Kampf um globale Daten: Werden die USA Big-Tech in die Schranken weisen?
Seite 2: Die Big-Tech-Lobby
Wenn diese Risiken zusammen mit den unzähligen Schäden für die Gesellschaft und das Entwicklungspotenzial betrachtet werden, von denen wir immer mehr erfahren (genau dargelegt in: "Digital Trade Rules: A disastrous new constitution for the global economy written by and for Big Tech"), kommt man kaum um eine Schlussfolgerung herum: Es gibt keine zwingende Rechtfertigung für und eine Fülle von Argumenten gegen den Versuch, Beschränkungen einzusetzen, die es den Regierungen verwehren, die Offenlegung des Quellcodes und die Regulierung des Datenverkehrs in "Handels"-Abkommen zu verlangen.
Auch andere Bestimmungen wären laut der "Joint Statement Initiative on E-Commerce (JSI): Economic and Fiscal Implications for the South" der Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung und vielen anderen Untersuchungen, die auf der OWINFS-Website hier zu finden sind, schädlich für die Entwicklung.
Dennoch hat Big Tech seit der Ankündigung wie zu erwartend wütend reagiert und die Presse mit haarsträubenden Behauptungen überschwemmt, dass diese umsichtige und vorsichtige Änderung China in irgendeiner Weise zugutekommen wird (das wird sie nicht) oder sie für die Arbeitnehmer schädlich ist (das ist sie nicht, und Big Tech würde sich sowieso nicht darum kümmern).
Keine dieser Behauptungen ist stichhaltig. Doch ihre Lobby-Offensive zeigt deutlich, wie sehr Big Tech wirtschaftlich von den Bestimmungen profitieren würde.
Die EU, Japan, Australien, Kanada und andere Länder, die diese Vorschläge vorantreiben, sollten ebenfalls die "Stopptaste" drücken. Ihre nationalen Industrien hätten nie davon profitiert. Vielmehr wären es die lokalen Abteilungen von Google, Apple, Facebook, Amazon und Co. gewesen, die den Kern des Lobbydrucks für die Bestimmungen auf der ganzen Welt bildeten.
Entwicklungsländer, die unter Druck stehen, diesen Abkommen beizutreten, können diese Gelegenheit nutzen, um ihre Entschlossenheit zu stärken. Die Ablehnung dieser Vorschläge durch die Afrika-Gruppe bei der WTO im Dezember 2017 hat einen wichtigen Präzedenzfall geschaffen.
Die Mehrheit der Entwicklungsländer hat sich nicht der sogenannten Joint Statement Initiative (JSI) einer abtrünnigen Gruppe angeschlossen, die zu Verhandlungen über den digitalen Handel ohne ein Mandat der WTO führt. Diese Ablehnung fand statt vor dem Hintergrund einer mächtigen Lobby-Kampagne, bei der unter anderem "Entwicklungshilfe"-Gelder missbraucht wurden, um Länder zum Beitritt zu bewegen.
Verhinderung von Monopolen
Ein paar Dutzend Entwicklungsländer sind der JSI beigetreten. Nigeria hat eine Ausnahmeregelung vorgeschlagen, die es dem Land erlauben würde, die problematischsten Regeln nicht einzuhalten, aber es besteht keine reelle Chance, dass sie angenommen wird.
Die Änderung der US-Position ist ein wichtiges Zeichen dafür, dass sich das Blatt gegen diese Regeln wendet, selbst in Ländern, die sich für sie eingesetzt haben. Diese neue Entwicklung ist ein Signal für Länder, sich von der Teilnahme zurückzuziehen.
Viele Länder werden auch unter Druck gesetzt, die gleichen Bestimmungen durch bilaterale oder regionale Handelsabkommen zu akzeptieren, und diese sollten ebenfalls abgelehnt werden. Und die Position der USA könnte sich erneut ändern.
