Jemen: Apokalyptische Zustände und Angst vor Covid-19
Huthis werfen Saudi-Arabien vor, im Land infizierte Atemschutzmasken zu verteilen
Vertreter der Huthi-Rebellen im Jemen, die nun seit fünf Jahren mit der von Saudi-Arabien geführten Koalition einen erbitterten Krieg führen, warnen Zivilisten davor, Abstand von Masken zu nehmen, die von Saudi-Arabien im Kriegsgebiet verteilt werden.
Es wird behauptet, dass die Masken mit dem Sars-CoV-19-Virus infiziert sind. So berichtet jedenfalls der Middle East Monitor. Demnach hat der Supreme Council for Humanitarian Affairs die Zivilbevölkerung dazu aufgefordert, das Berühren von Masken und anderen Materialien, die von Koalitionsflugzeugen verteilt wurden, zu vermeiden.
Desinfektionsfahrzeuge in Sanaa
Obgleich es noch keine offiziellen Zahlen zu Corona-Infizierten im Jemen gibt, haben die Huthis in der von ihnen kontrollierten Stadt Sanaa Maßnahmen verhängt, um eine Ausbreitung des Virus zu bekämpfen. Desinfektionsfahrzeuge ziehen durch die Hauptstadt Jemens und reinigen die Straßen.
Auf die offiziellen Zahlen ist jedoch ohnehin kein Verlass, denn das Land verfügt nicht über die Möglichkeiten, umfangreiche Tests durchzuführen. Von einem Gesundheitssystem kann hier nicht die Rede sein. Vor allem nicht, seitdem Saudi-Arabien seine militärische Intervention im Jahr 2015 startete, um die Macht der Huthis zu bekämpfen.
Jemen ist das "Vietnam" der Saudis
Unter der Führung der Saudis schlossen sich auch Ägypten, Marokko, die Vereinigten Arabischen Emirate, Jordanien, Sudan, Katar, Bahrain, Pakistan, Kuwait und der Senegal der Militäroperation an. Der ehemalige Offizier der Bundeswehr jemenitischen Ursprungs, Said AlDailami, beschreibt in seinem Buch "Jemen: Der vergessene Krieg", dass jeder Kriegstag im Jemen dem saudischen Königreich im Jahr 2015 ca. 200 Millionen US-Dollar gekostet hat. AlDailami bezieht sich hierbei auf Schätzungen des amerikanischen Woodrow Wilson Forschungszentrums.
Allein im Jahr 2015 hat Saudi-Arabien demnach knapp 100 Milliarden US-Dollar für den Krieg ausgegeben. Kronprinz Mohammad bin Salman hat mit Sicherheit nicht damit gerechnet, dass der Krieg so lange andauern würde. Immer wieder wird deshalb der Vergleich gezogen, dass der Jemen sozusagen Saudi-Arabiens Vietnam sei. So hat auch die Neue Zürcher Zeitung erst Anfang April einen Artikel mit dem Titel Saudi-Arabien erlebt sein Vietnam in Jemen veröffentlicht.
Dennoch versuchen die Vertreter des Königreichs sich als Samariter zu profilieren, indem sie einige Millionen US-Dollar "für humanitäre Hilfe" im Jemen spenden und erwarten dabei auch noch Beifall von der Welt. Im Vergleich zu den Milliarden im Monat, die für die Zerstörung des Landes ausgegeben wird, ist dies nicht einmal ein Tropfen auf dem heißen Stein.
Saudi-Arabien beschießt also seinen jemenitischen Nachbarn mit Raketen und behauptet gleichzeitig das Leiden der Jemeniten lindern zu wollen, indem es ein Pflaster auf die Wunden klebt. Was für einen Zustand das Land hätte, wenn man diese Milliarden von Dollar für Hilfsprojekte eingesetzt hätte anstatt für den Krieg, kann man sich nicht ausmalen.
