Kalter Krieg auf postsowjetisch

Der Konflikt zwischen Georgien und Russland vertieft auch neue Spannungen zwischen Ost und West

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Die Spionage-Affäre zwischen Russland und Georgien, die Ende September durch die Verhaftung von vier russischen Offizieren in der georgischen Hauptstadt Tiflis ausgelöst wurde, entwickelte sich zu einem Konflikt, der bis heute anhält. Die Krise verschwand zwar aus dem Fokus der westlichen Medien, doch die von Russland verhängten Sanktionen gegenüber der Kaukasusrepublik werden bis heute aufrecht erhalten, obwohl die verhafteten Offiziere längst wieder frei sind. In der Affäre um die vier verhafteten Soldaten geht es jedoch um mehr, als um die angebliche Spionagetätigkeit der russischen Militärs. Es ist ein indirekter Konflikt zwischen Ost und West, ausgetragen auf dem Boden der ehemaligen Sowjetunion. Für Russland geht es um die Festigung seiner Hegemonialmacht, für Georgien, das in den nächsten Jahren NATO-Mitglied werden möchte und sich deswegen immer mehr von Russland abwendet, um den Erhalt der bisherigen Staatsgrenzen.

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Alles begann wie in einer schlechten Agentenposse. In Georgien, wo wegen Kommunalwahlen gerade Wahlkampf herrschte, ließ die georgische Regierung Russland-freundliche Oppositionspolitiker verhaften, die angeblich eine Verschwörung gegen den Präsidenten Michail Saakaschwili planten. Kurz darauf verhaftete die Polizei noch vier in Georgien stationierte russische Offiziere wegen angeblicher Spionage. Russland reagierte sofort auf die Verhaftung der Militärs. Es protestierte, rief das Botschaftspersonal in die Heimat zurück und forderte auch die in Georgien lebenden russischen Staatsbürger dazu auf, das Land im Kaukasus zu verlassen. Lediglich der Abzug russischer Soldaten aus Georgien wurde gestoppt.

Damit behielt Moskau ein wichtiges Faustpfand in der Politik gegenüber Georgien, denn die russischen Anti-Terror-Gesetze ermöglichen militärische Einsätze außerhalb des russischen Staatsterritoriums. Ein Umstand, mit dem Russland indirekt schon früh drohte. Bereits wenige Tage nach der Verhaftung der vier Offiziere verabschiedete die Duma einstimmig eine Erklärung, in der „härtere Maßnahmen“ gegen Georgien gefordert wurden. Dazu passend warf Wladimir Putin Georgien Staatsterrorismus vor.

Moskau bediente sich jedoch anderer Mittel als des Militäreinsatzes, um Druck auf die Regierung in Tiflis auszuüben. Es verhängte eine Verkehrs-, Flug-, und Postblockade gegen den kaukasischen Staat und realisierte somit die härtesten Boykottmaßnahmen seit 1948, als die damals noch von Josef Stalin (der 1879 als Josef Dschugaschwili das Licht der Welt in Georgien erblickte) regierte Sowjetunion die Blockade gegen West-Berlin in Kraft setzte. Am 2. November kündete Moskau an, nun auch sein international gefürchtestes Druckmittel einzusetzen, welches bereits gegen die Ukraine mit Erfolg angewendet wurde. Gazprom möchte Georgien den Gaspreis verdoppeln, von 110 auf 230 Dollar.

Die bisher erfolgreichste Maßnahme gegen Georgien war der Stop von privaten Geldtransfers. Die russische Regierung begründete diesen Schritt zwar mit der Notwendigkeit, illegale Geldtransfers zu stoppen, um den Kauf von Waffen verhindern zu können. Doch der Stop trifft vor allem die georgische Zivilbevölkerung und nicht die Militärs. Die monatlich transferierten Gelder der in Russland arbeitenden und lebenden Georgier, deren Zahl auf ca. 1 Million geschätzt wird, sind für das arme kaukasische Land eine wichtige Einnahmequelle, die die Wirtschaft in Georgien aufrecht erhalten.

Kampagne gegen Georgier in Russland

Enorme Einschränkungen mussten auch die in Russland lebenden Georgier erfahren. Von einer "antigeorgischen Kampagne" sprachen die russischen und westlichen Medien. So wies die Moskauer Miliz die Schulen an, Listen mit Namen georgischer Schüler zu erstellen, um so an die Adressen nicht offiziell gemeldeter Georgier zu gelangen. Die Miliz führte Razzien in Restaurants, Spielcasinos und anderen Etablissements durch, schloss auch fünf Spielcasinos in Moskau und eins in St. Petersburg, und klärte plötzlich Verbrechen auf, die teilweise schon Jahre zurückliegen.

