Kampagne gegen Hass-Propaganda
Seite 2: Islamisten, Prorussen, Rechtspopulisten: symptomatische Untiefen der Auswahl von Beispielen
- Kampagne gegen Hass-Propaganda
- Islamisten, Prorussen, Rechtspopulisten: symptomatische Untiefen der Auswahl von Beispielen
- Ein unnötig eingeschränkter Blick auf Hass-Propaganda
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Bei der Initiative ist man sichtlich stolz auf sein Autorenteam, das "lange zu dem Thema recherchiert" hat. Die Autoren sind Daniel Bröckerhoff vom NDR, Ivette Löcker, Dokumentarfilmerin, Iris Roell vom Focus und Bernd Zywietz, Filmwissenschaftler. Es werden acht Beispiele von Hass-Propaganda angeführt, anhand derer nun die Zielgruppe, das Dekodieren von Manipulationstechniken erlernen soll.
Zu den Beispielen ist inhaltlich kaum etwas zu sagen. Ganz offensichtlich handelt es sich um Propaganda, die sehr gut vom Autorenteam analysiert und offengelegt wird. Nachprüfbar ist das allerdings nur durch eigene Recherche, denn das Kampagnenteam hat sich dazu entschieden, "alle Links und Namen in diesem Zusammenhang unkenntlich zu machen", damit die Propaganda nicht weiter verbreitet wird. Eine leicht absurde Begründung, denn die Verbreitung findet doch viral längst statt, ansonsten müsste man ja keine Kampagne dagegen starten.
Noch absurder wird es durch die Nennung des Titels der Videos. So wird nicht die Weiterverbreitung verhindert, sondern lediglich der Aufwand erhöht, die Aussagen nachzuprüfen. Das ist bei solch einem Thema wahrlich kontraproduktiv. Zumal einfachstes Instrument gegen Propaganda die Herstellung von Transparenz ist. Wer all seine Quellen offenlegt, kann nicht der Manipulation, sondern höchstens der Fehlinterpretation bezichtigt werden. Und unterschiedliche Interpretationen und die Diskussion darüber, sind Grundgedanke einer Demokratie und fördern das gegenseitige Verständnis.
Ob es sich bei allen Fällen um Hass-Propaganda handelt ist ebenfalls diskutabel. Bei "Donbas against nazi - music video" wäre zumindest der Unterschied zu "normaler" Propaganda herauszustellen. Und ab wann kann man eigentlich von viraler Verbreitung sprechen? Das Video wurde 149 Mal aufgerufen. Ist es Propaganda, wenn man sie suchen muss? Und wie hat das Autorenteam dieses Video eigentlich gefunden?
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch eine Passage aus der Korrespondenz mit dem Pressesprecher des Potsdamer Toleranzedikts Volker Gustedt: "Einige Beispiele wirken 'handgestrickt', bei anderen ist erkennbar, dass sie von einer professionell arbeitenden Medien- oder Propagandainstitution hergestellt worden sind."
Ein Narrativ, das so seit geraumer Zeit, vor allem in Bezug auf "prorussische" Propaganda, verbreitet wird. Auf Nachfrage, woran man denn erkennen könne, dass es sich um professionelle Institutionen handele, wurde auf die Analysen der Beispiele verwiesen. Aber dort ist das gerade nicht zu entnehmen. Es liegt die Vermutung nahe, dass die Qualität eines Videos über die Annahme einer professionellen Produktion entscheidet. Ein ziemlicher Kurzschluss bei den heutigen Softwarelösungen.
Auch wenn man an verschiedenen Stellen über die Beispiele diskutieren könnte, ist unbestritten, dass es sich jeweils um Propaganda handelt, teils mit eliminatorischen Zügen. Viel interessanter als die inhaltliche Analyse ist denn aber auch die Auswahl der Beispiele. Aufgeführt in der original Reihenfolge der Webseite:
Die lange Recherche des Autorenteams hat demnach dazu geführt, dass von acht Hasspropaganda-Beispielen sich vier mit so genannter prorussischer Propaganda beschäftigen, zwei mit Rechtsradikalismus und zwei mit Islamismus. Das Muster wird allerdings nicht unmittelbar deutlich. Auch nicht, wenn man sich die Seiten genauer anschaut. Auf Nachfrage von Telepolis erklärte Gustedt, dass es drei Themenkomplexe gibt. So habe man sich für die Themen Irak/Syrien, Ukraine/Russland und Rechtspopulismus/Rechtsradikalismus entschieden.
Auf Nachfrage, warum gerade diese Auswahl getroffen wurde, wurde um Verständnis gebeten, dass man bei "einer derartigen Kampagne nicht alles anhand von Beispielen darstellen und analysieren" könne, was unter Hass-Propaganda falle. Das ist unmittelbar plausibel. Wenig plausibel ist hingegen das Verhältnis der Beispiele. Warum sind alle vier Propagandafälle des Themenkomplexes Ukraine/Russland "prorussisch", so als gäbe es keine antirussische Hasspropaganda.
Und tatsächlich, es scheint sie nicht zu geben. Denn so Gustedt:
In der Tat haben wir auch gezielt nach Beispielen recherchiert, in denen eine Hass-Propaganda gegen z.B. die russischen Separatisten und/oder die russisch-stämmige Bevölkerung in der Ost-Ukraine betrieben wird und die sich gezielt an ein Publikum in Deutschland und West-Europa wendet. Wir haben zwar Beispiele für einseitige Darstellungen und Propaganda gefunden, aber prägnante Beispiele für explizite Hass-Propaganda waren nicht darunter. Insofern erklärt sich die von uns gewählte Auswahl. Wenn Sie hier zu anderen Recherche-Ergebnissen kommen, teilen Sie uns diese gerne mit und weisen uns auf entsprechende Hass-Propaganda hin.
Nicht nur, dass es nach langer Recherche des Autorenteams keine antirussische Hasspropaganda gibt, es bleibt auch offen, warum es so ein Missverhältnis bei den Beispielen gibt. Schwer zu glauben, dass man keine antirussische Propaganda auf dem Niveau von "Donbas against nazi - music video" finden konnte. Und warum wurden vier Beispiele aus dem Ukraine-Konflikt genommen? Warum gibt es keine Beispiele zu Antisemitismus? Warum nichts zu Sexismus oder Antifeminismus? Warum wird nicht auf die Hetze der neuen Retter des Abendlandes eingegangen?
Die Begründung, man müsse sich begrenzen, fällt schwer zu glauben, da man ja für die Analyse von vier Beispielen für "prorussische" Hasspropaganda Ressourcen hatte. Durch diese Auswahl entsteht der Eindruck, der gerade in den letzten Monaten sehr breit diskutiert wird, dass hier ebenfalls einseitig Stellung genommen wird. Und zwar nicht, wie es angekündigt und wünschenswert wäre, einseitig gegen Hass-Propaganda, sondern einseitig, weil nur ausgewählte Themenkomplexe vorgestellt werden.