Jubel für SS-Kämpfer im kanadischen Parlament: Trudeau warnt vor Desinformation aus Russland

Justin Trudeau. Bild (2016): Simon Fraser University / CC BY 2.0

Der kanadische Premierminister entschuldigt sich nicht für den peinlichen Vorfall. Stattdessen demonstriert er Ambivalenzen im Umgang mit Nazi-Symbolen. Wie die Reaktionen aussehen. Update.

Krisenkommunikation war gefordert, nachdem es am vergangenen Freitag im kanadische Parlament stehende Ovationen für einen ehemaligen Kämpfer der Waffen-SS-Division Galizien gegeben hatte.

Das Debattenforum X-Twitter und internationale Medien waren schnell aufmerksam geworden. Die deutschen Medien brachten spärliche Berichte und dies langsamer, aber auch sie drückten die beiden Trigger-Knöpfe: Ehrung eines SS-Mannes (und hier). Und das im Parlament in Kanada, dem Role-Model einer liberalen, wertegeleiteten, anti-autoritativen Demokratie.

So musste Premierminister Trudeau am gestrigen Montag reagieren. Er bekam Druck von jüdischen Gemeinschaften und aus Polen. Der polnische Botschafter in der Ukraine, Witold Dzielski, verlangte eine Entschuldigung wegen der "Beschönigung von Schurken".

Aber auch die großen Gemeinschaften der ukrainischen Auswanderer in Toronto, Montreal und Vancouver dürften auf seine Reaktion gespannt gewesen sein. Sie sind eine Wählerschaft, die Trudeau nicht vernachlässigen kann.

Ablenkungsmanöver: Russische Propaganda

Trudeau versuchte, alle Seiten zu bedienen. Der Premier entschuldigte sich nicht. Zunächst gestand er ein, dass die Sache "dem kanadischen Parlament und damit allen Kanadiern zutiefst peinlich ist". Dann steuerte er Russland an.

"In seiner Rede am Montag deutete Trudeau auch an, dass Russland den Auftritt nutzen würde, um ein falsches Bild von der Ukraine zu zeichnen", berichtet BBC aus seiner Erklärung.

Ich denke, es wird sehr wichtig sein, dass wir uns alle gegen die russische Desinformation wehren und unsere unerschütterliche, unmissverständliche Unterstützung für die Ukraine fortsetzen.

Justin Trudeau

Was hat die russische Propaganda mit der Ehrung eines Nazis durch Trudeau im kanadischen Parlament zu tun?

Mittlerweile gibt es die Aussage einer kanadischen Parlamentsabgeordneten darüber, dass die Einladung an den mittlerweile 98-jährigen Jaroslav Hunka, der sich im Zweiten Weltkrieg der Waffen-SS-Division Galizien angeschlossen hatte, bekannt war und geprüft worden sei.

Hunkas Vorgeschichte

Von Hunka existieren im Internet Aufzeichnungen über seinen Werdegang. Dort ist nachzulesen, dass ihm die deutschen Soldaten sympathisch waren, dass er in ihnen Retter gegen den stalinistischen Terror sah.

Es ist ein schön gefärbtes, weichgezeichnetes Bild der deutschen Nazis, die als Besatzer in der Ukraine eine wahnsinnige Blutspur mit Massakern hinterließen. Geschrieben im Jahr 2011, also im Bewusstsein dessen, was die Nazis an Gräuel anrichteten. Das wird dann auch übergangen.

Mit Kritik an den Deutschen hält sich der Patriot Hunka unübersehbar zurück. Von Massakern an Polen und Juden ist gar nicht die Rede. Er ignoriert sie, schwelgt in Gefühlen. Im Zentrum steht die Begeisterung für den nationalen Kampf für die Unabhängigkeit der Ukraine, großer Zorn und Wut richtet sich auf das Regime Stalins.

Hatten die kanadischen Prüfer gar keine Ahnung von diesem Schreiben?

