Kadyrow will IS infiltriert haben
Tschetschenische Spione sollen Ziele für russische Angriffe auskundschaften - Äußerung könnte taktischer Natur sein
Ramsan Kadyrow, das Oberhaupt der russischen Teilrepublik Tschetschenien, sagte dem öffentlich-rechtlichen Sender Rossija 1 seinem Büro zufolge in einem Interview, dass man die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) mit einem umfassenden Netzwerk tschetschenischer Spione infiltriert habe, die dort Informationen sammeln, welche die russische Luftwaffe für die Auswahl ihrer Ziele nutzt.
Die Ausstrahlung des vollständigen Interviews ist für Mittwoch vorgesehen. In ihm soll Kadyrow unter anderem erzählen, dass die tschetschenischen Spione bereits nach Syrien gingen, als es den IS noch gar nicht gab und als man lediglich wusste, "dass es eine Vorbereitung für terroristische Gruppierungen geben werde". Außerdem wird er beim Abfeuern einer großkalibrigen Waffe auf einem Trainingsgelände in Tschetschenien gezeigt, in dem angeblich russische Truppen für Syrien ausgebildet werden.
Kreml-Sprecher Dmitrij Peskow reagierte auf Anfragen zu Kadyrows Behauptungen hin ausweichend. Es spricht jedoch viel dafür, dass die Angaben taktischer Natur sein könnten: Dass zahlreiche Tschetschenen in Syrien auf Seiten dschihadistischer Gruppen kämpfen, ist lange bekannt. Sie gelten dort als besonders blutrünstig, aber auch als militärisch besonders wertvoll. Sollte es darunter tatsächlich Spione für Kadyrow oder Russland geben, wäre es nur bedingt im Interesse ihrer Auftraggeber, dies öffentlich bekannt zu machen, weil die IS-Führung dadurch misstrauisch werden und Tschetschenen von Informationen ausschließen oder hinrichten lassen könnte.
Handelt es sich dagegen nicht um Spione, wäre es durchaus im Interesse Russlands und Kadyrows, wenn die Wahabiten in Syrien ausgeschaltet werden, bevor sie in den Kaukasus zurückkehren und dort den Bürgerkrieg neu anfachen können. Auch dann, wenn sie nicht hingerichtet werden, schwächt das gesäte Misstrauen unter ihnen die Schlagkraft der Terroristen potenziell. Gut möglich ist zum Beispiel, dass sich Tschetschenen angesichts der eher schwach ausgeprägten Rechtsstaatlichkeit von Spionageverfahren im Terrorkalifat nach entsprechenden Meldungen auch dann abseilen, wenn sie eigentlich keine Spione sind.
Dass Kadyrow ethische Bedenken haben könnte, eine "taktische Wahrheit" zu verbreiten, ist unwahrscheinlich: Die Lüge gilt nicht erst seit der Erfindung von Figuren wie Francis Urquhart und Frank Underwood als politische Kernkompetenz und wurde bereits von Gaius Julius Cäsar exzessiv bei der Rechtfertigung der Eroberung Galliens genutzt (vgl. Überfall auf Linksparteiaktivist erfunden?).
Andererseits hatte der IS am 2. Dezember das Video der Enthauptung eines angeblichen Tschetschenen veröffentlicht, der beschuldigt wurde, für Russland zu spionieren. Kadyrow bestritt damals, dass es sich bei dem Mann, dem IS-Rebellen den Kopf abschnitten, um einen echten Spion handelte.
Zwei Monate davor hatte er angekündigt, er wolle gerne tschetschenische Spezialkräfte nach Syrien entsenden, warte dazu aber auf eine Genehmigung des russischen Staatspräsidenten Wladimir Putin. Wenn die Terroristen wüssten, dass sie gegen Tschetschenen kämpfen müssten, würden sie seinen Worten nach aus Syrien verschwinden.
Ramsan Kadyrow ist der Sohn des 2004 ermordeten tschetschenischen Ex-Präsidenten Achmat Kadyrow. 2006 wurde er Ministerpräsident von Tschetschenien, ein Jahr später Präsident. 2010 ließ er seinen Titel in "Oberhaupt" ändern. In den letzten zehn Jahren gab er sich demonstrativ loyal gegenüber Russland und Putin, betonte aber immer wieder tschetschenische Sonderrechte, seine eigene Rolle und seine moslemische Frömmigkeit, die er dem aus Saudi-Arabien importierten Wahabismus der Kaukasus-Dschihadisten gegenüberstellte.
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