Kampf um die Anbindung Irans an den Westen
Der Atomstreit mit Iran scheint nach der Ablehnung des europäischen Verhandlungsangebots zu eskalieren, das vor allem auch den wirtschaftlichen Interessen Deutschlands dienen würde
"Alarmierend", "schädlich", "fatal": Mit scharfen Tönen haben die Außenminister Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens auf die Weigerung des Iran reagiert, ihr Verhandlungsangebot im Streit um das Teheraner Atomprogramm anzunehmen. Das Angebot sollte die iranische Regierung dazu bewegen, auf bestimmte Nukleartechnologien zu verzichten. Dies sei nötig, um den islamistischen Staat an der Herstellung von Kernwaffen zu hindern, hieß es zur Begründung. Seit Oktober 2003 dauern die Verhandlungen im so genannten "Atomstreit" inzwischen an, jetzt scheint die Auseinandersetzung zu eskalieren. Am Dienstag hat sich der Gouverneursrat der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) mit der Angelegenheit befasst, letztlich könnte auch der UN-Sicherheitsrat eingeschaltet werden.
Die Ablehnung des aktuellen Verhandlungsangebots durch die iranische Regierung ist keine Überraschung. Teheran hat stets erklärt, das gesamte Spektrum der Nukleartechnologie nutzen zu wollen; die Hardliner befinden sich hier in Übereinstimmung mit gemäßigten Kräften und bedeutenden Teilen der Opposition.
Bereits am Samstag hatte ein Sprecher des iranischen Außenministeriums erklärt, der Vorschlag der drei EU-Staaten entspreche den Mindesterwartungen seiner Regierung nicht und sei "inakzeptabel". Am Montag beschwerte sich auch der stellvertretende Vorsitzende der iranischen Atomenergiebehörde, Mohammed Saidi: "Der EU-Vorschlag war sehr beleidigend und demütigend". Zugleich erhielten die Botschafter Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens die offizielle Ablehnung des Verhandlungsangebots. Die Regierung in Teheran gab Anweisung, die zeitweise stillgelegte Urankonversionsanlage in Isfahan wieder in Betrieb zu nehmen.
In der Hitze der Debatte bleibt fast unberücksichtigt, worauf das Verhandlungsangebot der drei EU-Staaten eigentlich abzielte. Neben Vorschlägen zur Nutzung der Nukleartechnologie durch den Iran enthielt es vor allem weit reichende Offerten in der Energie- und Wirtschaftspolitik. Zusammengenommen ergeben die einzelnen Elemente annähernd ein Bild davon, welche Rolle Deutschland, Frankreich und Großbritannien im internationalen Kräftefeld für den Iran vorsehen - und wieso sich das Land den europäischen Absichten verweigert.
Rohstofflieferant und Absatzmarkt
Die EU, so heißt es in dem Verhandlungspapier, sei bereit, Iran langfristig als Lieferland von Erdöl und Erdgas zu betrachten und dies durch praktische Schritte zu bekräftigen. Damit erfüllen sich Deutschland, Frankreich und Großbritannien einen eigenen Wunsch. Insbesondere am iranischen Erdgas zeigen sich die europäischen Staaten schon seit geraumer Zeit interessiert. Deutschland etwa gerät in immer größere Abhängigkeit von russischen Rohstofflieferungen und ist bestrebt, seine Energiequellen zu diversifizieren. Der Iran, der über rund 15 Prozent der weltweit bekannten Erdgasreserven verfügt, bietet sich als zukünftiges Lieferland an.
Anfang Juni wurde öffentlich, dass die deutsche Eon AG bereits Gespräche mit Vertretern des Golfstaates über einen Einstieg in das Gasgeschäft aufgenommen hat; "Iran wirbt derzeit in der ganzen deutschen Energiebranche um Investitionen," hieß es damals in Fachkreisen. Als mögliche Pipelineroute wird inzwischen eine Streckenführung über Armenien, Georgien, das Schwarze Meer und die Ukraine gehandelt - bislang allerdings stellt sich Russland noch quer.
