Jemen: Hunger als Kriegswaffe

Seite 2: Hungersnöte infolge von Luftangriffen

Die Angriffe aus der Luft beeinträchtigen die Nahrungsmittelproduktion und schränken die Versorgung mit Lebensmitteln stark ein. Allein zwischen März 2015 und Februar 2019 gab es rund 19.000 Angriffe. Demnach trafen mehr als 11.000 Bomben die Landwirschaft. Im Nordwesten, dem Kerngebiet der Houthi-Rebellen, bombardierte die arabische Koaliton gezielt 660 Farmen. Doch auch die Houthi schießen auf zivile Ziele, klagt Radhya al Mutwakel von der Menschenrechtsorganisation Mwatana in einem Interview mit Arte. So wurden im Westen des Landes wurden Brunnen, Zisternen und Trinkwasseraufbereitungsanlagen bombardiert.

Allen Kriegsparteien werden Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen vorgeworfen. Ermöglicht werden die Verbrechen mit Waffen aus der EU: Allein von März bis November 2018 genehmigte die deutsche Regierung 208 Exporte in Höhe von 400 Millionen Euro an Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate. Erst nach dem Mord an dem Journalisten Jamal Kashoggi im arabischen Kosulat in Istanbul wurden deutsche Waffenlieferungen zeitweise gestoppt.

Zwar verlängerte Deutschland das Waffenembargo 2019 für einige Monate, doch deutsche Teile für europäische Kriegsmaschinen durften weiter geliefert werden. Viele Rüstungskonzerne umgingen dieses Verbot, indem sie über ihre Tochterfirmen im Ausland weiterhin Waffen an Saudi-Arabien verkauften - so wie Rheinmetall, die zweitgrößte deutsche Waffenschmiede. Der Konzern lieferte über Tochterfirmen in Italien und Afrika weiter nach Riad/Saudi-Arabien bzw. kaufte sich in ausländische Rüstungsfirmen ein.

Über einen südamerikanischen Partner ließ der Konzern eine Munitionsfabrik in Saudi-Arabien errichten. Eingeweiht 2016 vom damaligen südafrikanischen Präsidenten und dem saudischen Kronprinzen, soll die Fabrik täglich 300 Artillerie- und bis zu 600 Mörsergranaten produzieren.

Französische Panzer und Artillerie schießen auf Zivilisten

Laut einem Bericht, veröffentlicht von der investigativen Plattform disclose.ngo, lieferte Frankreich Waffen an Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate - zur Verteidigung, wie es offiziell hieß. Demzufolge wurden 48 gelieferte mobile Artilleriegeschütze an der Grenze von Saudi-Arabien gegen den Jemen aufgefahren, die regierungstreue Truppen bei ihrem Vormarsch unterstützen sollten. Mehr als 400.000 Menschen sollen von der Artillerie beschossen worden sein.

Außerdem waren 70 französische Panzer an der Westküste des Jemen an mehreren Offensiven beteiligt. Zudem lieferte Frankreich Steuerungssysteme für Lenkflugkörper in amerikanischen Kampfjets, welche anschließend an die Saudis verkauft wurden. Eine französische Fregatte beteiligte sich an einer Seeblockade, die auch Hilfslieferungen verhinderte und die Hungersnot verschärfte. Weil sie auch zivile Ziele trafen, könnten die Blockaden und die Luftangriffe der arabischen Koalition den Tatbestand des Kriegsverbrechens erfüllen.

Zwar unterzeichnete Frankreich Verträge, die Waffenexporte verbieten, wenn die Gefahr von Kriegsverbrechen besteht, doch sind diese Verträge offensichtlich nicht das Papier wert. Frankreich ist als drittgrößter Waffenexporteur direkt im Krieg involviert. Noch bis 2016 waren Saudi-Arabien und die Arabischen Emirate die größten Abnehmer der französischen Waffenindustrie.

Deutsch-französischer Waffendeal verspricht Milliardengewinne

Während Rüstungskonzerne auf Gesetzeslücken angewiesen sind, machen die Regierungen ihre Waffen-Geschäfte ganz offiziell: Anfang 2019 verpflichtete sich Merkel zur "Entwicklung einer gemeinsamen militärischen Kultur sowie einer gemeinsamen Linie für Rüstungsexporte" mit Frankreich, wie das ARD-Magazin Report München berichtete.

Konkret ging es um den Bau eines Kampfjets für ein vernetztes Luftkampfsystem. Waffenexporte in Krisengebiete sollten wieder zur Regel werden. Exportstopps sollte es nur noch in Ausnahmefällen geben, etwa, wenn die "nationale Sicherheit in Frage gestellt" sei, wie es hieß. Davon versprach man sich Milliarden Gewinne.

Ende September 2022 genehmigte die Bundesregierung weitere Waffenlieferungen unter anderem an Ägypten, Bahrain, Oman, die Vereinigten Arabischen Emirate und den Sudan - Länder, die der arabischen Koalition angehören und somit direkt im Krieg involviert sind. Allein nach Kuwait wurden zwischen Anfang Dezember 2021 und Mitte September 2022 Ausfuhren in Höhe von 1,3 Millionen Euro genehmigt. An Katar gingen Exporte im Umfang von 20,7 Millionen Euro. Auch Jordanien und der Sudan profitieren von deutschen Waffen-Exporten.

Nahostexperten fragen sich, ob das brüchige Bündnis Saudi-Arabiens mit den Arabischen Emiraten im Jemen Bestand haben wird. Viel wichtiger wäre die Frage, ob sich die zerstrittenen Regionalmächte auf einen Weg einigen können, der das sinnlose Töten und die andauernde Zerstörung beenden und die Interessen aller Menschen auf der arabischen Halbinsel wieder in den Fokus rückt. Eine zeitweise Waffenruhe, die von April bis Oktober 2022 andauerte, ließ erahnen, wie ein Weg zum Frieden aussehen könnte.

Doch seither wurde der Krieg weiter von außen angeheizt. Das zeigen zum Beispiel Waffenfunde auf einem Fischkutter, den die US-Marine Anfang Dezember auf dem Weg vom Iran in den Jemen abfing. Unter anderem beschlagnahmten sie eine Million Schuss Munition, mehrere Raketenzünder sowie Treibstoff.

Erst wenn die externen Akteure ihre Unterstützung einstellen, wird auch der Krieg beendet werden können, zeigte sich Jemen-Experte Jens Heibach kürzlich überzeugt. Sofern sie ihre westlichen demokratischen Werte selber ernst nehmen, sollten Deutschland und Frankreich sich ihrer Verantwortung bewusst werden und alle Waffenexporte an die beteiligten Länder endgültig stoppen.

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