Joschka beinhart - das flenst!
Biertrinken mit Powell, die Zeche zahlt Chirac - der Washington-Besuch des deutschen Außenministers steht für das Ende des "alten Europa"
Werner als Vorbild für Joschka? Die Comic-Figur von Zeichner Röttger "Brösel" Feldmann stiftet ihre Freundschaften über das gemeinsame Inhalieren von Flensburger Pils, und nach diesem Erfolgsrezept arbeitet seit neuerem auch der deutsche Außenminister. Als sein US-amerikanischer Amtskollege Colin Powell im Mai seine Aufwartung in Berlin machte, schenkte ihm Fischer nämlich eine Kiste "Flens". Letzte Woche, beim Gegenbesuch des Deutschen am Potomac gab ihm Powell das Leergut zurück.
Was den Besuch zum "vollen Erfolg" (Fischer) gemacht hatte, war aber nicht nur der gute Stoff, sondern vor allem die strategische Offerte des Deutschen, die gemeinsame "Allianz für Frieden". Das Europa der Zukunft könne nur "zusammen mit den Vereinigten Staaten stark sein - nicht als sein Rivale", hatte Fischer gesagt. Daraus machte die International Herald Tribune in ihrer Sonnabendausgabe gleich ihren Aufmacher auf Seite eins. "Fischer setzt Berlin von Paris ab", schrieb das Blatt.
Mit Recht: Der französische Staatspräsident Jacques Chirac hatte in der Irak-Auseinandersetzung mehrfach vor einer unipolaren Welt unter Dominanz der USA gewarnt und als Alternative eine multipolare Ordnung gefordert (Einheit statt Multipolarität, Ordnung statt Chaos). Prompt hatte in den USA eine antifranzösische Kampagne begonnen, Gaststätten benannten French Fries in Freedom Fries um (vgl. Parlez-vous Pommes Frites?). "Die deutsche Position zielt nicht auf eine multipolare, sondern eine multilaterale Ordnung ab," erklärte ein hoher deutscher Regierungsbeamter gegenüber der IHT.
Multipolar (Chirac) versus mulilateral (Fischer), das hört sich nach Haarspalterei an. Doch wie nahe die deutschen Vorstellungen den angelsächsischen wieder geworden sind, konnte man schon im April erahnen, als Bundeskanzler Gerhard Schröder sogar Tony Blairs Vision einer unipolaren Welt als "angemessen" bezeichnete. Aus dem Außenministerium wurde nun diese Wiederannäherung an die USA theoretisch untermauert. Multilateral bedeutet demnach, dass "international bedeutsame Angelegenheiten durch Diskussion und auf der Basis des internationalen Rechts gelöst werden", so der bereits zitierte Beamte des Auswärtigen Amtes. Im Gegensatz zu diesem konsensualen setzt Frankreich auf ein konfrontatives Vorgehen - die USA sollen nicht in Gremien eingebunden, sondern durch den Aufbau von Gegen-Polen eingedämmt werden.
So bezeichnete vorletzte Woche Alain Juppé, ein Vertrauter Chiracs, bei seinem Moskau-Besuch Russland als einen dieser Pole und sprach von einer "strategischen Partnerschaft zwischen dem europäischen Pol und dem russischen Pol", was freilich, wie er gnädig einräumte, einen "Dialog" mit dem amerikanischen Pol nicht ausschlösse. Diesen Plänen hat Fischer in Washington "mit eloquenter Brutalität eine Absage erteilt", kommentierte die Süddeutsche Zeitung am Sonnabend.
Mit Deutschland lässt sich das Projekt (eines Gegenpols), auch wenn es ein paar Monate so ausgesehen haben mag, nicht verwirklichen.
Fischer war auch deswegen nett zu den Gastgebern, weil ihm die Instrumente gezeigt wurden. Präsident George W. Bush wertete ihn nicht, wie im Mai den CDU-Herausforderer Roland Koch, durch eine Kurz-Audienz auf und machte dadurch deutlich, dass der Grüne bei seinen weiteren Höhenflügen - im Gespräch ist das Amt des EU-Außenministers - mit Gegenwind aus dem Weißen Haus rechnen muss. Massiv war die Drohung, die Fischer auf einer Gemeinsamen Sitzung der Auswärtigen Ausschüsse des Senats und des Repräsentantenhauses entgegenschlug.
Wenn sich Deutschland noch einmal einen solchen Streit mit den USA wie in diesem Frühjahr leiste, werde das Auswirkungen auf das beiderseitige Verhältnis "für die nächsten 50 Jahre" haben. Kanzler Schröder hatte im März 2002 eine ähnliche Formulierung kolportiert: Deutschland dürfe den USA auch im Falle eines nicht-UN-mandatierten Irak-Krieges nicht die Nutzung seiner Basen und die Rückendeckung durch die Fuchs-Panzer in Kuwait verweigern, weil sonst das deutsch-amerikanische Verhältnis "für die nächsten 30 bis 50 Jahre" beschädigt werden könne.
