Journalismus als Durchlauferhitzer
Seite 2: Es ist ein Vielfaches an "Wahrheiten" auf dem Markt
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Das ist ein wichtiger Punkt, den Sie ansprechen. Auch bei alternativen Formaten ist festzustellen, dass Sie mit Widerspruch so ihre Probleme haben und oft genug die eigenen Überzeugungen zum handlungsleitenden Element ihres Journalismus machen. Damit werden sie dann genau zu dem, was sie den etablierten Medien vorwerfen. Hinzu kommt, wie Sie sagen, auch so mancher Mediennutzer, der auf "die Alternativen" setzt, verhält sich so, wie es so mancher überzeugte Nutzer der etablierten Medien tut: Man glaubt eben dem Medium, das man als "seriös", "vertrauenswürdig" betrachtet, aber hinterfragt so manches nicht mehr in jener Grundsätzlichkeit, die eigentlich immer angebracht ist, wenn man sich über Medien informiert. Was glauben Sie: Womit hängt diese Problematik zusammen? Und: Was kann man Mediennutzern, also unabhängig davon, ob sie etablierte oder alternative Medien nutzen, empfehlen?
Stephan Hebel: Erlauben sie mir eine Bemerkung zu Ihrer Frage: Dass Journalistinnen und Journalisten "die eigenen Überzeugungen zum handlungsleitenden Element ihres Journalismus machen", ist aus meiner Sicht nicht das Problem. Den haltungslosen Journalismus, der gern unter dem Motto der "Objektivität" daherkommt, halte ich, wie gesagt, für ein Teil des Problems und nicht der Lösung. Nicht dass alle Medien aus einer je eigenen Perspektive und mit einer Haltung auf die Welt schauen, ist das Problem - sondern dass sie das verheimlichen und ihre Wahrnehmung zur alleingültigen Wahrheit erklären.
Eine Haltung haben und offen dazu stehen, das wäre aus meiner Sicht der richtige Weg, ob für etablierte oder für alternative Medien. Was übrigens auch einschließen würde, abweichende Wahrnehmungen eben als solche zu betrachten und zu kritisieren, statt sie von vornherein als Lüge und Verschwörung zu geißeln. Damit ist schon einiges angedeutet, was ich den Nutzerinnen und Nutzern empfehlen würde: Sie sollten den Medien, die sie nutzen, einerseits eine Chance geben, indem sie ihnen den Willen, wahrheitsgemäß zu berichten, nicht absprechen. Sie sollten aber andererseits nie und von niemandem erwarten, im Besitz der "ganzen Wahrheit" zu sein.
Ich selbst fahre gut damit, ein zweites für mich vertrauenswürdiges Medium zu befragen, wenn ich mir bei einer Information oder einer Darstellung nicht sicher bin. Das muss nicht gleich ein Medium mit fundamental engegengesetzter Haltung sein (die kenne ich meistens auswendig), sondern kann durchaus dem gleichen "Lager" angehören, aber eben im Einzelfall mit abweichender Perspektive. Warum nicht bei Telepolis nachschauen, wenn mich "meine" FR irritiert? Oder umgekehrt? Dann werde ich sehen, wem ich - aufgrund meiner eigenen politischen Haltung - in diesem Fall am besten folgen kann.
Sie haben noch nach den Ursachen der Problematik gefragt: Es ist ja nicht nur die Welt insgesamt unübersichtlicher geworden, seit die "Ordnung" des Ost-West-Konflikts sich aufgelöst hat. Sondern mit ihr (und dem Internet) ist gegenüber früheren Zeiten ein Vielfaches an "Wahrheiten" auf dem Markt. Und viele Probleme haben zu zahlreiche Aspekte, als dass man sich auf einen vermeintlichen Wahrheitsverkünder verlassen könnte.
Wie könnte Ihrer Meinung nach denn eine konstruktive Verständigung zwischen dem Mainstream und den Alternativen aussehen?
Stephan Hebel: Um etwas klarzustellen: Wenn ich von einer Verständigung rede, meine ich nicht, dass die etablierten Medien sich mit allen "Alternativen" verständigen sollten. Ich muss mich nicht mit "alternativen Formaten" wie der "Achse des Guten", Roland Tichys Blog oder etwa mit allen Kollegen der "Welt" verständigen - auch wenn ich gern bereit bin, mit ihnen zu diskutieren. Verständigen sollten sich vielmehr diejenigen, die die Aufgabe des Journalismus vor allem auch darin sehen, den gesellschaftlichen Gruppen, die in den öffentlichen Debatten (und häufig insgesamt in der Gesellschaft) kaum Gehör finden, eine kritische und demokratische Stimme zu geben. Davon gibt es sehr viele, auch in den "Mainstream"-Medien.