Es weist mindestens auf eine kämpferische Gemeinschaft mit den Nazis hin. Nicht so schlimm, weil für die westliche Einordnung der Kampf gegen die Kommunisten im Vordergrund stand und wie jetzt auch der Kampf gegen das autoritäre russische Putin-Regime, wie manche kritisch-polemische Stimmen vorbringen?

Kritiker gehen noch weiter. Die Publikation Ottawa Citizen zitiert den ukrainisch-kanadischen Politikwissenschaftler Ivan Katchanovski damit, dass die kanadische Regierung die SS-Division-Galizien "direkt verurteilen und sie nicht ehren" sollte. Es sei "unglaublich, dass dies überhaupt geschehen ist".

Katchanovski postete mehrere Fotos von Hunka, die auf einer Website zu Ehren der Division zu finden seien, darunter solche mit Hunka in Naziuniform.

Das dürfte eigentlich genügen, um den Mann nicht einzuladen und mit Beifall zu ehren.

Trudeaus Ambivalenz

Was Justin Trudeau angeht, so hat er Nazi-Symbole betreffend eine eigenartige Ambiguität, man könnte es auch politischen Opportunismus nennen. Während der Blockade der kanadischen LKW-Fahrer, die sich im Februar über Corona-Maßnahmen und daraus resultierende größere Einnahmeeinbußen beschwerten, waren Hakenkreuze, die im Protestlager sichtbar wurden, für Trudeau ein geeignetes Signal, um die Protest grosso modo in die extrem-rechte Ecke zu stellen.

Jetzt, bei einem bekennenden Ex-Träger der Nazi-Uniform, gelten andere Maßstäbe, weil nur der Feind desinformierende Propagandamittel anwendet?

Zur Ergänzung sei noch erwähnt, dass das Thema der Kollaboration ukrainischer Unabhängigkeitskämpfer, die mit Nazis kollaborierten, hochkomplex ist.

Anders, als noch vor gut zwei Jahren, wird, wenn es um die Waffen-SS-Division Galizien geht, nicht länger mehr mit Schlagzeilen wie dieser "Mit SS-Symbolen und Hitlergruß" aufgemacht, wie es die taz zum Jahrestag der Gründung der Division zu Feierlichkeiten in der Ukraine Ende April 2021 noch tat.

Heute ist das ein heißes Eisen, an dem sich Journalisten augenscheinlich nicht die Finger verbrennen wollen.

Unter Historikern gibt es einige, die sich die Narrative zur Division neu angeschaut haben und deren Arbeit verbreiteten Platzzuweisungen entgegensteht.

Nicht jeder Ukrainer, der bei der Waffen-SS-Division Galizien war, war automatisch ein Nazi und an Massakern beteiligt. Wobei einige Historiker noch Fragen dazu klären, an welchen Massakern die SS-Division in beteiligt war, außer dem Huta-Pieniacka-Massaker.

Update

Der Sprecher des Parlaments, Anthony Rota, der den ukrainischen Waffen-SS-Veteranen eingeladen hatte und feierlich als Kriegshelden hervorgehoben, ist mittlerweile von seinem Posten zurückgetreten. Der politische Druck auf ihn wurde zu groß.

"Der stellvertretende Premierminister, der Außenminister, der Industrieminister und der Vorsitzende der Regierung im Unterhaus hatten sich gegenüber Reportern für seinen Rücktritt ausgesprochen", berichtet die New York Times.

Zitiert wird im letzten Satz des Artikels Dominique Arel, Inhaber des Lehrstuhls für ukrainische Studien an der Universität von Ottawa:

"Da sie von SS-Offizieren ausgebildet wurden, können Sie sich vorstellen, welche Art von politischer Indoktrination sie erhielten."

Selbst wenn ihre Ziele die Unabhängigkeit waren, bestehe kein Zweifel daran, dass die Einheit "für die Nazis kämpfte und von ihnen ausgebildet wurde".

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