Das deutsch-französisch-britische Verhandlungspapier stuft Iran nicht nur als Rohstofflieferanten der europäischen Staaten, sondern auch als Absatzmarkt für ihre Industrie ein. Dem Golfstaat wird ein Handelsabkommen mit der EU sowie politische Unterstützung für den WTO-Beitritt in Aussicht gestellt. Die Handelserleichterungen würden vor allem der deutschen Wirtschaft nutzen, deren Iran-Exporte sich in stürmischem Aufschwung befinden. Im Jahr 2004 stieg das Exportvolumen um rund 33 Prozent gegenüber dem Vorjahr auf 3,6 Milliarden Euro an, die Ausfuhr der ersten beiden Monate des Jahres 2005 lag wiederum um 47 Prozent über dem Vergleichswert von 2004.
Auch produzieren inzwischen immer mehr deutsche Unternehmen im Iran. VW unterhält ein Werk in Bam, Siemens baut das zweite Mobilfunknetz des Landes auf, Linde hat einen milliardenschweren Auftrag erhalten, weitere Großprojekte sind geplant. Hätte Iran das aktuelle EU-Verhandlungsangebot angenommen, dann hätte auch die deutsche Öko-Industrie auf neue Gewinne hoffen können: Das Verhandlungspapier stellt nebenbei eine europäisch-iranische Zusammenarbeit beim Umweltschutz in Aussicht.
Von Bedeutung sind insbesondere diejenigen Passagen des Verhandlungspapiers, die sich auf die Nukleartechnologie beziehen. Iran dürfe bestimmte atomare Aktivitäten entfalten, müsse aber auf "sensible" Verfahren wie etwa die Urananreicherung verzichten, fordern Deutschland, Frankreich und Großbritannien unumwunden. Im Gegenzug erklären sich die EU-Staaten bereit, Iran Zugang zu Brennstoffen und Nukleartechnologie zu gewähren.
Die Vorschläge sind geeignet, die iranische Nuklearbranche in dauernder Abhängigkeit vom europäischen Zentrum halten: Teheran wäre auf stetige Zulieferungen aus dem Ausland angewiesen. Auch dabei wiederum könnten deutsche Unternehmen profitieren - mit staatlicher Unterstützung. Denn nach wie vor ist ein deutsch-iranisches Atomabkommen in Kraft. Im März berichtete das Handelsblatt von heftigem Streit in der Bundesregierung: Der Umweltminister verlangte, das Abkommen zum November 2006 zu kündigen. Wirtschaftsministerium und Auswärtiges Amt liefen erfolgreich dagegen Sturm.
Westbindung oder Ost-Orientierung?
Iran als Rohstofflieferant der EU, wirtschaftlich mit einem Handelsabkommen angebunden, technologisch in Abhängigkeit gehalten: Das ist offenbar die Rolle, die Deutschland, Frankreich und Großbritannien dem Golfstaat im internationalen Kräftefeld zuweisen wollen. Die Staatenwelt rund ums Mittelmeer wird bereits seit Mitte der 1990er Jahre auf das europäische Zentrum hin orientiert ("Barcelona-Prozess"), zu den arabischen Golfstaaten unterhält Deutschland ebenfalls seit Jahren immer engere Beziehungen. Der Iran könnte die Anbindung des nordafrikanisch-mittelöstlichen Ressourcengebietes an Deutschland und die EU komplettieren. Die Regierung in Teheran will sich freilich nicht mit der Rolle eines abhängigen Vasallenstaates zufrieden geben.
"Das Schlagwort von 'Großasien', dem man sich zugehörig fühlt, macht die Runde", berichtet der Berliner think tank "Stiftung Wissenschaft und Politik" (SWP) in seiner jüngsten Iran-Analyse: Die Orientierung nach Osten gilt im Iran zunehmend als Alternative zur Westbindung.
