KZ-Überlebende zeigen auch nach 70 Jahren veränderte Gehirnstrukturen
Nach einer MRT-Studie könnten diese auch an die Kinder vererbt werden
Schwere traumatische Erfahrungen, die sich nicht selbst oder durch therapeutische Behandlung zurückbilden, können sich dauerhaft in die Gehirne der Betroffenen eingraben und zu neuroanatomischen Veränderungen führen. Es gibt Hinweise darauf, dass die Folgen von Traumata, wie sie durch Kriege, Folter, sexuelle oder körperliche Gewalt oder Gefangenschaft entstehen können, nicht nur psychisch an Kinder der Betroffenen weitergegeben werden, sondern sich in ihnen auch epigenetisch niederschlagen können, also generationenübergreifend wirkt. Das könnte nun eine Studie mit Gehirnscans von Überlebenden von Konzentrationslagern und ihren Kindern belegen.
Wissenschaftler haben in einer Studie, die 2018 in PNAS erschien, erstmals untersucht, ob Traumata von Vätern an Kinder weitergegeben werden. Andere Studien hatten gezeigt, dass sich Hunger, Infektionskrankheiten oder psychologischer Stress von Müttern in der Schwangerschaft in epigenetischen Veränderungen und psychischen Störungen der Kinder niederschlagen kann. Die Wissenschaftler untersuchten, wie es den Kindern von kriegsgefangenen Soldaten während des Amerikanischen Bürgerkriegs (1861-1865) im Verhältnis zu Kindern von Veteranen erging, die sich nicht in Kriegsgefangenschaft befunden haben. Die Kriegsgefangenen selbst, die während der Zeit der schlimmsten Bedingungen überlebt hatten, als es keinen Gefangenaustausch gab, zeigten 35 Jahre danach eine erhöhte Mortalität sowie erhöhte gesundheitliche Risiken und eine schlechtere sozioökonomische Situation auf.
Verglichen wurden 4593 Kindern von 1407 Kriegsgefangenen mit 15.310 Kindern von 4960 Veteranen, die keine Kriegsgefangenen waren. Untersucht wurden nach dem Krieg geborene Kinder, die das Alter von 45 Jahren erreicht haben. Bei Töchtern stellten die Wissenschaftler keine statistisch signifikanten Unterschiede fest. Bei den Söhnen von Kriegsgefangenen, die sich während des Gefangenenaustausches im Lager befanden, konnten auch keine gefunden werden. Allerdings war die Wahrscheinlichkeit zu sterben (meist an Hirnblutung und Krebs) um das 1,11-Fache bei den Söhnen von Kriegsgefangenen unter den schlimmsten Bedingungen höher. Dass es keine Unterschiede bei den Töchtern gab, werten die Wissenschaftler als Hinweis auf epigenetische Veränderungen über das Y-Chromosom. Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass die Auswirkungen nicht so ausgeprägt waren, weil die Soldaten als Helden gefeiert wurden und weil sie zwar mit schlimmen Bedingungen konfrontiert waren, aber keinen Tötungen und keiner Folter oder Misshandlungen ausgesetzt waren.
Tschechische Wissenschaftler haben auf dem Kongress der Europäischen Akademie für Neurologie eine Studie vorgestellt, nach der die Erfahrungen in Konzentrationslagern die Gehirne von Überlebenden dauerhaft verändert haben. Menschen überleben zwar die Schrecken, aber die angerichteten psychischen Zerstörungen bleiben dauerhaft.
Untersucht wurden mit Magnetresonanz-Tomografie die Gehirne von 28 KZ-Überlebenden und 28 ähnlich alten Personen, die und deren Familien keine Holocaust-Opfer waren. Bei den KZ-Überlebenden war eine deutliche Verringerung der grauen Substanz an den Arealen im Gehirn festzustellen, die für Gedächtnis, Motivation, Stressreaktion, Gefühle, Lernen und Verhalten zuständig sind. Gravierender war die Rückbildung der grauen Substanz bei den Personen, die die Todeslager im Alter von 12 Jahren und darüber überlebt haben. Das könnte damit zu tun haben, dass die sich noch entwickelnden Gehirne noch plastischer sind.
Der Neurologe Ivan Rektor, einer der Autoren der Studie, erklärt: "Die Auswirkung des Überlebens des Holocaust ist nach mehr als 70 Jahren signifikant." Die Verminderung der Grauen Substanz fand auch in den mit der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTSD) verbundenen Gehirnarealen statt, wie man das bei Soldaten nach Kriegseinsätzen oder Kindern kennt, die hohem Stress ausgesetzt waren. Aber die Auswirkungen auf das Gehirn seien viel größer gewesen, als dies bislang bei PTSD-Patienten der Fall gewesen ist, auch wenn die KZ-Überlebenden sagten, sie seien mit ihrem persönlichen und beruflichen Leben nach dem Krieg zufrieden gewesen. Bei ihnen habe man zudem ein stärkeres posttraumatisches Wachstum feststellen können, also positive Folgen der traumatischen Belastung.
Nach ersten Ergebnissen seien die neuroanatomischen Folgen auch noch bei den Kindern und gar Enkeln der Überlebenden zu beobachten. Auch bei diesen habe man eine reduzierte Konnektivität zwischen Gehirnarealen bemerkt, die für Gedächtnis und Gefühle zuständig sind. Wenn dies so sein sollte, so wäre zu klären, ob die "Vererbung" durch das Verhalten/Lernen, psychologische Faktoren oder epigenetische Veränderungen geschieht.
Noch einmal klar wird durch die Untersuchung über die bleibenden und eventuell vererbbaren Veränderungen im Gehirn, dass etwa auch mit dem Ende von Kriegen, Vertreibungen, Vergewaltigungen, Folterungen, Misshandlungen und Gefangenschaften die erlebten Traumata noch lange bestehen bleiben und so die Menschen und ihre Kinder prägen, selbst wenn sich ein posttraumatisches Wachstum ergeben sollte. Lange Kriegserfahrungen wie in Afghanistan, im Jemen, in Syrien, im Irak hinterlassen nicht nur bei den Soldaten, sondern in großen Teilen der Bevölkerung posttraumatische Störungen, die leicht wieder aufbrechen und zur nächsten Gewalt führen können.