Kampf gegen Rechts: Warum es keine gute Idee ist, Björn Höcke die Grundrechte zu entziehen
Petition mit mehr als 1,5 Millionen Unterschriften: Der AfD-Politiker soll unwählbar werden. Unser Autor kritisiert die Aktion als Linker.
Auf der Kampagnen-Plattform Campact wurde eine Petition gestartet, deren Ziel es ist, dem Thüringer AfD-Landeschef Björn Höcke die Grundrechte zu entziehen. Mehr als 1,5 Millionen Menschen haben sie bereits unterzeichnet.
Gefordert wird darin die Anwendung von Artikel 18 des Grundgesetzes, das die Möglichkeit bietet, Personen, die die Presse-, Versammlungs-, Lehr- oder Vereinigungsfreiheit zum "Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung missbraucht" haben, die Grundrechte zu entziehen.
Artikel 18 war bisher stumpfes Schwert gegen Rechtsextreme
Eine Möglichkeit freilich, die bisher nur eine theoretische ist, denn in der gesamten Geschichte der BRD ist ein solcher Grundrechtsentzug noch nie vollzogen worden. Alle vier bisherigen Versuche, ihn gegen rechtsradikale Propagandisten anzuwenden, wurden vom Bundesverfassungsgericht abgewiesen.
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Das wird bei Höcke gewiss nicht anders sein, und das ist auch mein erster Einwand gegen die Sinnhaftigkeit dieser Kampagne: Seine politischen Energien auf etwas zu fokussieren, dessen Erfolgswahrscheinlichkeit praktisch null Prozent beträgt, scheint mir verfehlt.
Das aber ist nicht das einzige Problem, das ich mit dieser Kampagne habe. Ich habe eine Reihe anderer, grundlegenderer Kritikpunkte daran.
Die AfD ist mehr als Höcke
Erstens würde ein solcher Grundrechtsentzug, wenn er gegen alle Wahrscheinlichkeit tatsächlich erreicht werden könnte, nur das Individuum Höcke treffen, die Funktionsfähigkeit und Attraktivität der AfD als Partei aber überhaupt nicht berühren.
Ja, Höcke mag eine der zugkräftigeren, charismatischeren Figuren in der Führungsriege der AfD sein und sein politischer Ausfall kurzfristig hinderlich für die mediale Präsentation seiner Partei.
Aber die AfD wird nicht gewählt, weil ihre Kader so außergewöhnlich charismatische, schillernde Persönlichkeiten wären.
Erfolgreiche Selbstinszenierung als Protestpartei
Die AfD, die ihrem rasanten Wachstum ja kaum hinterherkommt, was Aufbau neuen politischen Spitzenpersonals angeht, lässt auf ihren Listen überwiegend obskure, blasse Hinterbänkler:innen kandidieren, von denen kein Mensch jemals etwas gehört hat – und die trotzdem von immer mehr Menschen gewählt werden.
Die AfD wird nicht wegen der Strahlkraft dieses oder jenes Individuums an der Spitze gewählt, sondern als Inbegriff eines reaktionär gewendeten Protests gegen das bundesrepublikanische Establishment, als Verheißung eines Zurückdrehens der Uhren auf ein imaginäres Idyll früherer Zeiten.
Populistische Maske für Neoliberalismus und Sozialdarwinismus
Tatsächlich vertritt die AfD einen die FDP noch übertreffenden Hardcore-Neoliberalismus, einen brutalen Sozialdarwinismus, und die danach lechzt, als Büttel der deutschen Superreichen regieren zu dürfen.
Trotzdem hat sie es geschafft, sich zugleich das Image einer "rebellischen" Kraft, einer "Protestpartei" gegen das Establishment zu geben – und ihren Anhänger:innen als Partei zu erscheinen, die sich etwas traut und dafür von den Spitzen "des Systems" gehasst und verfolgt wird.
Wirkung der Kampagne gegen Höcke auf das AfD-Umfeld
Dieses von der AfD kultivierte, völlig realitätsferne Bild, eine "Protestpartei" zu sein, wird aber noch gestärkt und nicht geschwächt, wenn man einen ihrer Spitzenpolitiker mit juristischen statt politischen Mitteln ausschaltet.
Damit wird im sympathisierenden Umfeld der AfD der Eindruck erweckt, "die Eliten", die sich ihres unaufhaltsamen Aufstiegs dieser Partei anders nicht zu erwehren wüssten, hätten zu einem so unehrenhaften Mittel gegriffen, hinterrücks mit der Person Höckes den Volkswillen auszuschalten, nur um ihre Pfründe zu wahren.
