Jugendlicher in Griechenland stirbt im Kugelhagel der Polizei

Tweet der griechischen Polizei: „Insgesamt wurden sieben Polizisten verletzt“. Das wird nun angezweifelt. Bild: @hellenicpolice

Streifenpolizisten erschießen Roma - und werden verhaftet. 32 Patronenhülsen am Tatort sichergestellt. Debatte um innere Sicherheit

In der Hauptstadt Athen und im nördlichen Thessaloniki haben spontane Demonstrationen gegen Polizeigewalt in Griechenland stattgefunden. Zuvor waren drei unbewaffnete Mitglieder der Volksgruppe der Roma, die mutmaßlich einen PKW gestohlen haben sollen, von sieben Polizisten unter Beschuss genommen worden. Am Tatort wurden 38 Patronenhülsen aus Polizeiwaffen gefunden.

Widersprüche im Polizeibericht

Ein Toter und acht Verletzte wurden nach dem blutigen Vorfall gemeldet, der sich in der Nacht zum Samstag in Perama bei Piräus zugetragen hat. Der Tote ist ein Roma, dessen Alter in den meisten Quellen mit zwanzig Jahren angegeben wird.

Unstrittig ist, dass ein weiterer Verletzter Roma sechzehn Jahre alt ist, und dass nach einem dritten Roma im Alter von fünfzehn Jahren gefahndet wird. Strittig ist, ob die übrigen sieben beteiligten Polizisten tatsächlich verletzt wurden, wie sie zunächst angaben. Sie befinden sich momentan unter dem Vorwurf der vorsätzlichen Tötung in Haft.

Gegen den verletzten Roma sowie gegen den Flüchtigen wird ebenfalls ermittelt. Der Vorwurf lautet auf versuchten Totschlag.

Nach Angaben der Polizei vom 23. Oktober stellt sich der Vorfall folgendermaßen dar: Demnach entdeckte eine Streife der Dias-Einheit im Bezirk Renti, Piräus, einen PKW mit eingeschlagener Seitenscheibe, mit dem drei Personen unterwegs waren.

Danach heißt es im Polizeibericht, dass auf Befehl des Einsatzzentrums weitere Motorradpolizisten entsandt worden seien, und dann gemeinsam auf das verdächtige Fahrzeug zuzufahren. Dem Fahrer sei jedoch die Flucht gelungen.

Später habe die Streife das Fahrzeug erneut gesichtet, dieses Mal im nahen Aigaleo, und bis Perama, zwölf Kilometer vom ersten Zusammentreffen entfernt, verfolgt. Dort musste der Fahrer stoppen, weil ein Bus den Weg blockierte.

Der Fahrer habe dann den Rückwärtsgang eingelegt und fünf Polizeimotorräder gerammt. Dabei hätten sich sieben Polizisten verletzt. Diese Polizisten hätten dann das Feuer eröffnet. Später stellte sich heraus, dass der PKW im Bezirk Renti gestohlen worden war.

Im Lauf des Samstags Videos auf, in denen der massive Beschuss zu hören ist. Dies nährt neben weiteren Umständen an der polizeilichen Darstellung.

Gemäß ersten Funksprüchen gab es keine verletzten Polizisten, wie der Funkverkehr belegt:

"Kollegen, alles in Ordnung?"

Streifenpolizist: "Zwei Täter sind verletzt."

"Geht es allen gut? Haben wir keinen der unseren (verletzt)? Seid ihr alle in Ordnung?"

Streifenpolizist: "Zentrale, fünf dienstliche Motorräder wurden gerammt. Es gibt keinen verletzten Kollegen. Wir mussten E23 (Eröffnen des Feuers) machen, weil sie sich in Tötungsabsicht auf die Kollegen hinbewegten."

Im Lauf des Samstags sickerten weitere Details an die Presse durch. So berichtet die konservative Tageszeitung Kathimerini, dass die Zentrale die Dias-Streife dazu aufgerufen habe, die Verfolgung abzubrechen.