Kolleginnen und Kollegen, die Tag für Tag versuchen, die Spielräume für kritischen Journalismus in diesem Sinne zu nutzen und möglichst zu erweitern. Mit ihnen sollten sich diejenigen alternativen Medien, die ähnliche Ziele verfolgen, unbedingt verbünden. Vielleicht könnte das mit einer gemeinsamen, von Einzelpersonen getragenen und auf einigen wenigen Grundsätzen des kritischen Journalismus aufbauenden, gemeinsamen Plattform beginnen, auf der einige Texte der Beteiligten gesammelt werden - egal, bei welchen Medien diese Personen hauptsächlich arbeiten. Das mag nach "Nachdenkseiten" klingen - der Unterschied läge aber darin, dass es keine Redaktion im herkömmlichen Sinne gäbe, sondern das Forum allen, die sich auf bestimmte journalistische Grundsätze verpflichtet haben, offen stünde.
Lassen Sie uns auf das, was Sie gerade gesagt haben, noch etwas weiter eingehen. Sie sagen, dass es auch in den großen Medien sehr wohl Journalisten gibt, die versuchen, die Themenvielfalt zu erweitern. Die aktuelle Medienkritik tut bisweilen so, als ob alle Journalisten, die bei den etablierten Medien beschäftigt sind, mit den "Alphajournalisten" und Wortführern einer Meinung seien. Woran liegt es, dass diejenigen, die innerhalb der großen Redaktionen um eine breitere Meinungs- und Themenvielfalt kämpfen, einen schweren Stand haben?
Stephan Hebel: Ich nenne mal zwei Aspekte. Zum einen: Wenn Sie sich die Arbeitsabläufe in Redaktionen ansehen, stellen Sie fest, dass in der Regel kaum Zeit für intensive Recherche oder auch ausführliche Lektüre von Hintergrund-Material bleibt. Das begünstigt wie schon angedeutet einen Journalismus, der sich zum Durchlauferhitzer vorgegebener Materialien und Wahrnehmungen machen lässt. Und es bedeutet eben auch, dass Sie innerhalb Ihrer Redaktion einen ziemlich privilegierten Status haben (oder darum kämpfen) müssen, um anders und womöglich besser zu arbeiten. Zum Beispiel, indem Sie von der redaktionellen Produktion ganz oder teilweise befreit sind oder zumindest im Bedarfsfall befreit werden. Das ist natürlich dort, wo ausschließlich Autoren ein Ressort bilden, anders. Aber auch dort ist der Zeit- und Schreibdruck oft so enorm, dass Sie sich für aufwendigere Recherchen Zeit und Möglichkeiten erkämpfen müssen, die andere nicht bekommen.
Zum zweiten, und mit dem beschriebenen Druck zusammenhängend, ist da diese fatale Gruppendynamik: Wo kaum noch jemand einen Blick auf abweichende Perspektiven riskiert oder riskieren kann, verfestigen sich gemeinsame Wahrnehmungen und Einstellungen schnell, ohne ausreichend hinterfragt zu werden. So schmort man im eigenen Saft, und heraus kommt wenig Neues. Wenn dann überraschende Vorschläge kommen, heißt es im schlimmsten Fall noch dazu, das sei für "die Leser" jetzt eine Überforderung. Der Teufelskreis schließt sich: Erst verengt man (wenn auch womöglich ungewollt) das Spektrum und dann glaubt man das Publikum zu überfordern, wenn man es wieder erweitert.
Das sind alles objektiv vorhandene Schwierigkeiten, aber ich muss noch einmal sagen: Sie entbinden uns nicht davon, es anders zu versuchen - egal, ob wir in etablierten oder alternativen Medien arbeiten.
Die alternativen Medien haben das mediale "Geschäftsmodell" der Zukunft bisher ebenso wenig gefunden wie die etablierte
Etwas anderes. Ist nicht eines der großen Probleme im Journalismus auch, dass das journalistische Feld sozial geschlossen ist? Nur mal ein Beispiel: Nehmen wir einen jungen Mann, sagen wir 27, 28 Jahre alt. Realschulabschluss. Eine Lehre als KFZ-Mechaniker, vielleicht hat er noch seinen Meister gemacht. Er ist belesen, klug, hat ein großes Interesse und Wissen an Gesellschaft und Politik. Er findet Gefallen an dem Gedanken, Journalist zu werden. Im autodidaktischen Stil eignet er sich Wissen zu dem Beruf an. Nun möchte er seinen Beruf an den Nagel hängen und Journalist werden. Um es zuzuspitzen: Er fährt geradeaus zur Frankfurter Rundschau, klopft bei der Süddeutschen oder der Zeit an die Pforte und sagt: Hier bin ich! Hätte er bei der Biographie auch nur im Entferntesten eine Chance, einen Fuß in die Tür zu bekommen?
