Journalistisch anmutende Nachrichtenblogs
Folgen der neuen Internetgesetze für Blogs, Pod- und Videocasts
Im Jahr 2007 werden in Deutschland neue Internetgesetze in Kraft treten. Das „Telemediengesetz“ und der „Staatsvertrag über Rundfunk und Telemedien“ bringen inhaltlich kaum Neuerungen, gelten nun aber auch für Blogs und Podcasts. Ob die kleinen Online-Medien die hohen Anforderungen der Reform erfüllen können, ist aber fraglich.
Als der Brief kam, bloggte Jörg schon seit zwei Jahren. Er müsse sein Blog schließen, schrieb der Absender, eine Landesmedienanstalt: Weil er bisher die ordentliche Kennzeichnung von Werbung verweigere und zudem in seinem Blog mehrmals die Persönlichkeitsrechte anderer Personen verletzt habe, sei es nicht mehr zulässig, dass Jörg weiter als Anbieter von Telemedien aktiv sei. Ihm sei hiermit verboten, weiter ein Blog zu betreiben.
Diese Geschichte ist frei erfunden, und es ist unwahrscheinlich, dass sie jemals so stattfinden wird. Aber sobald im Frühjahr des nächsten Jahres die neuen „Internetgesetze“ in Kraft treten, ist sie zumindest theoretisch vorstellbar. Denn das neue Recht trennt nicht mehr zwischen „kleinen“ und „großen“ Medien. Wer im Internet Texte, Videos oder Audio-Dateien anbietet, muss sich nach denselben Vorschriften richten, die auch für professionelle Online-Medien gelten – egal, ob er nun ein großes News-Portal betreibt oder ein kleines Blog.
Das Zuständigkeitsgerangel im alten Recht
Das Dilemma des deutschen Internetrechts war immer das Kompetenzgerangel zwischen Bund und Ländern. Weil das deutsche Grundgesetz nur sehr undeutlich regelt, wer eigentlich das Recht hat, Gesetze für das Internet zu erlassen, hielten sich lange Zeit beide für zuständig. Das führte dazu, dass Bund und Länder schließlich das Internet einfach unter sich aufteilten: Der Bund erließ ein Gesetz für die so genannten „Teledienste“, die Länder regelten die „Mediendienste“ in einem Staatsvertrag.
Das Problem: Wo genau die Grenze zwischen „Telediendiensten“ und „Mediendiensten“ verläuft, können nicht einmal justische Experten zweifelsfrei sagen. „In der Praxis lässt sich eigentlich fast nie genau feststellen, ob eine Internetseite als Tele- oder als Mediendienst gelten soll“, weiß Dr. Martin Bahr, der als Rechtsanwalt mit Schwerpunkt im Bereich der neuen Medien tätig ist und selbst einen Podcast betreibt.
Dieses Problem soll die Reform des Internetrechts nun lösen. An Stelle der beiden alten Gesetze werden nun das Telemeidengesetz (TMG) und der Staatsvertrag über Rundfunk und Telemedien (RStV) treten. Das TMG soll dabei die technischen und wirtschaftlichen Aspekte von Webseiten regeln, der neue RStV schafft Vorschriften über die journalistische Seite, wird also hauptsächlich Fragen regeln, die die Inhalte der Telemedien betreffen. Beide Gesetze sollen nebeneinander gelten, und das für sämtliche Medienformen, die im Internet anzutreffen sind. Die Trennung von Tele- und Mediendiensten ist damit abgeschafft, an Stelle der alten Kategorien tritt die neue Bezeichnung „Telemedien“.
Inhaltlich werden sich die Gesetze kaum ändern: Fast alle Bestimmungen sind aus dem Teledienstegesetz oder dem Mediendienste-Staatsvertrag übernommen worden. Am wichtigsten ist die Änderung im Regelungsrahmen: Nach der Reform gelten auch die Internetseiten, die bisher nur unter das eher lockere „Teledienstegesetz“ fielen, als Telemedien – und müssen deswegen deutlich mehr Vorschriften erfüllen. Diese Änderung betrifft vor allem die Vertreter des „Graswurzeljournalismus“, also Blogger, Podcaster und Videocaster. Die Kinder des Web2.0 sind damit, zumindest rechtlich gesehen, erwachsen geworden.
Blogger als Journalisten – Impressumspflicht und Pressekodex
Ob ein Blogger im Internet eine so genannte „Impressumspflicht“ hat, also seinen Namen und seine Adresse angeben muss, hängt aktuell noch von der stark umstrittenen Frage ab, ob Blogs als Tele- oder Mediendienste einzuordnen sind. Anders das neue Recht: Es gilt die allgemeine Impressumspflicht. Eine Ausnahme besteht nur für Angebote, die „ausschließlich persönlichen oder familiären Zielen“ dienen. Betrifft das auch Weblogs?
So etwas ist natürlich immer nur am Einzelfall zu entscheiden. Allerdings gehe ich davon aus, dass nicht viele Weblogs als ‚persönlich’ gelten werden. Im Normalfall richtet sich ein Blog ja nach außen und will gelesen werden.
