Kampagne gegen Bürgergeld und Kindergrundsicherung: Rezession? Ja bitte!

Erwerbslosigkeit soll nach Meinung mehrerer Parteien möglichst unterträglich sein. Symbolbild: Artikhun Rattanasritai / Pixabay Licence

Kampf gegen Arme statt gegen Armut: Die Debatte ist ein Vorgeschmack auf kommende Wahlkämpfe. Warum sie nicht einmal "der Wirtschaft" nützt. Ein Kommentar.

Wie lange hält die gegenwärtige Bundesregierung noch? Diese Frage stellen sich Kommentatoren, seit Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sogar auf seinen Auftritt bei der weltweiten Klimakonferenz verzichten musste, weil der Koalitionsfrieden in Berlin gefährdet war.

Doch das Bündnis dürfte sich schlicht aus dem Grund noch einmal zusammenraufen, weil alle beteiligten Parteien bei möglichen Neuwahlen Einbußen zu befürchten hätten. Die FDP könnte sogar aus dem Bundestag fliegen, da sie sich in Umfragen haarscharf an der Fünf-Prozent-Grenze bewegt.

Profitieren würden bei vorzeitigen Neuwahlen vor allem Unionsparteien und AfD. Die Linke muss sich nach der Spaltung erst einmal neu sortieren.

So zeichnet sich jetzt schon ab, dass sich die Koalitionsparteien auf einen Kompromiss zum Nachteil der armen Bevölkerungsteile einigen werden. Da stand und steht sowohl das Bürgergeld als auch die Kindergrundsicherung zur Diskussion.

Nun hat auch die Bundesanstalt für Arbeit erklären lassen, dass die Neuregelung des Bürgergelds nicht mehr infrage gestellt werden kann, weil der Auszahlungsprozess am 1. Januar beginnt und dafür bereits die Vorbereitungen getroffen werden.

Aber die Kindergrundsicherung, die noch nicht einmal vom Bundesrat verabschiedet wurde, dürfte noch weiter verwässert werden. Dabei zeigte der jüngste UNICEF-Bericht über Kinderarmut auch in Deutschland, wie nötig sie für die Betroffenen wäre.

Aus Hartz IV wurde Bürgergeld

Nun ist es kein Geheimnis, dass die heutige Chefin der Bundesanstalt für Arbeit in ihrer kurzen Zeit als Bundesarbeitsministerin viel dafür getan hat, dass die für die SPD blamable Hartz-IV-Diskussion in den Hintergrund tritt. Sozialaktivisten wie Harald Rein haben deutlich gemacht, dass es sich hier um Hartz IV in neuen Gewand handelt – und dass die Sanktionen beim Bezug der Lohnersatzleistung damit nicht abgeschafft sind.

Das hat aber Rechte aller Couleur nicht davon abgehalten, von Anfang an eine Kampagne gegen die Armen zu führen. Es wurde und wird über "leistungsloses Einkommen" schwadroniert. Hier spielten sich schon Ende letzten Jahres CDU/CSU und AfD die Bälle zu, ohne dass sie offiziell zusammen arbeiten mussten.

Hier wurde deutlich, wer zum Eigentümerblock gehört und die Interessen des Kapitals vertritt. Damit stehen die Rechten in Deutschland nicht allein. In Italien finden sich verschiedene Strömungen der Rechten in einer Regierungskoalition und haben erst vor Kurzen die Einführung eines Mindestlohns abgelehnt.

Die Rechte setzt in allen Ländern auf Ausbeutung von Lohnabhängigen und armen Menschen und will die Profite der Kapitalseite nicht antasten. Damit aber ein Teil der Lohnabhängigen dabei mitspielt, wird die Hetze gegen Arme verstärkt, die angeblich zu faul zum Arbeiten sind. Der Begriff des "leistungslosen Einkommens" wird schließlich nur gegen Arme verwandt – nicht gegen Menschen, die allein von den Zinsen eines größtenteils geerbten Vermögens leben können.

An dieser Kampagne gegen Arme beteiligt sich im Parlament, der mindestens aus AfD, FDP und CDU/CSU bestehende Eigentümerblock. Aber auch Zeitungen wie die FAZ mischen eifrig mit: "Wie der Sozialstaat vor die Hunde geht" lautet die Überschrift eines Kommentars in dem Blatt. Dort praktiziert der Autor Reinhard Müller in wenigen Sätzen Sozialchauvinismus, die Abwertung der Armen in Reinkultur:

Aber es kann nicht im Interesse einer an Gerechtigkeit interessierten Partei sein oder einer, die sich sozialdemokratisch nennt, das hart arbeitende Menschen kaum mehr in der Tasche haben als Empfänger von Bürgergeld. Ein stolzer Name, aber das ist falscher Stolz. Der Sozialstaat darf niemanden fallen lassen. Er darf aber auch keinen Anreiz setzen, nur noch aus der Gemeinschaftskasse zu leben.

Reinhard Müller, FAZ

Warum nicht Erhöhung von Mindestlohn und Bürgergeld?

Ein Musterbeispiel für Rhetorik, mit der "hart arbeitende Menschen" gegen angeblich Faule ausgespielt werden. Da können die Sozialkonservativen vom Bündnis Sahra Wagenknecht mit ihrem Lob der deutschen Sekundärtugenden gleich mit in den Chor einstimmen.

Dabei wäre es doch ganz einfach, die Interessen der Mehrheit der Bevölkerung, die von ihrer Hände Arbeit überleben muss, zu vertreten: Die folgerichtige Forderung wäre, dass das Bürgergeld steigt – auch zum Vorteil der Konjunktur, denn arme Menschen würden dieses Geld sofort ausgeben und dafür Dinge des täglichen Lebens kaufen, die sich sonst nicht leisten können.

Kürzungen dagegen würden Rezessionstendenzen verstärken – das sei denen gesagt, die jede reale Verbesserung der Lebensbedingungen immer nur dann akzeptieren, wenn sie angeblich auch „der Wirtschaft“ nützen. In dem Fall diesem Fall würden sie das.

Wenn dann weiter lamentiert wird, dann haben lohnarbeitende Menschen nicht viel mehr haben als Bürgergeldbezieher, kann dem einfach abgeholfen werden: Dann muss eben der Mindestlohn erhöht werden – und die Gewerkschaften sollten für mehr Lohn kämpfen.

Auch das hätte positive Auswirkungen auf die Konjunktur. Trotzdem ist zu befürchten, dass in den kommenden Wahlkämpfen der Kampf gegen die Armen von mehreren Parteien forciert wird. Die Gegenkräfte sind in Deutschland – anders als in Italien, wo es kämpferische Basisgewerkschaften und soziale Initiativen gibt – leider sehr schwach.