Wie der Zufall und das kriminalistische Geschick es wollten, waren alle Täter georgische Staatsbürger. Eine Folge dieser Kriminalisierung war die nicht gerade humane Ausweisung von mehreren hundert Georgiern aus Russland. In Transportflugzeugen flog die russische Regierung jene ins Visier der russischen Behörden geratenen georgischen Staatsbürger aus. Die georgische Regierung konnte sich gegen diese Ausweisungen, die sie mit Viehtransporten verglich, nicht anders helfen, als zu protestieren und manchen Flugzeugen die Landeerlaubnis zu verweigern.

Von der antigeorgischen Kampagne sind jedoch nicht nur einfache, in Russland lebende Georgier betroffen, sondern auch prominente und anerkannte Künstler. Der Schriftsteller Boris Akunin, dessen Kriminalromane ebenfalls in Deutschland erscheinen, und der Bildhauer Serab Zeveteli, der Präsident der russischen Akademie der Künste ist und dessen Statuen von Peter dem Großen mittlerweile mehrere russische Städte schmücken, gerieten ins Visier der Behörden. Gegen Akunins Verlag ist die Steuerfahndung aktiv und gegen die russische Akademie der Künste ermittelt der Rechnungshof, wegen Veruntreuung öffentlicher Gelder.

Auf großes Verständnis in der russischen Bevölkerung stieß das Vorgehen gegen die in Russland lebenden Georgier nicht, obwohl Kaukasier in Russland schon zu Sowjetzeiten unbeliebt waren und erst im Sommer in der nordrussischen Stadt Kondopoga Ausschreitungen gegen Migranten aus dem Kaukasus stattfanden. Bei einer Online-Umfrage der Novaja Gazeta sprach sich eine Mehrheit gegen die antigeorgische Kampagne aus. Und auch am 25. Oktober, als sich Wladimir Putin in einer dreistündigen TV-Sendung den Fragen der russischen Bürger stellte, musste er sich kritische Fragen zu dem Vorgehen gegen georgische Einwanderer anhören. Putin verteidigte sich und stellte klar, man habe nichts gegen Georgier, es handele sich lediglich um Maßnahmen gegen illegale Einwanderer, um Konflikte zwischen den in Russland lebenden Volkgruppen zu verhindern.

Die innenpolitische Schwächung des georgischen Präsidenten Michail Saakaschwili, die Moskau sich von diesen Sanktionen erhoffte, blieb bisher aus. Bei den schon erwähnten Kommunalwahlen erhielt die Präsidentenpartei über 70 Prozent der Stimmen – ein Ergebnis, das aufgrund der innenpolitischen Misserfolge Saakaschwilis erst durch den aktuellen Konflikt ermöglicht wurde.

Damit kam nur ein weiterer Misserfolg in die lange Liste der Moskauer Bemühungen, den wortgewaltigen georgischen Präsidenten innenpolitisch zu schwächen. Bereits im Frühjahr verhängte Moskau einen Importstop für die in Russland beliebten georgischen Weine, wegen angeblicher Panscherei. Zeitgleich sammelten dem russischen Geheimdienst nahe Kreise Gelder für prorussische Georgier zum Aufbau einer Anti-Saakschwili-Front.

Die NATO ist in den Konflikt verwickelt

Die Gründe für die langwierigen Versuche Moskaus, Michail Saakaschwili zu schwächen, der im Januar 2004, nach dem Sturz des korrupten Systems von Eduard Schewardnadse durch die "Rosen-Revolution", mit einem Wahlergebnis von 96 Prozent zum Präsidenten gewählt wurde, liegen in der scharfen Rhetorik des jungen Präsidenten gegenüber Russland und der Öffnung des kaukasischen Landes gegenüber dem Westen. Ein baldiger Beitritt Georgiens in die NATO ist das oberste Ziel der gegenwärtigen Regierung. Erste Schritte dazu wurden schon unternommen – seit 2004 besteht eine vertragliche Partnerschaft zwischen Georgien und dem westlichen Militärbündnis. Hinzu kommt eine seit 1994 existierende militärische Unterstützung durch die USA.

Diese Bemühungen vor der eigenen Haustür stoßen auf Unverständnis Russlands. „Es lohnt sich, darüber nachzudenken, warum eine gegenüber Russland feindliche Rhetorik für Georgien als Eintrittskarte für die NATO wurde“, sagte Anfang Oktober der russische Vize-Außenminister Wladimir Titow und gab damit dem Westen eine Mitverantwortung für die gegenwärtigen Spannungen zwischen Russland und Georgien.