Die AfD, die dabei als Partei ja vollkommen intakt und handlungsfähig bliebe, würde darauf mit einem "Jetzt erst recht - zeigen wir denen, dass wir uns nicht mundtot machen lassen!" reagieren und ihren Anhang damit noch fester hinter sich vereinen. Das Individuum Höcke zu treffen wäre reine Symbolpolitik – und wahrscheinlich sogar kontraproduktive.
Zerrbild vom Charakter des deutschen Staates
Das ist das eine. Noch schwerwiegender scheint mir aber, dass sich in dieser Kampagne ein völlig schiefes Bild vom Charakter des deutschen Staates und seiner Träger zeigt, an die appelliert werden soll.
Diese Petition läuft darauf hinaus, den deutschen Staat anzubetteln, seinen grundsätzlich gegen jede Opposition anwendbaren Repressionsapparat auszubauen, um ihn gegen XY zu richten, mit dem man selbst politisch nicht fertig wird.
Ruf nach Repression: Ein gefährliches Spiel
In diesem Fall geht es zwar um ein theoretisch bereits bestehendes, aber noch nie angewandtes Repressionsinstrument. Es durch erstmalige tatsächliche Nutzung zu enttabuisieren, läuft auf die Schaffung einer neuen Repressionsmöglichkeit hinaus.
Der deutsche Staat und seine Träger – darunter bürgerliche Großparteien sowie administratives und juristisches Spitzenpersonal – erscheinen in so einer Vorstellung als wohlwollende Verbündete der Linken im antifaschistischen Kampf.
Sie erscheinen als Bundesgenossen, die man nur freundlich daran erinnern muss, wo der Hammer ihres Repressionsapparates am besten niedersausen sollte, um es der Rechten mal zu zeigen. Nichts könnte weiter von der Wirklichkeit entfernt sein.
Kein Verbündeter im Kampf gegen Rechts
Die Bundesrepublik Deutschland ist ein bürgerlicher Klassenstaat, und zwar einer, dem Antikommunismus und Hass auf die Linke seit dem Tag seiner Gründung in die DNA eingeschrieben ist.
Nicht nur deutsche Großparteien, sondern auch die deutsche Justiz und das administrative Spitzenpersonal der BRD haben niemals einen Zweifel daran gelassen, dass der Hauptfeind für sie immer links steht.
Das groteske Missverhältnis, mit dem die deutsche Justiz einerseits mit fanatischer Inbrunst völlig harmlose kleine Antifa-Gruppen jagt und drakonisch bestraft, weil sie auf einer Demo einen Stein geworfen oder einen Blumenkübel beschädigt haben, andererseits zu guten Teilen aus staatlich besoldeten V-Leuten bestehende mörderische Neonazistrukturen jahrelang weitgehend ungestört agieren ließ, spricht Bände über die Prioritätensetzung dieses Staates.
Abgrenzung gegen die AfD, aber nicht gegen ihr Programm
Dieser Staat ist uns Linken kein Freund und kein Verbündeter. Kein links orientierter Mensch kann bei klarem Verstand dafür eintreten, diesem Staat zusätzliche politische Repressionsmöglichkeiten in die Hand zu geben, die er, sobald sie einmal etabliert und enttabuisiert sind, zuverlässig gegen links statt gegen rechts anwenden wird.
Die Vorstellung, der deutsche Staat und seine tragenden Großparteien seien gute, mit mehr Machtbefugnissen auszustattende Verbündete im Kampf gegen die AfD, ist auch deshalb so merkwürdig, weil die großen Parteien der BRD keinen inhaltlichen Abgrenzungswillen gegenüber dem Programm der AfD zeigen.
Die Ampel macht faktisch rechte Politik
Gewiss, momentan halten alle Großparteien noch Sonntagsreden über ihre gut demokratische Empörung über die AfD – aber in ihrer politischen Praxis sind sie selbst die Akteure des Rechtsrucks, auf dessen Wellen die AfD schwimmt.
Sehen wir uns die Bilanz der "Fortschrittskoalition Ampel" an, die der progressive Gegenpol zur AfD sein soll. SPD-Kanzler Scholz fordert Massenabschiebungen – wörtlich: Abschiebungen "im großen Stil" – und eine gründlichere Abschottung der Festung Europa. Wie die AfD.
Aushungern von Erwerbslosen aus Gründen der Volkserziehung
Sein Parteigenosse, Arbeitsminister Hubertus Heil, forderte kürzlich, Arbeitslosen, die sich weigern, jeden ihnen angebotenen Mindestlohndrecksjob anzunehmen, für zwei Monate sämtliche Leistungen für Nahrung, Hygiene und täglichen Bedarf zu streichen, sie also aus Gründen der Volkserziehung hungern zu lassen – ganz im Sinne der AfD.
Anders als die AfD hatte Heil aber die Möglichkeit, das auch durchzusetzen – zumindest für zwei Jahre hat das Ampel-Kabinett es abgesegnet.