Die wirtschaftliche Basis für eine solche Ost-Orientierung nimmt inzwischen Gestalt an. Indien plant zur Sicherung seines Energiebedarfs den Bau einer Erdgaspipeline, mit der täglich rund 60 Millionen Kubikmeter Gas aus dem Iran geliefert werden sollen. Die Volksrepublik China bezieht rund ein Siebtel ihres Erdölbedarfs aus dem Golfstaat; ein im vergangenen Oktober abgeschlossener Vertrag sieht für die kommenden 25 Jahre den Export von täglich 150.000 Barrel Erdöl und jährlich 10 Millionen Tonnen Flüssiggas vor. Atomtechnologie für das Kernkraftwerk Bushehr bekommt der Iran derzeit aus Russland.
Inzwischen beginnt Teheran sich auch sicherheitspolitisch nach Osten auszurichten. Iran hat kürzlich Beobachterstatus bei der Shanghai Cooperation Organization (SCO) erhalten, einem relativ jungen Staatenbündnis zwischen China, Russland und vier zentralasiatischen Staaten (Kasachstan Kirgistan, Tadschikistan, Usbekistan). Die SCO beginnt mit einer zunehmend eigenständigen Politik, sie hat kürzlich die USA aufgefordert, ihre Militärstützpunkte in Zentralasien zu schließen (Öl, Revolutionen und kalte Füße). Iran sucht sich bei ihr Rückendeckung gegen Aggressionen aus dem Westen.
Kriegsdrohungen
Umso brisanter erscheint ein möglicher Militärschlag gegen Iran. Ob die SCO ihn hinnehmen würde, ist ungewiss. Zwar erklärt Bundeskanzler Schröder, es würden lediglich Wirtschaftssanktionen gegen den Golfstaat erwogen, einen Militärschlag ziehe "zur Zeit" niemand in Betracht. Allerdings gilt es in Berlin als ausgemacht, dass die iranische Weigerung, das EU-Verhandlungsangebot zu akzeptieren, einen engen Schulterschluss mit den USA nötig macht. Da die europäischen Staaten keine wirksamen Mittel gegen Iran in der Hand hätten, sei es "unausweichlich, den Weg gemeinsam mit Washington zu gehen", meinte bereits Anfang des Jahres der Leiter der SWP-Forschungsgruppe Sicherheitspolitik in den sozialdemokratischen "Frankfurter Heften".
Verteidigungsminister Struck hat jetzt in Washington bekräftigt, die EU müsse ihre Iran-Politik eng mit den USA abstimmen. Dort aber sind Pläne für einen Angriff auf den Golfstaat nach wie vor im Gespräch. Erst Anfang August berichtete ein ehemaliger CIA-Mitarbeiter in einem Pentagon-kritischen konservativen US-Blatt von Plänen, die den Einsatz taktischer Atomwaffen auf iranischem Territorium vorsehen und nach einem erneuten Terroranschlag in den Vereinigten Staaten zur Ausführung kommen könnten - unabhängig davon, ob Iran in den möglichen Anschlag verwickelt ist.
Aber ist ein schneller Militärschlag nicht möglicherweise nötig, um den "sensiblen" Teil der iranischen Nuklearaktivitäten zu beenden und das islamistische Regime an der Herstellung von Atomwaffen zu hindern? US-Geheimdienstquellen sagen inzwischen: Nein. Die Washington Post berichtete, dass nach Einschätzung von US-Geheimdiensten Iran frühestens in rund zehn Jahren in der Lage sein dürfte, Kernwaffen herzustellen - Zeit genug für nicht-kriegerische Politik.
Dabei wird Teheran allerdings von den westlichen Staaten verlangen, die Bestimmungen des Atomwaffensperrvertrags selbst einzuhalten. Denn die gestatten dem Iran ebenjene nuklearen Anreicherungs-Aktivitäten, die EU und USA ihm verbieten wollen.