Kampf um globale Daten: Werden die USA Big-Tech in die Schranken weisen?

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Washington wollte Regulierung von globalem Datenverkehr von Google &. Co. verhindern. Ein Kurswechsel zeichnet sich ab. Wer würde profitieren? Gastbeitrag.

Am 24. Oktober zog die US-Regierung ihre Unterstützung für eine Reihe von Vorschlägen für digitale Handelsregeln in Gesprächen bei der Welthandelsorganisation (WTO) zurück, die die USA selbst 2019 vorgeschlagen hatten.

In Bezug auf die Verhandlungen über den digitalen Handel, oder "E-Commerce", erklärte das Büro des US-Handelsbeauftragten:

Viele Länder, darunter auch die Vereinigten Staaten, prüfen ihre Ansätze in Bezug auf Daten und Quellcode sowie die Auswirkungen von Handelsregeln in diesen Bereichen. Um genügend politischen Spielraum für die Entfaltung dieser Debatten zu schaffen, haben die USA ihre Unterstützung für Vorschläge zurückgezogen, die diese innenpolitischen Überlegungen beeinträchtigen oder behindern könnten.

Allerdings werden Variationen der vorgeschlagenen Regeln weiterhin von anderen WTO-Mitgliedern unterstützt, wie aus dem jüngst durchgesickerten Text hervorgeht, und es bleibt abzuwarten, wie die USA zu diesen stehen werden.

Deborah James ist Direktorin am Center for Economic and Policy Research (CEPR) und im Verwaltungsrat von Global Exchange.

Die Vorschläge, die von Big-Tech-Lobbygruppen entwickelt und unterstützt wurden, zielten darauf ab, die Möglichkeiten der Regierungen zur Regulierung des grenzüberschreitenden Datentransfers sowie zur Regulierung von Quellcode und Algorithmen einzuschränken, was in vielen Ländern der Welt zu erheblichen öffentlichen Diskussionen geführt hat.

Die Abkehr der Biden-Regierung von veralteten Big-Tech-Vorschlägen in Handelsabkommen ist ein großer symbolischer Sieg für Arbeitnehmer und kleine Unternehmen sowie für Fairness, Demokratie und Entwicklung auf der ganzen Welt.

Großer Sieg für zivilgesellschaftliche Gruppen

Es ist ein großer Sieg für die zivilgesellschaftlichen Gruppen, die Teil des globalen Netzwerks Our World Is Not for Sale (OWINFS) sind, das sich gegen diese Regeln eingesetzt hat, seit sie 2015 erstmals in anderen Handelsabkommen vorgeschlagen wurden.

Die USA schlugen die Big-Tech-Regeln zum ersten Mal vor, als sich die Öffentlichkeit der Gefahren – die in der Kontrolle unserer Daten durch Big-Tech-Konzerne, der Monopolisierung von Schlüsseltechnologien und der Verhinderung einer wirksamen Regulierung des digitalen Umfelds liegen – weitgehend nicht bewusst war.

Heute erkennt ein Großteil der Welt den Schaden, den Big Tech verursacht, da es weite Teile unserer Wirtschaft monopolisiert, um einen fairen Wettbewerb für kleine Unternehmen auszuschließen, während man von Diskriminierung und Überwachung profitiert, Bürgerrechte untergräbt und Extremismus und Desinformation schürt.

Mit seiner enormen wirtschaftlichen Macht greift dieser Industriezweig in politische Entscheidungsprozesse ein, um sich der Regulierung zu entziehen und so unsere Demokratien zu schwächen. Big Tech hortet, stiehlt und sammelt illegal Daten, die wichtigste wirtschaftliche Ressource unserer Zeit, und verschärft damit die Ungleichheit zwischen den Eigentümern der Branche und dem Rest von uns.

Sie dringen auch in unsere Privatsphäre ein und machen uns und unsere Kinder online weniger sicher. Sie verletzen die Rechte der Arbeitnehmer, um ihre Gewinne zu maximieren.

Diese und weitere Themen sind Gegenstand aktueller Debatten sowie zahlreicher Gerichtsverfahren, Anklagen und Geldstrafen in den USA und auf der ganzen Welt.

Seit fast einem Jahrzehnt versucht Big Tech, verbindliche neue globale Bereiche durchzusetzen, um die Regulierung in diesen Fragen einzuschränken und einer angemessenen Steuerung über demokratische Kanäle zuvorzukommen. Obwohl Big Tech die größten Unternehmen der Weltgeschichte umfasst, unterliegt die Branche weit weniger Regulierung als andere Wirtschaftszweige.

