Kalifornien: Es brennt
Die aktuellen Brände in Kalifornien gehören zu den größten, die dort jemals registriert wurden. Eine Rauchglocke überquert die USA in Richtung Ostküste
Eine Zunderbüchse ist ein Behälter aus Holz oder Metall, der ein leicht entzündliches Material, zumeist aus pflanzlichen Materialien, enthält, das zur Entzündung von Feuer dient. Kalifornien ist keine Zunderbüchse, sondern mit fast 40 Millionen Einwohnern der bevölkerungsreichste Bundesstaat der USA und eine der reichsten Gegenden der Welt. Doch zurzeit brennt es dort lichterloh.
Laut Aussage von Cal Fire, der Feuerwehr der California Natural Resources Agency, haben in weniger als zwei Wochen mehr als 500.000 Hektar gebrannt. Seit dem 15. August seien 650 neue Feuer ausgebrochen, die vor allem durch Trockengewitter verursacht wurden. Mehr als 13.000 Blitze wurden seitdem registriert. Sieben Menschen seien ums Leben gekommen und mehr als 1.400 Gebäude seien zerstört worden, so Cal Fire.
Einige der größten Brände in der Geschichte Kaliforniens
Zwei der aktiven Feuer sollen zu den größten Bränden in der Geschichte des Bundesstaates gehören. Eine Gruppe von Feuern, welche die Feuerwehr als "SCU Complex" bezeichnet, die am 18. August in der East Bay südöstlich von San Francisco durch Blitzeinschläge ausgelöst wurden, sei mit bislang mehr als 148.000 verbrannten Hektar das zweitgrößte Cluster in der Geschichte Kaliforniens. Allein durch dieses Feuer seien aktuell 30.000 Häuser bedroht.
"Wir sind keineswegs naiv, wie tödlich dieser Moment ist", erklärte Gouverneur Gavin Newsom auf einer Pressekonferenz in der letzten Woche in Sonoma County, nördlich von San Francisco. "Wir haben so etwas in vielen, vielen Jahren einfach nicht gesehen."
Gouverneur Newson untertreibt. Denn sein Bundesstaat hat gerade in den letzten Jahren sehr viele Brände durchstehen müssen. Die Brandsaison 2018 wurde als die tödlichste und destruktivste bezeichnet, die je in Kalifornien registriert wurde. Damals brannten fast 770.000 Hektar, wurden circa 8.000 Brände registriert, kamen über 100 Menschen ums Leben und wurden 24.226 Gebäude beschädigt oder zerstört.
An diese Zahlen reicht die "Brandsaison" 2020 noch nicht heran. Aber sie ist auch noch längst nicht vorbei und wird voraussichtlich noch Monate andauern. Seit einigen Jahren wird beobachtet, dass die Waldbrände früher einsetzen und länger dauern, oft bis in den Dezember. Laut Aussage von Feuerwehrleuten gebe es in der Brandbekämpfung kaum mehr eine Pause, außer für einige Wochen im Winter. Seit Jahresbeginn 2020 wurden bereits über 7.000 Brände registriert.
"Mir gehen die Superlative aus", so ein Wissenschaftler des Institute of the Environment and Sustainability an der University of California, Los Angeles über die jetzigen Brände. Er erwartet, dass in diesem Jahr die bislang größte je gemessene Fläche brennen wird. Besonders bedenklich sei, dass nun auch Joshua Trees (Josua-Palmlilien) und Redwood-Bäume betroffen seien.
14.000 Feuerwehrleute im Dauereinsatz
Annähernd 14.000 Feuerwehrleute seien derzeit beschäftigt, fast 2 Dutzend Großfeuer und Feuerkomplexe in ganz Kalifornien zu bekämpfen, sagt ein Sprecher von "Cal Fire".
Die 12.000 Blitze, die in der letzten Woche in einem Zeitraum von 72 Stunden aufgetreten seien, so Gouverneur Gavin Newsom, seien der Grund dafür, dass Nordkalifornien derzeit von den Feuern besonders betroffen ist. Die Zahl der aktiven Feuer in Kalifornien habe man innerhalb nur eines Tages von 376 auf 560 korrigieren müssen. Mittlerweile wurden seit dem 15. August 650 neue Feuer (Stand: 25.08.) gezählt.
Die überraschende Serie an Blitzen habe sich in genau der Woche ereignet, in der mit 54,4 Grad Celsius im Süden Kaliforniens eine der höchsten Temperaturen auftrat, die jemals von Menschen gemessen worden sei. Dies habe die zur Verfügung stehenden Ressourcen belastet. Monsunartiges Wetter könnte auch in den kommenden Tagen zu weiteren Trockengewittern führen.
Das zur Verfügung stehende Gerät befinde sich zu 100 Prozent im Notfalleinsatz, so Newsom. Man habe Unterstützung aus 10 weiteren Bundesstaaten und sogar aus Kanada sowie Spezialkräfte aus Australien angefordert. Mindestens 119.000 Menschen seien bislang angewiesen worden, ihre Häuser zu evakuieren. In einigen Gegenden konnten sie zwischenzeitlich nach Hause zurückkehren.
