Öl, Revolutionen und kalte Füße
In Zentralasien formiert sich ein Block gegen die USA
Für diejenigen politische Beobachter, die in großen geopolitischen Dimensionen denken, ist es schon längst klar, dass die amerikanischen Feldzüge in Afghanistan und Irak strategisch nur unzureichend mit dem "War on Terror" und der Demokratisierung ehedem tyrannisch geführter Länder zu erklären ist. Das große strategische Design, das hinter diesen Parolen steckt, hat dieser Anschauung zufolge einen alten, klingenden Namen: "The Great Game". Im 19.Jahrhundert wurde damit der Kampf um die Vorherrschaft in Zentralasien zwischen dem britischen Empire und dem zaristischen Russland bezeichnet. Heute heißen die Global Players im zentralasiatischen Hegemonialkampf USA (mit britischer Beteiligung), Russland, Iran, Indien und China. Es geht um politische und militärische Kontrolle von Gebieten, die von immenser Bedeutung für die Energieversorgung der großen Industrieländer ist. Am Dienstag ist nun ein weiterer diplomatischer Schachzug in diesem Spiel getan worden.
Dem Namen nach könnte man an eine "harmlose" Handelsvereinigung denken: "The Shanghai Cooperation Organization". Offizielle Mitglieder sind aber keine Ex- und Importfirmen, sondern Länder, die eins gemeinsam haben: die Sorge vor dem Expansionismus der USA in Zentralasien. Weswegen die Organisation, bestehend aus Russland, China, Kasachstan, Kirgistan, Usbeskistan und Tadschikistan - Pakistan, Indien und Iran waren als "Beobachter" eingeladen - bei ihrem Gipfeltreffen vor zwei Tagen einen Appell an die Adresse der Supermacht losschickte:
Nachdem die militärische Phase in der Anti-Terror-Operation in Afghanistan ihrem Ende naht, wünscht sich die SCO von den Mitgliedern der Koalition, dass sie eine Deadline setzt - für die Benutzung der temporären Infrastruktur und für die militärischen Kontingente, die in diesen Ländern stationiert sind.
Von diplomatischen Umschreibungen bereinigt heisst das: die USA sollen Militärbasen in Usbekistan - ein Flugzeugstützpunkt in Kandabad bei Karshi - und Kirgistan (ebenfalls ein Flugzeugstützpunkt in Bishkek) bald möglich räumen. Und natürlich von weiteren Ambitionen von Truppenstationierungen in der Region absehen (konkret im Gespräch sind US-Truppen-Stationierungen beispielsweise in Georgien).
Die Warnung ist deutlich. Das Argument Afghanistan ist nur ein Vorwand für die Shanghai Cooperation Organization, um den Warnschuss abzufeuern. Der kriegerische Konflikt ist dort noch lange nicht beendet und flammt seit einiger Zeit wieder auf. Und dass es nur um rein bilaterale Agreements ginge, wie der Sprecher des amerikanischen Außenministeriums, Sean McCormack, in seiner Reaktion ("no deadline!") auf den SCO-Appell behauptete, führt ebenfalls vorbei am tatsächlichen Konflikt, auf dessen Hintergrund der Appell zu lesen ist.
Die großen Mitglieder des "eurasischen" Regionalbündnisses, Russland und China, sowie Iran, das dem Bündnis nahesteht, haben allen Grund zur Nervosität. Spätestens seit der Eröffnung der BTC (Baku Tiflis, Ceyhan)-Pipeline Ende Mai (vgl. Die längste Schlange der Welt) zeigt sich, wie groß die Ambitionen der USA und Großbritanniens als Partner sind, das Geschäft mit dem reichen Energievorkommen in der Region unter ihre Kontrolle zu bringen - unter Ausschaltung eben der großen anderen Players.
Es ist nicht nur der Bau von Pipelines, die wie die BTC (andere sind längst in Planung) einfach Russland, Iran und andere "unsichere" Länder umgehen, sondern die Verbreitung von Unsicherheit selbst, welche die SCO-Ländern auf der Hut sein läßt: Die Führer der Organisation hätten, so die Washington Post am Dienstag "ungenannte Kräfte von Außen angeklagt, dass sie Zentralasien zu destabilisieren versuchten."
Tatsächlich verfolgt die Regierung unter Bush in "Eurasien" ein doppeltes Spiel. Einerseits fördert man mithilfe staatlich unterstützter Vereinigungen (z.B."Freedom House") und allerlei NGOs die "farbigen Revolutionen" (siehe Ukraine und Georgien) im Namen des propagierten demokratischen Fortschritts. Woraufhin dann Verhandlungen über amerikanische Truppenpräsenz beginnen... Andrerseits unterstützt man wie im Falle Aserbaidschan kaum verhüllte Diktatoren des übergeordneten Geschäfts-und Machtinteresses willen.
Kein Wunder angesichts dieser Doppelstrategie, dass manche Machthaber in Pipelineistan befürchten, ihre Amtszeit werde nur mehr kurzfristig geduldet, sobald sie sich stärker an die USA anlehnen. Wenig überraschend, dass etwa der usbekische Staatschef Karimov, der sich lange im Schutz der USA wähnte, seit der Kritik der Amerikaner an den Vorfällen in Andischan (vgl. Der Fall Usbekistan) kalte Füße bekommt, sich zum anderen Block (Russland und China) hingezogen fühlt und zusammen mit diesen den Abzug der amerikanischen Truppen aus dem "Camp Stronghold Freedom" in Karshi-Kanabad fordert.