Einsicht in Quellcode, um Geschäftspraktiken zu regulieren

Die Vorschläge von Big Tech zum Quellcode sind ein Beispiel dafür. Der Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) hat in den letzten Jahren exponentiell zugenommen. Bei der KI werden große Datensätze verwendet, um Computer darauf zu trainieren, anhand der ihnen zur Verfügung gestellten Daten Entscheidungen zu treffen, die auf den Anweisungen von Algorithmen basieren, die in den Quellcode geschrieben wurden.

Algorithmische Systeme können jedoch rassistische, geschlechtsspezifische und arbeitsrechtliche Diskriminierung verschärfen, es Unternehmen erleichtern, sich der Regulierungsaufsicht zu entziehen, und sie können zur Verhinderung von Wettbewerb eingesetzt werden.

Dennoch verfolgt Big Tech Vorschläge, die den Regierungen den Zugang zum Quellcode von Algorithmen verwehren würden, um diese zu regulieren. Unternehmen nutzen KI, um über immer mehr Geschäftspraktiken zu entscheiden, von denen sich herausstellt, dass viele oft gegen Wettbewerbsregeln, den Datenschutz oder Bürger- und Arbeitsrechte verstoßen.

Daher möchte Big Tech den Quellcode in dauerhaften, verbindlichen "Handels"-Abkommen festschreiben, um sicherzustellen, dass die Regierungen die meisten ihrer Geschäftspraktiken nicht regulieren können!

Die Befürworter argumentieren, dass diese Quellcode-Bestimmungen notwendig sind, um einen erzwungenen Technologietransfer zu verhindern (meist mit Verweis auf China). In den meisten Ländern, die an digitalen Handelsabkommen beteiligt sind, wird dies jedoch nicht als wirkliches Problem angesehen.

Quellcodes sind bereits durch das Recht am geistigen Eigentum geschützt, einschließlich des Urheberrechts und in einigen Fällen auch durch Patente sowie durch Geschäftsgeheimnisse. Die vorgeschlagenen Verbote der Offenlegung von Quellcode hätten eine zusätzliche Schutzschicht für in Quellcode eingebettete Algorithmen dargestellt, die einen weiten Bereich menschlicher Aktivitäten betroffen hätte, in dem kaum andere ausgleichende menschliche, soziale, wirtschaftliche oder kulturelle Rechte bejaht worden wären.

Ausführliche weitere Gründe, warum es keinen Sinn macht, für Quellcode-Text in den Abkommen eine Ausnahme zu machen – in den USA, der Europäischen Union (EU) und auf der ganzen Welt – finden sich in dem Bericht "The European Union's Digital Trade Rules: Undermining European Policy to Rein in Big Tech".

Länder brauchen Daten für digitale Industrialisierung

So haben Experten beispielsweise festgestellt, dass bei algorithmischen Systemen "White Box"-Tests (mit Zugang zum Quellcode) den "Black Box"-Tests (ohne Zugang) weit überlegen sind. Eine echte öffentliche Aufsicht würde eine genaue Prüfung und damit Zugang zum Quellcode durch Wissenschaftler, Medien, kritische Ingenieure und Gewerkschaften erfordern, und nicht nur durch die derzeit in den vorgeschlagenen Bestimmungen vorgesehenen Regulierungsbehörden und Richter.

In einer Debatte im Europäischen Parlament mit mir versuchte die Leiterin der Abteilung Dienstleistungen und digitaler Handel der Europäischen Kommission, Sylvia Baule, zu behaupten, dass die "allgemeinen Ausnahmen" in der WTO – als Vorbild für die Bestimmungen zum digitalen Handel – ausreichen würden, um das öffentliche Interesse zu schützen.

Diese Bestimmungen waren jedoch nur in zwei von 48 Fällen in der Geschichte der WTO erfolgreich bei der Verteidigung öffentlicher Interessen in Handelsangelegenheiten, was, wie Baule kleinlaut einräumte, "nicht 100 Prozent" sei.

Darüber hinaus darf die Durchsetzung von Gesetzen im öffentlichen Interesse, Arbeitsrechten und Bürgerrechten wie dem Schutz der Privatsphäre nicht von einem Handelsgericht überprüft werden, das Handelserwägungen Vorrang vor Menschen- und Grundrechten einräumt.