Rechtsanwalt Martin Bahr
Nach den neuen Telemediengesetzen werden die Betreiber von Internetseiten bestimmte „journalistische Sorgfaltspflichten“ beachten müssen. Dabei werden aber nicht alle Blogs und Podcasts gleich behandelt. Reinhold Albert, Vorsitzender der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten (DLM), erklärt die Hintergründe:
Der neue RStV gilt für alle Telemedien, also grundsätzlich auch für Blogs und Podcasts. Das Gesetz unterscheidet aber zwischen solchen Telemedien, die journalistisch-redaktionell gestaltet sind, und solchen, auf die dies nicht zutrifft. Bestimmte Mediendienste, wie etwa ein journalistisch anmutendes Nachrichtenblog, haben dann den anerkannten journalistischen Grundsätzen zu folgen. Zum Beispiel müssten die Nachrichten vor ihrer Verbreitung auf Inhalt, Herkunft und Wahrheit vom Anbieter geprüft werden.
Welche Weblogs und Podcasts gemeint sind, muss von der Rechtsprechung erst noch genauer geklärt werden. In jedem Fall werden das aber die Blogs sein, die sich an ein Massenpublikum richten, und die auch entsprechend wahrgenommen werden – also z.B. das Bildblog oder Spreeblick. Weniger stark besuchte Internetseiten und Podcasts wird diese Verpflichtung wohl nicht betreffen.
Ein heißes Thema – Schleichwerbung und Product Placement
Ob und wie in Blogs und Podcasts Werbung gemacht werden darf, ist ohnehin bereits ein stark umstrittenes Thema. Mit den neuen Telemediengesetzen bekommt das Problem noch eine rechtliche Dimension - denn nun gelten dieselben Werbevorschriften wie für die professionellen Medien.
Im Prinzip werden die neuen Gesetze an der alten Rechtslage nichts ändern. Wer Werbung macht, der muss das entsprechend kennzeichnen, z.B. durch das Wort „Anzeige“ über den entsprechenden Blog-Einträgen. Wer das nicht tut, der muss mit dem Risiko leben, abgemahnt zu werden; nicht nur von anderen Webmastern, sondern auch von Werbeagenturen und den Konkurrenten der beworbenen Produkte.
Rechtsanwalt Martin Bahr
Datenschutz – Im Spannungsfeld von Ordnungsmacht und Quellenschutz
Zu den wichtigsten Änderungen im Telemediengesetz werden die Regelungen im Datenschutz gehören. Während bisher die Anbieter von Telemedien, also auch Blogger und Podcaster, kaum dazu gezwungen werden konnten, die Daten ihrer Nutzer herauszugeben, wird sich das nun ändern. Wie genau die Vorschriften aussehen sollen, wird derzeit noch zwischen Bundestag und Bundesrat ausgehandelt. Umstritten ist dabei vor allem die Frage, wann die Staatsmacht eingreifen darf – ob nur bei feststehenden Rechtsverstößen, z.B. Straftaten, oder auch schon präventiv, also im Vorfeld von Vergehen. So schreibt der Bundesrat in seiner Stellungnahme zum Entwurf des TMG:
Im Bereich der Gefahrenabwehr wäre ein Bedarfsfall beispielsweise gegeben, wenn auf einer Internetplattform Anleitungen zum Bau von Sprengsätzen, Blankoformulare für Dienstausweise der Polizei oder Zugangsberechtigungen für einen bestimmten Flughafen angeboten werden. Hier kann für die Polizei von Bedeutung sein, zu erfahren, welche Person/Firma sich hinter dem Anbieter verbirgt und ob Informationen über weitere Internetangebote dieser Person/Firma vorliegen.
Markus Beckedahl, Vorsitzender des Netzwerks neue Medien und Autor des Weblogs Netzpolitik, hält solche Vorschläge für untragbar.
Wenn noch mehr Daten an Verfassungsschutz oder private Organisationen wie die Musikindustrie herausgerückt werden müssen, und das auch noch präventiv, dann ist das eine Gefahr für die freie Meinungsäußerung. Hier werden über die Hintertür der Terrorbekämpfung wichtige Bürgerrechte aufgeweicht.
Was war, was wird – und was fehlt
Die Entwürfe der Telemediengesetze werden höchstwahrscheinlich ohne große Änderungen in Kraft treten. Ob die Web-Öffentlichkeit sie, wie schon die alten Gesetze, weitgehend ignoriert, wird sich dann zeigen. Schon jetzt kommt allerdings Kritik auf, dass die neuen Gesetze zu kompliziert und unverständlich seien. Reinhold Albert von der DLM hält diese Vorwürfe für unberechtigt:
Eine so komplexe Materie wie das Recht der Telemedien lässt sich nicht so vereinfachen, dass für jede denkbare Form eines Telemediums die Anforderungen explizit im Gesetzestext auftauchen würden.
Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass der Gesetzgeber, abgesehen von der Lockerung im Datenschutz, kaum Änderungen macht. Nach Ansicht von Rechtsanwalt Dr. Bahr wäre das aber dringend nötig: „Das neue Gesetz regelt viele Dinge, die in der Praxis absolut unwichtig sind, und andere Fragen, wie die Haftung für Links oder die Mitstörerhaftung lässt der Gesetzgeber völlig außer Betracht. Ich halte das für wenig glücklich.“ Noch weiter geht Markus Beckedahl von Netzpolitik.org:
Man kann der Bundesregierung einfach nicht besonders viel Internet-Kompetenz zusprechen. Anstatt einen Innovationsrahmen für neue dynamische Märkte zu schaffen, bewirkt das TMG nur weitere Unsicherheiten und wird vielleicht Vorlage für neue Abmahnwellen sein. Es ist illusorisch, zu erwarten, dass sich Blogger, die einfach keine Juristen sind, plötzlich mit der Frage beschäftigen sollen, ob z.B. ihr Weblog ‚gewerblich’ ist. Ich glaube nicht, dass wir mit dem neuen Gesetz besser dran sein werden.