Joe Biden: Wie gut kann er regieren?

Bild: Adam Schultz für das Weiße Haus/gemeinfrei

USA: Politik in einem "deprimierend polarisierten Zustand"; Regierung in der Defensive, Demokraten treten Flucht nach rechts an

Präsident Joe Bidens "Rede zur Lage der Nation" am Dienstag traf auf ein historisches Moment: Krieg in Europa. Vielleicht war der US-Präsident insgeheim dankbar dafür, dass er zumindest einen Teil der Rede-Zeit Problemen in einem anderen Land widmen konnte, denn zuhause kann die demokratische Regierung wenig Erfolge vorweisen. Überdies fallen auch die Umfragewerte des Präsidenten weiter - kein gutes Zeichen in einem Wahljahr.

Seltsam eigentlich, glaubt man der Binsenweisheit, dass die Beliebtheit des US-Präsidenten mit der Wirtschaft steigt und fällt, denn 2021 war ein ausnehmend gutes Wachstums-Jahr (+5,7 Prozent) für die US-Wirtschaft, das zweitbeste in der Geschichte. Doch Wirtschaftswachstum und sinkende Arbeitslosenzahlen gehen auch mit einer Inflation (7,5 Prozent) einher, und wenn die Löhne nicht steigen hat ein Großteil der Bevölkerung nichts vom Wirtschaftswachstum.

Andere Entwicklungen hingegen treffen die US-Bevölkerung direkt. In Reaktion auf den Konflikt mit Russland und den damit drohenden Sanktionen steigen die Energiekosten weiter. Hohe Ölpreise wirken sich traditionell schlecht auf die Beliebtheit von US-Präsidenten aus. Vielleicht beinhalten die umfassenden Wirtschaftssanktionen, welche die Biden Regierung seit letzter Woche gegen Moskau verhängt hat, deshalb noch keine Maßnahmen gegen russische Ölverkäufe.

Die Zwischenwahlen in den USA kommenden November kommen Putin also gelegen und auch andere Machthaber könnten sich die aktuelle geopolitische Lage zunutze machen. Der saudi-arabische Kronprinz Muhammad bin Salman hatte zuletzt eine Anhebung des Ölpreises veranlasst.

Das US-Medium Intercept vermutet, dass dahinter ein Versuch vonseiten des Saudi-Arabischen Königshauses stecken könnte, die Zwischenwahlen in den USA zugunsten der Republikanischen Partei zu beeinflussen.

Es ist also keinesfalls sicher, dass die ökonomischen Umstände die Chancen der Demokraten auf einen Machterhalt positiv beeinflussen. So wie es aussieht, wird sich die Situation zunächst eher verschlechtern als verbessern.

Die Lage der Nation

Nach US-amerikanischen Maßstäben drängt die Zeit, denn die "Mid-Terms" haben streng genommen schon begonnen. In Texas fanden am vergangenen Dienstag die Vorwahlen für die Kandidaten zu Gouverneurswahl im November statt, mit vorhersehbarem Ausgang und wenig Wahlbeteiligung. Die Demokratische Partei hat jedenfalls Grund zu Sorge.

Laut Umfragen von CNN werden die Demokraten ihre Mehrheit im Kongress verlieren - und zwar deutlich. Aber es ist Februar und nicht November, genug Zeit also für die Demokraten, den Karren aus dem Dreck zu ziehen. Die Frage nach dem "Wie?" bleibt offen.

In liberalen US-Medien wie The Hill wird das mit großer Bedeutung aufgeladenene Ritual der "Rede zur Lage der Nation" als Gelegenheit für Präsident Biden gesehen, "einige unzufriedene Wähler wieder auf seine Seite zu ziehen".

Aber diese Vermutung wird sogleich relativiert, schließt doch der selbige Artikel mit der Beobachtung:

Die amerikanische Politik befindet sich in einem deprimierend polarisierten Zustand.

Aber auch wenn die Rede selbst im Kontext einer "gespaltenen" Gesellschaft wahrscheinlich kaum Auswirkungen auf zukünftige Wahlen hat, gibt sie dem Präsidenten eine Plattform, sein politisches Programm vorzustellen.

"Ich habe das Problem verstanden"

Biden begann die Rede mit einer Erklärung zum Krieg in der Ukraine. Die westliche Einheit allein schon als eine Art Sieg über Putin darzustellen, ist nach US-amerikanischen Maßstäben vielleicht etwas wenig und hat keinen besonderen Drive. Als größere Schwierigkeit kommt hinzu, dass die Biden-Regierung kaum innenpolitische Erfolge vorzuweisen hat.

Stattdessen bietet Biden, ganz wie Obama vor ihm, weiterhin vor allem "Empathie und Hoffnung" an. Um also die prekäre Lage vieler Familien trotz wirtschaftlichen Aufschwungs zu erklären, spricht er von "seiner obersten Priorität, Preise unter Kontrolle zu bringen", und bedauert, dass "die Inflation eben jenen die Gewinne raubt, die sie sonst spüren würden".

