. Er war der Vordenker der Interpretation der Moderne als "Entartete Kunst".
Über das Bauhaus schrieb er: Es zieht "der germanischen Rasse den Boden unter den Füßen weg." In der Realität war das Gegenteil der Fall. Bald nach der Vertreibung des Bauhauses aus Weimar übernahm er die Leitung der Kunstschule im Van-de-Velde-Bau und nazifizierte sie. Als Gutachter war er maßgeblich beteiligt an der neuerlichen Vertreibung des Bauhauses aus Dessau und an der Schließung in Berlin. Ist der Hass1 auf die Moderne ein Unterzug aller Bauhaus-Debatten? Überträgt sich dieser Hass auf einen Bilderstreit, bei dem sich die Verdrängungsleistung an den Bildern entzündet und durch Vernichtung entlädt?