Jemen: 90.000 Einsätze der Luftwaffe unter saudi-arabischer Führung
Die humanitäre Not im Land sei von anderen verschuldet, heißt es aus Riad
Es ist eine unglaubliche Zahl: Saudi-Arabien soll seit offiziellem Beginn seiner militärischen Intervention im Jemen vor zwei Jahren (26. März 2015) 90.000 Luftangriffe geflogen sein. Auf seinem Twitter-Account rechnet Haykal Bafana, der sich als "Gärtner, Denker und Anwalt" beschreibt, diese Zahl auf tägliche Einsätze um. Er kommt auf 123 Einsätze pro Tag und einen Luftangriff jede 12 Minuten.
Das ist immens und wirft Zweifel auf. Die Nachricht von den 90.000 Luftangriffen findet sich als Retweet auf dem Kurznachrichtenkonto von Elijah J. Magnier, eines bekannten Analysten der Kriege und Konflikte im Nahen Osten. In seinen Lagebeurteilungen ist Magnier eine Quelle, auf die wegen seiner Kenntnisse und nüchternen, analytischen Schärfe Verlass ist. Das bedeutet freilich nicht, dass jeder Tweet von außen überprüft ist und die Information "belastbar" ist.
Immerhin aber verweist der Tweet von den 90.000 saudischen Airstrikes auf eine offizielle, belastbare Quelle. Genannt hat die Zahl nämlich General Ahmed al-Asiri. Er ist Sprecher der von Saudi-Arabien geführten Koalition im Jemen. Auf den englisch-sprachigen saudi-arabischen Nachrichtenseiten ließ sich dazu bei einer Schnellsuche keine Bestätigung finden.
Doch taucht die Zahl in einem Bericht der Washington Times vom 17.März auf. Dort wird al-Asiri mit einer Aussage vom selben Tag zitiert, wonach die Koalition seit Beginn der Militärintervention mehr als 90.000 Flugeinsätze (i.O. "sorties") verzeichnet. Wie viele Raketen oder Bomben bei diesen Einsätzen im Jemen losgeschickt wurden, sagte Asiri nicht. Er wandte sich laut Bericht allerdings gegen die Charakterisierung der Luftangriffe, wonach sie zu Verstößen gegen Menschenrechten führen.
Rhetorische Abwehrmanöver
Wer sich dafür interessiert, wie der saudische Koalitionssprecher solche rhetorischen Abwehrmanöver sprachlich, mimisch und gestisch durchführt, der möge sich ein gut zweiminütiges CNN-Interview von Ende 2016 anschauen, wo Asiri mit dem Foto einer erbärmlich von Unterernährung gezeichneten Frau aus dem Jemen konfrontiert wird.
Al-Asiri leugnet nicht die Echtheit des Fotos, das ihm sichtlich Unbehagen bereitet, sondern die Schuldzuweisung. Die Schuld liegt seiner Ansicht nach bei den verbrecherischen Milizen, die von Iran unterstützt werden, und diesen Krieg so brutal machen. Die eigene Rolle stellt er als märchenhaft gut dar.
Es gibt noch andere große Zahlen zum Krieg im Jemen. Etwa die 4,9 Millionen Personen im Jemen, die Schwierigkeiten haben, an Nahrung zu kommen, wie die Welthungerhilfe für den Februar konstatierte. Da man nicht über genügend Vorräte verfüge, sei man nun gezwungen die Rationen zu verkleinern. 20 von 22 Gouvernaten im Jemen seien von Hungersnot bedroht.
Die ausgeblendete Kehrseite
Auf CNN findet sich eine Zusammenstellung von Kennzahlen zur humanitären Katastrophe im Jemen zu Beginn des dritten Jahres des Kriegs der Golfstaaten - Saudi-Arabien wird unterstützt von Katar, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Kuweit - gegen Iran in der Kampfzone Jemen. Bei CNN sind es 18,8 Millionen, die direkte Hilfe nötig haben, die Hälfte davon sollen Kinder sein.
17 Millionen sind auf die Hilfe anderer angewiesen, weil sie sich aus eigenen Kräften keine Nahrung besorgen können. 4,5 Millionen benötigen über Nahrungsmittel hinaus Unterkunft und Schutz. 2,1 Milliarden US-Dollar wären nötig, damit die UN-Hilfsorganisation OCHA ihre Hilfe im Jemen fortsetzen kann.
7.700 Menschen sollen im Krieg im Jemen bislang ums Leben gekommen sein, darunter etwa 1.500 Kinder, berichtet die AFP, die Situation der Kinder sei besonders elend, weil sie in sehr großer Zahl nicht nur hungern, sondern auch keine Schulausbildung mehr bekommen, womit die Zukunftsaussichten düster sind. 3,5 Millionen Kinder sollen von der Schulausbildung ausgeschlossen sein, meldet die Nachrichtenagentur mit Berufung auf das UNICEF.
Die Propaganda: Saudi-arabische Koaltion auf Siegeskurs
Ohnehin stehen die Aussichten, dass der Krieg im Jemen ein Ende findet sehr schlecht, wie heute im Independent von Peter Salisbury analysiert wird.Daraus geht hervor, dass die von Saudi-Arabien geführten Koalition erhoffte und mit allen Mitteln gesuchte Eroberung der Hafenstadt al-Hudaida selbst im Fall eines militärischen Erfolgs den Gegner, die Houthi-Saleh-Allianz, nicht derart schwächen würde, dass ein Ende des Konflikts absehbar wäre.
Zu viele Parteien mischen mit vor Ort, zum Beispiel al-Qaida und Salafisten, und hinter den Kulissen. Der oben zitierte Artikel der Washington Times berichtet von einer Annäherung in der Sache Krieg im Jemen zwischen der neuen US-Regierung und Saudi-Arabien. Das Königreich soll eine Zusage für eine verstärkte Hilfe in Form von Geheimdienst-Kooperation und andere Kooperationsformen bekommen haben.
Ein Waffengeschäft, das Obama auf Eis gelegt hatte, soll unter Trump neu bewertet werden. Die Hoffnung auf einen Sieg ist in Saudi-Arabien groß, wie die Saudi-Gazette heute berichtet. Dort sieht alles beinahe spiegelverkehrt zu den gewohnten Berichten aus: Der jemenitischen Bevölkerung wird geholfen, militärisch wie humanitär, der Vormarsch der arabischen Koalition sei kaum aufzuhalten.