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Die neue Vielfalt: ein Blick auf die Entstehung der Casual Games
Alle reden über sie, viele mögen sie. Die Rede ist von den so genannten Casual Games. Doch was überhaupt versteht man unter dieser Kategorie der Computer- und Videospiele, die von manchen gar als die frauenspezifischste gehandelt wird?
Es ist Montag, der 26. Mai, etwa 12 Uhr. Wir befinden uns auf der Fachkonferenz GamePlaces International, die in diesem Jahr zum zweiten Mal in Frankfurt am Main stattfindet. André Bernhardt, seinerseits Juniorproduktmanager bei der RTL Games GmbH, wirft via PowerPoint die Spielanleitung für „Pong“ an die Wand. Die zentrale Aufgabe, „Avoid missing ball for highscore“, benötigt nicht einmal eine Seite, doch das Handbuch von „World of Warcraft“, das kurz darauf an die Wand projiziert wird, umfasst über 140 – besser lässt sich die Kernaussage eigentlich nicht illustrieren: Bei Casual Games klappt der Einstieg auf Anhieb, ausschweifende Instruktionen sind unnötig.
Bernhardts historischer Ansatz gefällt, obgleich er am Ende übersehen hat, dass man bei Termini auch deren Ursprung und den Gesamtkontext berücksichtigen muss. Schließlich könnte man dann im selben Atemzug mit „Pong“ gleich alle Spiele der Arcade-Ära über einen Kamm scheren, womit man den Technikfreaks der 1970er Jahre auf keinen Fall gerecht werden würde. Selbst Titel wie „Pac-Man“ und „Tetris“, in den Augen Bernhardts ebenfalls zu den Casual Games gehörend, leben vom Pioniergeist ihrer Zeit. Alles, was das Vorgehen des RTL-Mitarbeiters demonstriert, ist der Beweis dafür, wie ungemein schwierig der Umgang mit Modewörtern sein kann. Und gerade bei Computer- und Videospielen muss unter anderem ein Blick auf die Technologie der jeweiligen Epoche geworfen werden.
Die technischen Gegebenheiten, die die Szene um 1980 prägten, waren äußerst limitiert. Komplexere Spiele waren daher überhaupt noch nicht möglich. Text-Adventures waren bereits die Spitze des Eisbergs. Komplexere Spielwelten gibt es eigentlich erst seit Miyamotos „Zelda“ (1986). Heute jedoch stehen wir längst an einem Punkt, an dem unserem Vorstellungsvermögen kaum noch Grenzen gesetzt werden können. Demgegenüber sind Casual Games als bloßer Zeitvertreib zu verstehen. Als wir damals „Pong“, „Breakout“ und „Pac-Man“ gespielt haben, gab es noch keine größeren Spiele, und außerdem haben wir nicht einfach nur so zwischendurch gezockt, sondern gleich mehrere Stunden. Und da wären wir gleich beim nächsten Problem: Kann ein Spiel, mit dem man Stunden, ja gar Tage, Wochen und Monate lang Spaß hat, casual genannt werden? Dann ist es doch kein Gelegenheitsspiel mehr! Man nutzt es schließlich nicht nur ab und an. Außerdem sollte der Schwierigkeitsgrad von Casual Games ausbalanciert sein. Auf einen Großteil der Klassiker trifft das allerdings nicht zu.
Ein weiterer Punkt, auf den Bernhardt einging, war die Steuerung. Nachvollziehbar zeigte er auf, worin sich beispielsweise der Xbox-360-Controller von der Wiimote unterscheidet. Demnach wäre Microsofts Produkt für Hardcore-Spieler und Nintendos für Gelegenheitsspieler. Dass jemand seine Argumentation auf diesen Aspekt reduziert, mündet allerdings erneut in Irrglauben. Denn dann müsste man ja sogar Point-and-Click-Adventures zu den Casual Games zählen, da die Steuerung per Maus auch in Sekundenschnelle verinnerlicht ist. Selbst bei einem Ego-Shooter weiß jeder sofort, wie er sich durch die Gänge bewegt. Sicher, man kann es drehen und winden, wie einem gerade der Kopf steht, tatsächlich aber führt es zu keinem befriedigenden Ergebnis. Zudem verbergen sich hinter Casual Games oftmals einfach nur unspektakuläre 1:1-Brett- oder Kartenspielumsetzungen.
Was also tun? Brockhaus, Spiegel Wissen oder Wikipedia durchforsten? Das bringt nicht allzu viel. Bernhardt und die anderen Redner der Runde greifen nämlich sowieso lieber auf Statistiken zurück: Bas ten Kate, Experte für die internationalen Geschäftsangelegenheiten von RealGame in den Niederlanden, kramt eine Untersuchung raus, die besagt, dass hauptsächlich Frauen Casual Games spielen. Als Resultat präsentiert er Marie und Sophie, die eine 47, die andere 32 – sozusagen die User-Schnittmenge. Demnach bilden Frauen zwischen 25 und 50 den harten Kern. Wer das allerdings einer Frau erzählt, der wird entweder Gelächter hören oder böse Kritik ernten. Denn das wirkt wie ein Stempel auf der Stirn des weiblichen Geschlechts. Es führt zu einer Stigmatisierung. Aus unternehmerischer Sicht ist das wiederum unabdinglich, müssen doch an allen Ecken und Enden Marketingkonzepte erstellt werden. Alldieweil rein gar nix ohne Profit geht.
Abschließend bleiben die folgenden Aspekte festzuhalten: Zunächst einmal müssen wir unseren Horizont erweitern und von diesem Geschlechtergehabe wegkommen. Casual Games sind für alle gedacht, schließlich muss jeder Einzelne für sich entscheiden, ob ihm das von der Firma XY angebotene Handy- oder Flashspiel so gut gefällt, dass er es sich via Download kauft oder nicht. Dazu kann man sich den Großteil der Angebote zunächst einmal für 30 oder 60 Minuten anschauen. Erst danach fallen Kosten an. Laut Nils Holger Henning von Bigpoint, ebenfalls einer der Redner des Themenvortrags, erweitern die Casual Games den Markt. Dadurch scheffelt die Computer- und Videospielindustrien also noch mehr Kohle. Dies bestätigt auch die International Game Developers Association. Was den Erfolg mit den Gelegenheitsspielen betrifft, so kommen besonders gut Klone von Klassikern und Verkaufshits gut an. Insofern ist ein historischer Ansatz durchaus angebracht, aber dann bitte nur etwas besser reflektiert. Denn schließlich sind viele Casual Games erst durch den exzessiven Remix altbewährter Spielprinzipien entstanden.
Casual Games (Auswahl):
- „Bejeweled 2” (PC)
- „Diner Dash“ (PC/DS)
- „Mah Jong“, auch „Mahjong“ oder „Mahjongg“ (PC)
- „Mein Wortschatz-Coach“ (DS/Wii)
- „Minesweeper“ (PC)
- „Neves“ (DS)
- „Polarium” (DS)
- „Solitaire“ (PC)
Casual Games – Internetportale für On- und Offline-Titel (Auswahl):
- Electronic Arts
- Game Group
- PopCap Games International
- Real Networks
- Spill Group
- Sandlot Games Corporation