Schließlich berücksichtigen die Ausnahmen, wenn auch unzureichend, nur einige bekannte Risiken, die mit KI-Systemen verbunden sind. Je mehr neue Risiken und soziale Schäden bekannt werden, desto wichtiger wird es für die Regierungen, die Befugnis zu haben, algorithmische Systeme, einschließlich ihrer Quellcodes, zu regulieren, um sicherzustellen, dass die Menschenrechte gewahrt und die Schäden für die Gesellschaft verringert werden.

Wenn man Big-Tech-Monopolen erlaubt, Regeln aufzustellen, die es ihnen ermöglichen, Daten ohne Regulierung in die ganze Welt zu übertragen, würde es das Spielfeld noch weiter zuungunsten von Arbeitnehmern, Verbrauchern, Bürgern, kleinen Unternehmen und Entwicklungsländern im Allgemeinen verschieben und damit den ungleichen Zugang zur größten Quelle für die Schaffung von Wohlstand in der Zukunft festschreiben: Daten.

Die Länder müssen in der Lage sein, ihre Daten für eine digitale Industrialisierung zu nutzen, die auf der Schaffung menschenwürdiger Arbeitsplätze beruht. Außerdem müssen sie die Daten der Öffentlichkeit im Interesse der Allgemeinheit nutzen, z. B. zur Bekämpfung des Klimawandels oder zur Lösung globaler Pandemien, anstatt sie für den privaten Profit einer Handvoll großer Technologieunternehmen zu monopolisieren.

Die Big-Tech-Lobby

Wenn diese Risiken zusammen mit den unzähligen Schäden für die Gesellschaft und das Entwicklungspotenzial betrachtet werden, von denen wir immer mehr erfahren (genau dargelegt in: "Digital Trade Rules: A disastrous new constitution for the global economy written by and for Big Tech"), kommt man kaum um eine Schlussfolgerung herum: Es gibt keine zwingende Rechtfertigung für und eine Fülle von Argumenten gegen den Versuch, Beschränkungen einzusetzen, die es den Regierungen verwehren, die Offenlegung des Quellcodes und die Regulierung des Datenverkehrs in "Handels"-Abkommen zu verlangen.

Auch andere Bestimmungen wären laut der "Joint Statement Initiative on E-Commerce (JSI): Economic and Fiscal Implications for the South" der Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung und vielen anderen Untersuchungen, die auf der OWINFS-Website hier zu finden sind, schädlich für die Entwicklung.

Dennoch hat Big Tech seit der Ankündigung wie zu erwartend wütend reagiert und die Presse mit haarsträubenden Behauptungen überschwemmt, dass diese umsichtige und vorsichtige Änderung China in irgendeiner Weise zugutekommen wird (das wird sie nicht) oder sie für die Arbeitnehmer schädlich ist (das ist sie nicht, und Big Tech würde sich sowieso nicht darum kümmern).

Keine dieser Behauptungen ist stichhaltig. Doch ihre Lobby-Offensive zeigt deutlich, wie sehr Big Tech wirtschaftlich von den Bestimmungen profitieren würde.

Die EU, Japan, Australien, Kanada und andere Länder, die diese Vorschläge vorantreiben, sollten ebenfalls die "Stopptaste" drücken. Ihre nationalen Industrien hätten nie davon profitiert. Vielmehr wären es die lokalen Abteilungen von Google, Apple, Facebook, Amazon und Co. gewesen, die den Kern des Lobbydrucks für die Bestimmungen auf der ganzen Welt bildeten.

Entwicklungsländer, die unter Druck stehen, diesen Abkommen beizutreten, können diese Gelegenheit nutzen, um ihre Entschlossenheit zu stärken. Die Ablehnung dieser Vorschläge durch die Afrika-Gruppe bei der WTO im Dezember 2017 hat einen wichtigen Präzedenzfall geschaffen.

Die Mehrheit der Entwicklungsländer hat sich nicht der sogenannten Joint Statement Initiative (JSI) einer abtrünnigen Gruppe angeschlossen, die zu Verhandlungen über den digitalen Handel ohne ein Mandat der WTO führt. Diese Ablehnung fand statt vor dem Hintergrund einer mächtigen Lobby-Kampagne, bei der unter anderem "Entwicklungshilfe"-Gelder missbraucht wurden, um Länder zum Beitritt zu bewegen.

Verhinderung von Monopolen

Ein paar Dutzend Entwicklungsländer sind der JSI beigetreten. Nigeria hat eine Ausnahmeregelung vorgeschlagen, die es dem Land erlauben würde, die problematischsten Regeln nicht einzuhalten, aber es besteht keine reelle Chance, dass sie angenommen wird.