Um die Digitalisierung im öffentlichen Interesse zu nutzen, auch für die digitale Industrialisierung, wäre es der erste Schritt, zu verhindern, dass die "Handels"-Politik der digitalen Wirtschaft regulatorische Handschellen anlegt.
Anschließend sollten die Länder diesen politischen Spielraum mit geeigneten Vorschriften füllen. Dazu gehören beispielsweise Regeln zur Verhinderung von Monopolen und zur Förderung von Start-ups, zur Verhinderung von Diskriminierung, zur Gewährleistung der Durchsetzung von Bürgerrechten wie Datenschutz und Arbeitsrecht im digitalen Bereich und zur Bewertung einer fairen Besteuerung.
Für Entwicklungsländer haben der Technologietransfer und ein echtes Engagement zur Unterstützung der digitalen Industrialisierung oberste Priorität.
Die rechtlichen, politischen und programmatischen Entwicklungen in der EU und in einigen Entwicklungsländern wie Indien gehen bereits über die in der JSI vorgeschlagenen Regulierungen zum Datenverkehr und zum Quellcode hinaus.
Warum werden Amazon, Netflix etc. bei elektronischer Übertragung steuerbefreit?
Im Zuge der fortschreitenden Digitalisierung werden alle Länder politische Maßnahmen ergreifen müssen, die mit diesen Regeln nicht vereinbar sind, wie die USA – sonst die Heimat des digitalen Laissez faire – jetzt erkannt haben.
In wenigen Monaten werden die WTO-Mitglieder über eine andere Frage des digitalen Handels zu entscheiden haben. Vor mehr als 25 Jahren haben die USA ein Abkommen in die WTO geschmuggelt, das Zölle auf elektronische Übertragungen verbietet.
Es gibt jedoch zahlreiche Beweise dafür, dass Amazon, Netflix, Apple und Microsoft sich normale Handelssteuern auf elektronische Bücher, Filme, Musik und Software leisten können und dennoch riesige Gewinne mit dem Verkauf dieser Produkte in der ganzen Welt machen. Dieses Abkommen wurde immer wieder verlängert.
Diese Steuern könnten für Entwicklungsländer eine wichtige Einnahmequelle für den Aufbau ihrer digitalen Infrastrukturen sein, ganz zu schweigen von öffentlichen Dienstleistungen, Klimaresistenz und anderen wichtigen Bedürfnissen.
Eine Steuerbefreiung für die profitabelsten Big-Tech-Konzerne nützt weder den Arbeitnehmern noch den kleinen Unternehmen in den Vereinigten Staaten oder auf der ganzen Welt. Die WTO-Mitglieder aus den Industrieländern müssen ihr Beharren auf einer erneuten Verlängerung aufgeben.
Stattdessen sollte das Moratorium für Zölle auf elektronische Übertragungen auf der bevorstehenden 13. Ministerkonferenz der WTO in Abu Dhabi im Februar 2024 auslaufen. Das wird der nächste Test für die "Arbeitnehmerfreundlichkeit" der Handelspolitik der USA, der EU und anderer Länder sein.
Nur mit einem angemessenen politischen Spielraum – indem Regeln, die eine wirksame Regulierung der digitalen Wirtschaft verhindern, aus den Handelsabkommen herausgehalten werden - erhalten die Bürgerinnen und Bürger weltweit eine Chance, Big Tech in die Schranken zu weisen.
Dieser Artikel erscheint in Kooperation mit US-Nachrichtenportal Common Dreams. Das englische Original findet sich hier. Übersetzung: David Goeßmann.
Deborah James ist Direktorin für internationale Programme am Center for Economic and Policy Research (CEPR) und Mitglied des Verwaltungsrats von Global Exchange. Vor ihrer Arbeit für das CEPR wurde James vom Center for Public Integrity als "eine der besten Protestorganisatoren der USA" bezeichnet. Zuvor war sie Direktorin des WTO-Programms bei Public Citizen's Global Trade Watch, Direktorin für globale Wirtschaft bei Global Exchange und Geschäftsführerin des Venezuela Information Office.