Dabei betonte der Präsident mehrfach, "er habe das Problem verstanden", und verwies auf seinen aktualisierten "Building A Better America Plan", von dem, laut Biden, "elf Wirtschaftsnobelpreisträger sagen, dass sein Plan den langfristigen Inflationsdruck verringern wird".

Im Vergleich zu seinem gescheiterten ursprünglichen "Build Back Better Plan" soll nun die neue Version vor allem die Kostenreduzierung für Familien ins Auge zu fassen. Durch diese Neuausrichtung hofft Biden, vor allem Konservative und Zentristen von seinem Projekt zu überzeugen.

Zumindest mutmaßte er während seiner Rede, dass eine Mehrheit der im Saal Versammelten insgeheim seine Meinung teilen würden, das "unfaire Steuersystem" bedürfe dringend einer Reform.

Tatsächlich muss sich Biden ein solches Bestreben von republikanischer Seite gar nicht herbeiphantasieren, hatte doch ausgerechnet Senator Mitt Romney letzten Dezember einen Plan vorgestellt, der sowohl generöser als auch effektiver darin wäre, Familien finanziell zu entlasten.

Biden muss dringend Regierungsfähigkeit beweisen

Egal ob nun mit Sozialreformen, die links oder rechts von den Republikanern zu verorten wären, Joe Biden muss dringend Regierungsfähigkeit beweisen. Womit wir wieder beim altbekannten Problem wären, dass der aktuell "mächtigste Mann der Welt" nicht einmal seine eigene Partei unter Kontrolle zu haben scheint.

Nachdem der demokratische Senator Joe Manchin bisher die "Build Back Better"-Agenda seines Präsidenten erfolgreich blockiert hatte, wurde er jetzt mit einem persönlich zugeschnittenen Angebot in der "Rede zur Lage der Nation" belohnt. Biden versprach am Dienstag, "sein Plan zur Bekämpfung der Inflation würde Kosten senken und das Defizit verringern".

Joe Bidens Administration (27 Bilder)

Das Zukunft der Vereinigte Staaten liegt in den Händen von 24 Ministern

Das ist Musik in den Ohren all jener rechten Demokrat:innen und Republikaner:innen, die seit Jahren immer wieder auf das Haushaltsdefizit verweisen, um echte Sozialreformen wie "Medicare for All" im Keim zu ersticken. Immerhin blieb Bidens Geste nicht unbeantwortet, angeblich zeigt sich Manchin inzwischen wieder dazu bereit, über eine dramatisch reduzierte Form des ehemaligen Budgetplans, inklusive Steuerreform und Kostensenkung für verschreibungspflichtige Medikamente, zu verhandeln. Allerdings nur, wenn dieser neue Plan vorsieht, dass "eingenommenes Geld zwischen Maßnahmen gegen den Klimawandel, Defizitabbau und Inflationsbekämpfung aufgeteilt wird".

Bleibt zu hoffen, dass am Ende der Verhandlungen etwas von den Sozialreformen übrig ist.

In der Defensive

Bidens Rede macht vor allem deutlich, wie sehr sich seine Administration in der Defensive befindet, und wie nicht anders zu erwarten, treten die Liberalen instinktiv die Flucht nach rechts an.

Von der progressiven Strömung innerhalb der Partei, die um Senator Bernie Sanders und dem sogenannten "Squad" im Kongress (Alexandria Ocasio-Cortez, Ilhan Omar, Ayanna Pressley, Rashida Tlaib etc.) entstanden ist, findet sich in Bidens Rede keine Spur. Obwohl kaum jemand bei Verstand Präsident Biden unterstellen würde, linke, gar sozialistische Überzeugungen zu vertreten, ist es deprimierend zu sehen, in welchem Maße sich eine regierende Partei der Opposition anbiedert.

Es wirkt wenig souverän, wenn der Präsident einerseits Wert darauflegt, dem Vorwurf konservativer Stimmen vorzubeugen, er würde Forderungen der "Defund The Policy"-Bewegung unterstützen. Er aber andererseits progressiven Ideen aus der eigenen Partei, wie zum Beispiel staatlich finanzierter Hochschulbildung, keinen Platz einräumt.

Möglicherweise macht sich Biden wenig Sorgen, denn wenn die Demokraten in den Zwischenwahlen den Kongress verlieren, liegt die Schuld für politischen Stillstand von da an wieder bei den Republikanern. Und vielleicht hält er seinen Job für sicher, denn so wie es aussieht, würde er 2024 ein weiteres Mal gegen den einstigen Ex-Präsidenten antreten, dessen Umfragewerte zum gleichen Zeitpunkt noch schlechter waren: Donald Trump.