Wirtschaftliche Symbiose
Die Drohung hat einen materiellen Kern: Im Verlaufe der neunziger Jahre ist die deutsche Abhängigkeit von den USA deutlich gewachsen. Während die deutschen Exporte insgesamt um knapp 90 Prozent zunahmen, explodierte die Warenausfuhr in die USA um 217 Prozent. Jeder fünfte Euro, den deutsche Firmen außerhalb der Euro-Zone umsetzen, ist ein Dollar und kommt aus den USA. Waren die Vereinigten Staaten zu Beginn des Jahrzehnts nur der sechstwichtigste Handelspartner, so haben sie sich jetzt mit einem Anteil von zehn Prozent zum zweitwichtigsten Abnehmer deutscher Exporte entwickelt.
Die indirekte Abhängigkeit ist noch größer: Deutschland ist mit einer Exportquote von 31 Prozent neben Japan die Volkswirtschaft, die am meisten auf den Weltmarkt orientiert ist. Die Konjunktur auf dem Weltmarkt ist aber im wesentlichen eine Resultante der Nachfrage in den Vereinigten Staaten.
Die Europäische Union und Japan, die zusammen für 40 Prozent der Weltwirtschaft stehen, dürften auch im neuen Jahr als Wachstumsmotoren ausfallen. Amerika, das mehr als 30 Prozent des Weltinlandsprodukts erwirtschaftet, muss damit wieder einmal die Zugmaschine spielen.
prognostizierte die FAZ zum Ende des Jahres 2002. Wenn die US-Wirtschaft brummt, brummt die Weltwirtschaft insgesamt - und Deutschland kann exportieren.
Doch die Abhängigkeit ist nicht einseitig. Auch die USA sind mehr Sklave als Herr der globalen Ökonomie - ihre Auslandsverschuldung etwa wächst ständig : Ende der siebziger Jahre waren die USA Netto-Gläubiger mit Forderungen an das Ausland in Höhe von 20 Milliarden US-Dollar, im Jahre 1982 erreichten diese Forderungen mit 231 Milliarden US-Dollar ihren Höchststand. Doch kurz darauf kam die Wende in die roten Zahlen: Seit 1985 sind die USA - Staat, Wirtschaft, Privathaushalte - an das Ausland verschuldet : Im September 2001 betrug die Brutto-Schuld 7.815 Milliarden US-Dollar, verrechnet mit eigenen Forderungen an das Ausland bleibt immer noch eine Netto-Verschuldung in Höhe von 3.493 Milliarden Dollar übrig (am 17.7.2003 hatten die USA 6,722,160,964,748.21 US-Dollar Schulden).
Da die gesamte jährliche Wirtschaftsleistung der USA (BIP) bei etwa 10.000 Milliarden Dollar liegt, liegt die Auslandsverschuldung damit bei knapp 35 Prozent des BIP. Zum Vergleich: Die DDR wurde im Oktober 1989 von einer Arbeitsgruppe des Politbüros für bankrott erklärt, weil sie eine Westverschuldung von 49 Milliarden Valutamark hatte. Das waren lediglich 16 Prozent des BIP der DDR.
Die USA können die (deutschen, europäischen, japanischen) Export-Überschüsse nur deswegen aufsaugen, weil ihnen ausländisches Leihkapital aus diesen Staaten zufließt. Ein militärisches Schlamassel ähnlich wie in Vietnam würde zu einem Vertrauensverlust an den internationalen Finanzmärkten führen - 1971 mussten die USA bekanntlich die Goldbindung des Dollar aufgeben, dessen Kurs stürzte steil ab. Deshalb hieß es am Sonnabend in der FAZ: "Berlin ist nicht an einem Scheitern der Amerikaner im Irak gelegen." Wer soll denn "unsere" Exportüberschüsse aufkaufen, wenn die USA in Folge eines zweiten Vietnams pleite gehen und der Greenback nur noch zum Feueranzünden taugt?
Aber Deutschland tut auch nichts zur Entlastung der US-Army im Irak - Fischer hat die Hoffnungen Powells auf deutsche Hilfstruppen unmissverständlich enttäuscht. Das Verhältnis zwischen Washington und Berlin ist wie das zwischen Löwe und Geier: Der Aasfresser ist weder bereit, sich an der Niederwerfung des Opfers zu beteiligen, noch willens, den Gewaltakt zu behindern, möchte aber den Kadaver ausweiden. Je labiler die Besatzungsherrschaft im Irak wird, um so eher muss Washington die deutsche Forderung, das Kommando an die UN abzutreten, erfüllen. Dann müssten die US-Konzerne aber einen Teil der ergaunerten Konzessionen an die Konkurrenz abgeben.
Werner-Schöpfer Feldmann ist übrigens seit einiger Zeit vom "Flens" abgekommen und versucht ein eigenes Bier in Umlauf zu bringen. Doch während man die alteingeführte Marke an jeder Tankstelle kaufen kann, sucht man den neuen "Bölkstoff" vergebens. Daraus hat Fischer gelernt: Wenn der Trittbrettfahrer zu früh abspringt, kann er mehr verlieren als gewinnen.