Und tatsächlich verwickelt sich die NATO mit seiner Hilfe an Georgien in einen Konflikt, der quasi seit dem Zerfall der Sowjetunion zwischen Russland und Georgien besteht und die eigentliche Ursache für die aktuellen Spannungen zwischen den beiden Staaten ist. Denn Georgien wiederum erhofft sich von der NATO eine Stärkung im Konflikt um die abtrünnigen Provinzen Südossetien und Abchasien. Bald nach der Unabhängigkeit Georgiens sagten sich die beiden Provinzen von Georgien los. Der damals noch junge georgische Staat versuchte zwar die Staatsgrenzen zu erhalten, doch die damals schlecht ausgerüstete georgische Armee erlebte eine herbe Niederlage. Abchasien und Südossetien sind zwar international nicht anerkannt, doch die georgische Administration hat keinerlei Kontrolle über diese Gebiete.

Die meisten Georgier können bis heute den Verlust von Südossetien und Abchasien nicht akzeptieren und das Land wäre auch bereit, mit einem weiteren Militäreinsatz seine eigentlichen Staatsgrenzen wiederherzustellen. Saakaschwili bestritt seinen Wahlkampf mit dem Versprechen einer Wiedervereinigung, und sich immer wieder wiederholende Scharmützel an den Grenzen und Provokationen von Seitens Georgiens beweisen diesen Willen und Wunsch. Erst vor einigen Monaten überflog der georgische Verteidigungsminister Irakli Okruaschwili, der einige Male angekündigt hat, in der südossetischen Hauptstadt Zchinwali Silvester feiern zu wollen, ohne jeglichen Grund das feindliche Gebiet und wurde dabei abgeschossen – Okruaschwili überlebte nur mit Glück. Doch mit einem Militäreinsatz würde Georgien auch Russland zur Waffengewalt zwingen, denn sowohl Südossetien als auch Abchasien werden von Russland unterstützt.

In beiden Provinzen hat Russland Soldaten stationiert, die dort zwar offiziell als Friedenstruppen dienen, in erster Linie aber die Grenzen der abtrünnigen Provinzen sichern. Auch wirtschaftlich werden Südossetien und Abchasien von Russland getragen, in beiden Gebieten ist der Rubel die offizielle Währung. Zudem sichert Russland auch mit der Vergabe der Staatsbürgerschaft die Existenz der beiden international nicht anerkannten Republiken und betreibt damit auch indirekt eine schleichende Annexion der beiden Gebiete an das eigene Territorium. Allein in Südossetien besitzen 95 Prozent der Einwohner den russischen Pass.

Bereitschaft, seine Unterstützung für die beiden abtrünnigen Provinzen aufzugeben und somit vielleicht auch von seiner Seite aus, den Konflikt zu entschärfen, hat Russland bisher nicht gezeigt. Vielmehr bekräftigte Russland seinen Willen, Südossetien und Abchasien weiterhin zu unterstützen. In der schon erwähnten TV-Sendung, in der sich Wladimir Putin den Fragen der Bürger stellte, machte der russische Präsident klar, dass nicht der Wunsch nach einem Beitritt in die NATO, sondern allein die zunehmende „Militarisierung Georgiens“ gegenüber den abtrünnigen Provinzen für die schlechten Beziehungen zwischen Moskau und Tiflis verantwortlich ist. Weiter erklärte Putin, dass es eine widersprüchliche Situation im internationalen Recht gebe, in dem sich die territoriale Integrität und das Selbstbestimmungsrecht der Völker gegenüberstehen. Als Präzedenzfall nannte der Kremlchef den Kosovo, für den bis Ende des Jahres ein endgültiger Status gefunden werden soll.

Südossetien und Abchasien haben schon angekündigt, dass sie eine Unabhängigkeit der serbischen Provinz als eine Bestätigung der eigenen Bestrebungen verstehen werden. Um diese Ankündigung zu unterstreichen, fand an diesem Wochenende ein Referendum in Südossetien statt, bei dem über 90 Prozent für die Unabhängigkeit stimmten. Doch einer Lösung des langjährigen Problems ist man damit nicht näher gekommen, denn die USA, die Europäische Union und natürlich auch Georgien haben schon vorher angekündigt, die Abstimmung, egal mit welchem Ergebnis, nicht anerkennen zu wollen. Damit dürfte dieser Kalte Krieg auf kaukasischem Boden noch lange weitergehen, mit indirekter und unfreiwilliger Teilnahme des Westens.