Stephan Hebel: Es gibt hier und da Fälle, in denen so etwas dann doch funktioniert, aber Sie haben recht: Das sind absolute Ausnahmen. Jedenfalls dann, wenn es um den Übergang von der freien Mitarbeit ins Volontariat beziehungsweise in die Festanstellung als Redakteur geht. Ohne Studium ist da kaum noch etwas möglich, und das mag tatsächlich damit zu tun haben, dass sich diejenigen, die entscheiden, einen anderen Weg zur notwendigen Sprachgewandtheit und Bildung aufgrund ihrer eigenen Biografie kaum vorstellen können.
Ich muss allerdings eines dazu sagen: Sie haben zwar recht, dass ein "sozial geschlossenes Feld" das Risiko steigert, die Interessen der Benachteiligten in der Gesellschaft zu übersehen. Aber dass das ein geradezu zwingender Automatismus sei, das kann ja nun auch wieder nicht wahr sein! Betrachtete man es so - das haben Sie nicht getan, ich weise nur darauf hin -, dann würde man ja die Mehrheit der Journalisten von ihrer sozialen Verantwortung entbinden, nur weil sie in mehr oder weniger privilegierten Verhältnissen aufgewachsen sind und/oder eine Hochschulausbildung genossen haben.
Versuchen wir doch mal auf die Schwachstellen der großen, aber auch der alternativen Medien genauer einzugehen. Zunächst die Leitmedien. Wo müsste angesetzt werden, was müsste verändert werden, damit ein besserer Journalismus möglich ist?
Stephan Hebel: Das Wichtigste nach meiner Auffassung: Wenn öffentliche Aufklärung eine gesellschaftliche Aufgabe ist, dann müssen Medien den kapitalistischen Marktverhältnissen entzogen oder zumindest mit Schutzmechanismen ausgestattet werden. Da lässt sich über genossenschaftliche Modelle reden - die auch öffentlich gefördert werden könnten -, aber auch über öffentlich-rechtliche Konstruktionen, deren Kontrollmechanismen dann aber gegenüber dem, was wir von ARD und ZDF kennen, deutlich demokratisiert werden müssten. Ich habe da keine fertigen Baupläne in der Schublade, aber die Richtung dürfte klar sein.
Was noch?
Stephan Hebel: Die klassischen Medien müssten noch viel mehr als bisher in die Konfrontation mit den Parallel-Universen im Internet gehen (was allerdings sehr viel Zeit kostet und damit Geld, das unter den jetzigen Produktionsbedingungen oft fehlt). Die Vielfalt, die sich da tummelt - im Guten wie im Schlechten -, wird noch viel zu oft ignoriert, oft auch aus einer Unsicherheit heraus, wo es sich um seröse Quellen handelt und wo nicht.
Und: Wir Journalistinnen und Journalisten haben immer noch nicht ausreichend verstanden, dass weite Teile der Öffentlichkeit uns die Nutzung unserer Recherchemöglichkeiten und damit den Qualitätsvorsprung, den wir uns zuschreiben, nicht mehr abnehmen. Ich glaube, dass es diesen Vorsprung nach wie vor oft gibt, weil die Ausstattung im klassisch professionellen Journalismus eben häufig doch noch besser ist als diejenige eines Bloggers, der sein Geld anderswo verdienen muss. Aber der Vorteil wird meines Erachtens zu wenig für einen wirklich kritischen Journalismus genutzt. Und erst recht zu wenig für eine fundierte Auseinandersetzung mit der verbreiteten Medienkritik.
Wie sieht es bei den alternativen Medien aus?
Stephan Hebel: Zunächst einmal: Viele von ihnen halte ich für eine echte Bereicherung, das sollte bei aller Kritik nicht untergehen. Aber als ein echtes Problem sehe ich es, dass manche von ihnen aus der Verteidigungshaltung gegenüber dem "Mainstream" in eine Art Wagenburgmentalität verfallen. Da passiert es leicht, dass jede abweichende Meinung als Teil einer vom Mainstream orchestrierten Kampagne abgetan wird. Man bunkert sich sozusagen mit Gleichgesinnten virtuell ein und merkt gar nicht, wie das das eigene Denken verengt.
Wo sehen Sie noch Probleme?
Stephan Hebel: Die alternativen Medien haben meines Erachtens das mediale "Geschäftsmodell" der Zukunft bisher ebenso wenig gefunden wie die etablierten. Gerade deshalb - und damit bin ich wieder beim Anfang unseres Interviews - fände ich es so wichtig, dass die Befürworter eines kritischen Journalismus sich gemeinsam Gedanken über die Zukunft der Medien machen. Die Konzentration im Verlagswesen, der interessengeleitete Journalismus, die Verflachung und Boulevardisierung in Teilen der Berichterstattung - das alles hört ja nicht auf, wenn wir keine Gegenkraft dazu bilden. Das können weder die "Alternativen" noch die Kritiker innerhalb der etablierten Strukturen allein.
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