Jo Cox: Worüber niemand spricht
Seite 2: Klima der Gewalt gegen Frauen
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Britische Frauenorganisationen ordnen demzufolge den Mord an Cox ein in den Kontext "Gewalt gegen Frauen und Mädchen". Die Parlamentarierin sei die 57. Frau, die in diesem Jahr im United Kingdom (Großbritannien und Wales) von einem Mann getötet worden sei, heißt es auf der Webseite everydayvictimblaming.
2013 beschuldigte die Abgeordnete Barbara Follet, ebenfalls Labour-Party, den ehemaligen Geschäftsführer der Liberalen Partei, Lord Christopher Rennard, öffentlich, Frauen sexuell belästigt zu haben. Es stellte sich heraus, dass der Vorsitzende der Liberalen Partei, Nick Clegg, von den Vorwürfen wusste. Der tat die vorgebrachten Beschwerden indes als "unkonkrete anonyme Bedenken" ab. Allerdings ging der Lord 2009 in den Ruhestand. Möglicherweise doch nicht aus gesundheitlichen Gründen. Jedenfalls nicht, was seine Person betraf, sondern als eine Art internen Heilungsprozess der Liberalen Partei.
Wie dem auch sei, Follet hatte damit sozusagen die Büchse der Pandora geöffnet. Plötzlich war die Rede von "älteren Abgeordneten, die junge Kolleginnen ganz selbstverständlich so berührten, 'als wären sie ihr Besitz'. Davon, dass Frauen im Parlamentsbetrieb, Abgeordnete und Beschäftigte, sich gegenseitig warnten, welcher Abgeordnete für Anzüglichkeiten bekannt sei".
Allerdings waren die Vorwürfe nicht öffentlich geäußert worden: "Nicht zuletzt seien viele Frauen um ihren eigenen Ruf besorgt. Sie befürchten, dass eine Beschwerde sie schwach und unprofessionell aussehen ließe."
Mit zweierlei Maß gemessen
Die wenigsten Frauen werden Abgeordnete. Dass ist in Großbritannien nicht anders als hierzulande. Viele arbeiten in repräsentativen Berufen, z.B. in der Hotelbranche oder am Empfang von großen Konzernen. Dort sind sie Zwängen unterworfen, Dresscodes z.B., die auch für männliche Kollegen gelten, aber nicht unbedingt solch nachhaltige Auswirkungen auf die Gesundheit haben wie für die weiblichen Angestellten.
Stöckelschuhe beispielsweise. Seit Dezember 2015 wehrt sich die Londoner Angestellte Nicola Thorp dagegen, dass sie dazu gezwungen werden sollte, 9 Stunden am Tag auf High Heels am Empfang eines renommierten Konzerns rumzustöckeln. Wie der Spiegel berichtete, "dürfen in Großbritannien Arbeitgeber weiblichen und männlichen Angestellten unterschiedliche Kleiderordnungen vorschreiben, solange ein 'gleiches Maß an Eleganz' gefordert wird."
Der jungen Frau erschien das eher als zweierlei Maß, und sie sammelte inzwischen mehr als 46.000 Unterschriften, um eine Gesetzesänderung zu erwirken. Dafür bräuchte sie zudem die Unterstützung engagierter Parlamentarierinnen, wie Jo Cox es war.
Brutale Tradition
Die Sicherheit von Frauen und Mädchen lag Cox am Herzen. Da gebe es - nicht nur in Großbritannien - viel zu tun, beispielsweise tausende Mädchen vor Genitalverstümmelung zu retten. Wie die Organisation Taskforce FMG (Female Genital Mutilation) mitteilt, wurden allein in den Monaten Januar bis März 2016 mehr als 1.200 neue Opfer von Genitalverstümmelung registriert.
Dabei seien 29 Opfer unter 18 Jahre alt und 11 in Großbritannien geboren worden. "Taskforce FMG" schätzt, dass die genannte Zahl der minderjährigen Mädchen "lediglich eine kleine Spitze des Eisberges sein" dürfe.
Bezeichnend dabei ist, dass mindestens die 11 Verstümmelungsopfer, die in Großbritannien geboren wurden, direkt dem Versagen britischer Politiker und Behörden zuzurechnen sind, die es seit Jahren versäumen, wirksame Schutzmaßnahmen umzusetzen, wie z.B. Unversehrtheits-Check-Ups, verbunden mit medizinischer Meldepflicht und der strikten Verurteilung insbesondere der anstiftenden Täter-Eltern.
Bis heute seien allerdings keine Täter festgenommen und verurteilt worden. Auch das zu ändern bedarf es mutiger Politikerinnen - wie Jo Cox eine war.
Sie fehlt schon jetzt
Die Verhinderung des Brexit, Unterstützung von Frauen, insbesondere von geflüchteten Frauen, die sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz und im Internet, Gender-Pay-Gap, sexistische Dress-Codes, Kontrollen zur Verhinderung von Genitalverstümmelungen - es gebe viel zu tun für eine engagierte linke Feministin im britischen Parlament.