Dieser Befehl sei gemäß den vorliegenden Tonaufnahmen vom Einsatzleiter mit "verstanden" quittiert worden.

Kathimerini berichtet, dass die Zentrale die Streife wiederholt zum Abbruch der Verfolgung aufgefordert habe, um eine Gefährdung von Passanten, Polizisten, aber auch der Verfolgten zu vermeiden.

Im Umfeld des Tatorts wurden bei mehreren Kraftfahrzeugen Einschüsse festgestellt. Die Gerichtsmedizin ließ verlautbaren, dass der Erschossene mehrere Schusswunden aufweise. Drei davon seien tödlich gewesen, berichtet die Presse.

Der verletzte Sechzehnjährige hat zumindest einen Bauchschuss. Weitere Angaben über das Todesopfer werden nach Abschluss der Obduktion erwartet. Die Polizei berichtet zudem, dass das Opfer im Alter von vierzehn Jahren wegen eines Diebstahls bereits einmal erkennungsdienstlich erfasst worden war.

Es ist nicht der erste Vorfall dieser Art. Anfang Oktober gab es im Zentrum Athens einen ähnlichen Vorfall, bei dem ein Autodieb aus Albanien durch Schüsse verletzt wurde. Seinerzeit fielen drei Schüsse.

Reaktionen der Politik

Der Minister für Bürgerschutz, Takis Theodorikakos, hat unter dem Eindruck der Entwicklungen angeordnet, dass Dienstaufsichts- und Disziplinaruntersuchungen innerhalb von fünf Tagen alle Vorgänge rund um die tödlichen Schüsse aufklären sollen.

Wirtschaftsminister Adonis Georgiadis sieht dagegen keinen Grund für Kritik an den Polizisten. Er postete auf Twitter, dass diese alles richtig gemacht hätten und beglückwünschte sie zu ihrem Vorgehen.

In eine ähnliche Kerbe schlug die Politikerin der konservativen Regierungspartei Nea Dimokratía (ND), Aphrodite Latinopoulou, die für die Roma das "Z"-Wort benutze. Die studierte Juristin fand den Schusswaffeneinsatz angemessen, weil die Verdächtigen nicht auf Befehl der Polizei gestoppt haben.

Von den außerparlamentarischen Rechten kam ebenfalls Zustimmung. Thanos Tzimeros, 2012 in der Finanzkrise von der Bild zum Hoffnungsträger hochstilisiert, beglückwünschte die Polizei und kritisierte, dass der Erschossene nicht zuvor schon in Haft genommen wurde.

Kyriakos Velopoulos, Vorsitzender der "Griechischen Lösung", die derzeit die Rechtsaußen-Fraktion im griechischen Parlament stellt, bemängelte, dass sich die Polizisten einem Verfahren stellen müssten, statt eine Auszeichnung für ihre Tat zu erhalten.

Die Oppositionspartei Syriza erklärte in einer Pressemitteilung:

Was gestern in Perama geschah, unterstreicht die Unsicherheit, die die griechische Gesellschaft überschattet. Der Minister für Bevölkerungsschutz und die Polizeiführung müssen Erklärungen abgeben und dafür sorgen, dass die Polizisten nicht zu selbsternannten Rächern werden. (…) Es überrascht uns nicht, dass Herr Georgiadis schnell zu dem Schluss kam, dass alles gut gelaufen ist und die Aufgabe der Polizei darin besteht, Athen in einen Wilden Westen zu verwandeln. Wir hoffen aufrichtig, dass die Regierung diesen verantwortungslosen Populismus nicht deckt.

Die Kommunistische Partei fordert von der Regierung eine lückenlose Aufklärung des Vorfalls. Sie verwies auf eine Häufung derartiger Ereignisse übermäßiger Polizeigewalt.

Die Partei von Yanis Varoufakis, Mera25, sieht zudem Parallelen zu 2008, als der Mord des damals fünfzehnjährigen Alexis Grigoropoulos am Nikolaustag durch Polizeikugeln landesweite Aufstände der Jugend auslöste.