Die Waffen stammen in diesem Fall laut AlDailami zu 98 Prozent aus westlichen Ländern. Deutschland hat den Waffenexport an Saudi-Arabien zwar zum größten Teil gestoppt, jedoch lieferte das Land an die saudisch-geführte Allianz, die gegen die Huthis Krieg führt, weiterhin Waffen im Wert von über eine Milliarde Euro, wie Die Zeit berichtet.
Die Vereinten Nationen rufen zu einer Waffenruhe während der Pandemie auf
Am 25. März forderte der UN-Generalsekretär António Guterres einen Waffenstillstand im Jemen, um eine Covid-19-Katastrophe abzuwenden. Es gab bei den Verhandlungen seither, an denen mehrere Seiten beteiligt waren, keinen wirklichen Fortschritt.
Aktuell sorgt nun eine einseitig von der saudi-arabischen Koalition verhängte Waffenruhe für Aufmerksamkeit - ein "Lichtblick", wie manche hoffen. Doch ist das nach den Erfahrungen der Vergangenheit zu bezweifeln.
In der ersten Aprilwoche beschuldigten die Kriegsparteien sich gegenseitig, eine Pumpstation für Ölpipelines in der Zentralprovinz Marib angegriffen zu haben. Nun behaupten die Huthis auch, dass die Saudis infizierte Schutzmasken verteilen. Ob die Behauptung stimmt, ist nicht sicher, allerdings kann man davon ausgehen das dem Königreich das Wohl der Zivilbevölkerung ziemlich egal sein dürfte.
Ende 2017 verhängte die Allianz eine Importblockade über die Huthi-Gebiete, wodurch es eine extreme Nahrungsmittelknappheit im dürren Land gibt. Laut UN-Angaben sind rund 10 Millionen Jemeniten davon gefährdet aus den Folgen des Verhungerns zu sterben.
Der Vorwurf, Saudi-Arabien verteile Covid-19-infizierten Schutzmasken, könnte allerdings auch eine Propaganda der vom Iran unterstützten Huthis sein. Auch diese sind keineswegs Unschuldslämmer. So hinderten sie in der Vergangenheit oftmals unabhängigen Hilfsorganisationen daran humanitäre Hilfe zu leisten. Lebensmittelrationen des Welternährungsprogramms der UNO kommen zum Großteil nicht an das vorgesehene Ziel.
Das einzige Druckmittel von Hilfsorganisationen ist hierbei, die Unterstützung zurückzuziehen. Das Blut der Zivilbevölkerung klebt an allen Kriegsparteien und nun hat der jemenitische Bürger auch noch die Entscheidung zu treffen, ob er eine möglicherweise infizierte Maske aufzusetzen oder sich nackt dem Coronavirus auszusetzen soll.
Die saudische Militärallianz hat am Mittwoch eine zweiwöchige Waffenruhe angeboten, um der Ausbreitung der Corona-Krise entgegenzuwirken. Das Angebot wurde jedoch von den Huthi-Rebellen abgelehnt. Die Huthis betrachten die Waffenruhe lediglich als politische Kalkül der Saudis, deren eigentliches Ziel es sei, ihr mediales Image aufzupolieren. Da Corona leider nicht die einzige Pandemie im Land ist und die Bevölkerung unter anderem seit Jahren mit Cholera zu kämpfen hat, mag der Vorwurf der Huthis gerechtfertigt sein, doch die Frage ist, welche Alternative gibt es noch?
Wenn der bewaffnete Konflikt nicht endet, werden die ohnehin apokalyptischen Zustände im Jemen noch weiter ausarten. Die Vereinten Nationen bezeichneten die Lage im Kriegsland bereits vor Corona als schlimmste humanitäre Krise der Welt. Aufgrund des Konflikts sind weniger als 50 Prozent der Krankenhäuser und Kliniken im Jemen funktionsfähig, und den meisten fehlt es an qualifiziertem Personal, Medikamenten und oft sogar an Strom.