Anscheinend sind an verschiedenen Orten nicht genügend Feuerwehrleute im Einsatz, um die Brände unter Kontrolle zu bringen. Der "San Francisco Chronicle" berichtet von einer verlassenen Ortschaft, deren Feuerwehr mitgeteilt wurde, dass sie auf sich allein gestellt sei, da Unterstützung von außerhalb nicht zur Verfügung stehe. An einem anderen Ort wurde zwar die Feuerwehr mit Freiwilligen aufgestockt, doch es seien nur 4 Löschfahrzeuge vorhanden. Benötigt würden aber angeblich 50 Einsatzwagen.
Zur Unterstützung der überlasteten kalifornischen Feuerwehren, deren Leute angeblich Schichten von bis zu 96 Stunden fahren, wurden Mitglieder der Nationalgarde aus mehreren Bundesstaaten abgestellt, die mit mehreren hundert Mann und schwerem Gerät im Einsatz ist.
Der Mangel an Einsatzkräften wird dadurch verschärft, dass weniger Strafgefangene als sonst zur Feuerbekämpfung herangezogen werden können. Häftlinge sind eine wichtige Säule der kalifornischen Feuerwehren. Für einen Dollar pro Stunde werden sie zu den gefährlichen Einsätzen entsandt, was dem Bundesstaat jährliche Einsparungen von circa 100 Millionen Dollar ermöglicht. Doch aufgrund der Pandemie wurden zahlreiche Inhaftierte frühzeitig entlassen und stehen nun nicht mehr zur Verfügung.
Wo Feuer ist, ist auch Rauch
In großen Teilen Nordkaliforniens wird die Luft von den Behörden als "ungesund" klassifiziert. Asthmatikern und Menschen mit Gesundheitsproblemen wird empfohlen zu Hause zu bleiben (Stand: 25.08.).
Der Himmel über der Bay Area war in den vergangenen Tagen zeitweilig in roten Dunst gehüllt. Die Luftqualität sei stellenweise die schlechteste weltweit gewesen. In der Küstenstadt Santa Cruz, südlich von San Francisco, werden aktuell Feinstaubwerte (PM2,5) gemessen, die mit mehr als 190 als "sehr ungesund" eingestuft werden und zu den derzeit schlechtesten der Welt gehören.
Auf Satellitenbildern ist zu erkennen, dass Rauchschwaden in südwestlicher Richtung bis weit in den Pazifik hinaus reichen. Doch die Rauchglocke aus Kalifornien hat sich, verstärkt durch Brände, die derzeit in anderen westlichen Bundesstaaten aktiv sind, in östlicher Richtung bis zur Ostküste fortbewegt. Von North Dakota, über Indiana, bis zum Bundesstaat Virginia, am anderen Ende der USA, ist der Himmel dunstig.
Selbst in Calgary im naturverwöhnten Nachbarland Kanada, das 1600 Kilometer von San Francisco entfernt ist, wurden aufgrund des Rauchs aus Kalifornien zeitweilig Luftwerte gemessen, die schlechter waren als in stark belasteten Regionen Chinas. Der Wert für PM2,5 in Calgary lag Anfang dieser Woche bei 152.
Nach langen Monaten der Coronakrise erklären Ärzte, dass sie dem Burnout nahe sind, sich aber auf eine Erhöhung ihrer Arbeitsbelastung einstellen. Die Erhöhung der Luftverschmutzung, soviel steht zu vermuten, wird nicht zu einer Verringerung von Erkrankungen der oberen Atemwege führen.
Die "New York Times" berichtet, dass manche Einwohner in Napa County, das nördlich von San Francisco liegt, sich an die Dauerkrise gewöhnt zu haben scheinen. "Ohne die dicke Rauchdecke, die tief am bewölkten Nachmittagshimmel hängt, gäbe es keine Möglichkeit zu sagen, dass am Samstag in der Innenstadt von Napa etwas nicht stimmte." Angeblich sorgten sich örtliche Kleinunternehmer mehr um den Touristenmangel als um die unmittelbare Bedrohung durch die Feuer. "Es ist der neue Normalzustand — was kommt als Nächstes?", erklärt die Geschäftsführerin eines Bekleidungs- und Schmuckgeschäftes in Napa. "Wir hatten Erdbeben, Feuer, Überflutung. Es ist anstrengend, aber wir werden durchkommen. Wir sind durch Schlimmeres gekommen."
Andere sind noch nicht so abgeklärt. Studenten hätten erklärt, sie fühlten sich aufgrund der Zusammenballung von Krisen in diesem Jahr wie im Zentrum einer Apokalypse. Wenn man aktuelle Luftaufnahmen aus Kalifornien sieht, dann ist nicht von der Hand zu weisen, dass solche Gefühle nachvollziehbar sind.
Dr. habil. Thomas Schuster, ehem. Berater bei Roland Berger und ehem. Autor der Frankfurter Allgemeine ist Hochschullehrer für Kommunikations- und Medienwissenschaft. Seine Bücher "Staat und Medien. Über die elektronische Konditionierung der Wirklichkeit" und "Die Geldfalle. Wie Medien und Banken die Anleger zu Verlierern machen" sind bei S. Fischer und im Rowohlt Verlag erschienen.
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