Entgegenkommen in Sachen Abschiebungen
Alle drei Regierungsparteien haben zudem gerade eine massive Verschärfung des Asylrechts beschlossen, die Abschiebungen stark erleichtert und Widerstand dagegen stark erschwert – wie gewünscht von der AfD.
Die dankt natürlich nicht für das Entgegenkommen, sondern wird ihre Forderungen verschärfen, um sich zu profilieren.
Gigantisches Aufrüstungsprogramm
Ein Hauptanliegen der "Fortschrittskoalition" ist darüber hinaus das größte deutsche Aufrüstungsprogramm seit dem Dritten Reich – und um diese massive Aufrüstung zu finanzieren, wird bei Sozialem und Infrastruktur gespart – eine Prioritätensetzung, wie man sie auch von einer regierenden AfD erwarten dürfte.
Milliardengeschenke an das deutsche Großkapital, Autobahnausbau, Unterfinanzierung der Bahn, Steuererleichterungen für Reiche und teilweise Steuererhöhungen für Arme - die Ampelpolitik würde sich in den meisten Punkten bestens in die Vorstellungen der AfD einfügen.
Und außerhalb der Ampel? Da forderte beispielsweise CDU-Chef Friedrich Merz gerade erst, eingebürgerten Deutschen aus politischen Gründen die Staatsbürgerschaft wieder zu entziehen, um sie abschieben zu können. Zunächst konkret wegen fehlender Loyalität gegenüber dem israelischen Staat, aber "politischer Extremismus" ist schließlich ein weites und dehnbares Feld.
Die AfD ist systemkonform
Ganz wie die AfD auf ihrem geleakten Geheimtreffen. Die deutsche Politik ist, von der CDU bis zu den Grünen, in den letzten Jahren bereits so weit nach rechts verschoben worden, dass die AfD inhaltlich keinen Bruch mit dem inzwischen herrschenden politischen Mainstream mehr darstellt.
Sie kann sich in den herrschenden Politikbetrieb bestens einfügen. Ich würde jede Wette eingehen, dass Union und FDP sehr bald Koalitionsbereitschaft mit der AfD signalisieren werden – und nach einer gewissen Anstandsfrist vielleicht auch die SPD, wie es ja auch in Österreich bereits auf Landesebene Koalitionen zwischen Sozialdemokratie und FPÖ gegeben hat.
Das Gerede von "Brandmauern" sollte niemand ernstnehmen – es wird AfD-Koalitionsregierungen geben und die etablierten deutschen Großparteien werden sich mit der AfD als einem anerkannten Teil der deutschen Politlandschaft arrangieren.
Im Zweifel gegen Links
Sich einzubilden, diese etablierten bürgerlichen Großparteien seien Verbündete im Kampf gegen Rechts oder auch nur ein glaubwürdiger politischer Gegenpol zur AfD, ist völlig illusionär.
Die deutsche Großparteienlandschaft ist bereit, die AfD in ihre Reihen aufzunehmen. Sie wissen, dass die ultra-neoliberale AfD ungeachtet aller aus PR-Gründen inszenierten rebellischen Attitüde ohne Weiteres in dieses System integrierbar ist.
Und sie wissen gleichzeitig, dass die radikale Linke, die tatsächlich die Systemfrage stellt – und sei sie heute noch so schwach und unbedeutend –, nicht in dieses System integrierbar ist.
Somit wird jede neue Repressionsmöglichkeit sich auch in Zukunft viel häufiger und viel stärker gegen links als gegen rechts richten. Es mag durchaus sein, dass das einmal enttabuisierte Instrument des Grundrechtsentzugs für "politischen Extremismus" in wenigen Jahren ironischerweise von einer CDU-AfD-Regierung exzessiv gegen links angewandt werden wird.
Betteln wir diesen Staat nicht an!
Beispielsweise gegen "Lumpenpazifisten", die die für die Verteidigung der europäischen Freiheit so wichtige deutsche Aufrüstung sabotieren. Gegen "linksradikale Hetzer", die die deutsche Oligarchie – Pardon: Leistungsträger und Arbeitsplatzerschaffer – verunglimpfen.
Gegen "ewiggestrige Ideologen", die durch positive Bezugnahme auf die DDR beweisen, dass sie totalitäre Freiheitsfeinde sind. Der deutsche Staat ist so oder so kein Freund von uns Linken.
Betteln wir ihn nicht noch an, seinen Repressionsapparat auszubauen und schlagen wir die AfD politisch, was nicht im Bund mit CDU und SPD und Grünen geht, sondern nur in Auseinandersetzung mit ihnen, die mit ihrer Politik überhaupt erst die Bedingungen für den Aufstieg der AfD geschaffen haben.