Die Änderung der US-Position ist ein wichtiges Zeichen dafür, dass sich das Blatt gegen diese Regeln wendet, selbst in Ländern, die sich für sie eingesetzt haben. Diese neue Entwicklung ist ein Signal für Länder, sich von der Teilnahme zurückzuziehen.

Viele Länder werden auch unter Druck gesetzt, die gleichen Bestimmungen durch bilaterale oder regionale Handelsabkommen zu akzeptieren, und diese sollten ebenfalls abgelehnt werden. Und die Position der USA könnte sich erneut ändern.

Um die Digitalisierung im öffentlichen Interesse zu nutzen, auch für die digitale Industrialisierung, wäre es der erste Schritt, zu verhindern, dass die "Handels"-Politik der digitalen Wirtschaft regulatorische Handschellen anlegt.

Anschließend sollten die Länder diesen politischen Spielraum mit geeigneten Vorschriften füllen. Dazu gehören beispielsweise Regeln zur Verhinderung von Monopolen und zur Förderung von Start-ups, zur Verhinderung von Diskriminierung, zur Gewährleistung der Durchsetzung von Bürgerrechten wie Datenschutz und Arbeitsrecht im digitalen Bereich und zur Bewertung einer fairen Besteuerung.

Für Entwicklungsländer haben der Technologietransfer und ein echtes Engagement zur Unterstützung der digitalen Industrialisierung oberste Priorität.

Die rechtlichen, politischen und programmatischen Entwicklungen in der EU und in einigen Entwicklungsländern wie Indien gehen bereits über die in der JSI vorgeschlagenen Regulierungen zum Datenverkehr und zum Quellcode hinaus.

Warum werden Amazon, Netflix etc. bei elektronischer Übertragung steuerbefreit?

Im Zuge der fortschreitenden Digitalisierung werden alle Länder politische Maßnahmen ergreifen müssen, die mit diesen Regeln nicht vereinbar sind, wie die USA – sonst die Heimat des digitalen Laissez faire – jetzt erkannt haben.

In wenigen Monaten werden die WTO-Mitglieder über eine andere Frage des digitalen Handels zu entscheiden haben. Vor mehr als 25 Jahren haben die USA ein Abkommen in die WTO geschmuggelt, das Zölle auf elektronische Übertragungen verbietet.

Es gibt jedoch zahlreiche Beweise dafür, dass Amazon, Netflix, Apple und Microsoft sich normale Handelssteuern auf elektronische Bücher, Filme, Musik und Software leisten können und dennoch riesige Gewinne mit dem Verkauf dieser Produkte in der ganzen Welt machen. Dieses Abkommen wurde immer wieder verlängert.

Diese Steuern könnten für Entwicklungsländer eine wichtige Einnahmequelle für den Aufbau ihrer digitalen Infrastrukturen sein, ganz zu schweigen von öffentlichen Dienstleistungen, Klimaresistenz und anderen wichtigen Bedürfnissen.

Eine Steuerbefreiung für die profitabelsten Big-Tech-Konzerne nützt weder den Arbeitnehmern noch den kleinen Unternehmen in den Vereinigten Staaten oder auf der ganzen Welt. Die WTO-Mitglieder aus den Industrieländern müssen ihr Beharren auf einer erneuten Verlängerung aufgeben.

Stattdessen sollte das Moratorium für Zölle auf elektronische Übertragungen auf der bevorstehenden 13. Ministerkonferenz der WTO in Abu Dhabi im Februar 2024 auslaufen. Das wird der nächste Test für die "Arbeitnehmerfreundlichkeit" der Handelspolitik der USA, der EU und anderer Länder sein.

Nur mit einem angemessenen politischen Spielraum – indem Regeln, die eine wirksame Regulierung der digitalen Wirtschaft verhindern, aus den Handelsabkommen herausgehalten werden - erhalten die Bürgerinnen und Bürger weltweit eine Chance, Big Tech in die Schranken zu weisen.

Dieser Artikel erscheint in Kooperation mit US-Nachrichtenportal Common Dreams. Das englische Original findet sich hier. Übersetzung: David Goeßmann.

Deborah James ist Direktorin für internationale Programme am Center for Economic and Policy Research (CEPR) und Mitglied des Verwaltungsrats von Global Exchange. Vor ihrer Arbeit für das CEPR wurde James vom Center for Public Integrity als "eine der besten Protestorganisatoren der USA" bezeichnet. Zuvor war sie Direktorin des WTO-Programms bei Public Citizen's Global Trade Watch, Direktorin für globale Wirtschaft bei Global Exchange und Geschäftsführerin des Venezuela Information Office.