CO2-Entnahme aus der Atmosphäre muss massiv ausgeweitet werden
Emissionsreduktion reicht nicht für Pariser Klimaziele. Bis 2050 müssen zusätzlich 7–9 Gt CO2 jährlich der Atmosphäre entzogen werden. Doch wie?
Eine radikale Emissionsreduktion alleine reicht nicht, um die Pariser Klimaziele einzuhalten. Es müssen zusätzlich große Mengen von CO2 der Atmosphäre wieder entzogen und an Land oder im Ozean gespeichert werden, so das Fazit eines soeben erschienenen Berichts.
CO2-Entnahme aus der Atmosphäre unerlässlich für Pariser Klimaziele
Die weltweiten CO2-Emissionen steigen immer weiter an, anstatt zu sinken, wie es für die Einhaltung des Pariser Klimaschutzabkommens dringend geboten wäre. Um die globale Erwärmung auf deutlich unter zwei Grad Celsius und möglichst auf 1,5 Grad zu beschränken, müssen die Emissionen schnell und deutlich gesenkt werden.
Das Kohlenstoffbudget, das die Menschheit bis dahin noch emittieren darf, könnte in sieben bis 15 Jahren aufgebraucht sein, wie das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) Ende 2023 mitteilte.
Doch darüber hinaus enthalten alle 1,5- bis 2-Grad-Szenarien des Weltklimarats IPCC zusätzlich zur Vermeidung von Emissionen die zusätzliche Entnahme von Kohlendioxid aus der Atmosphäre. So rechnen etwa manche Szenarien mit einem zeitweisen Overshoot, also einer Erwärmung über das im Pariser Abkommen festgelegte Limit hinaus.
Durch CO2-Entnahme soll die Temperatur dann später wieder abgesenkt werden. Aber auch beim Ausgleich unvermeidbarer Treibhausgasemissionen spielt das Einfangen von CO2 und dessen langfristige Bindung auf der Erde eine Rolle.
Bericht analysiert CO2-Entnahme-Methoden
Der Bericht "The State of Carbon Dioxide Removal", der soeben zum zweiten Mal erschienen ist, nimmt eine Bestandsaufnahme vor, inwieweit der Atmosphäre bereits Kohlendioxid entzogen wird und mit welchen Techniken. Die erste Ausgabe des unter Federführung der University of Oxford herausgegebenen Berichts war im Jahr 2023 erschienen.
Zahlenmäßig hat sich bei der CO2-Entnahme im Vergleich zum letzten Bericht wenig verändert. Waren es 2023 noch 2,0 bis 2,1 Gigatonnen CO2 pro Jahr, die aus der Luft wieder auf der Erde gebunden wurden, waren es Stand 2024 2,2 Gigatonnen.
Der größte Teil dieser Menge entfiel auf Aufforstungs- und Wiederaufforstungsmaßnahmen und hierbei spielen China, USA, Brasilien und Russland die größte Rolle. Die Autoren sprechen hier von "konventioneller" CO2-Entnahme (oder CDR, für das englische Carbon Dioxide Removal). Zu den konventionellen Methoden gehört es demnach auch, Holz für langlebige Bauwerke zu verwenden, wodurch der Kohlenstoff wie im Wald selbst langfristig gebunden bleibt.
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Neuartige Techniken der CO2-Entnahme machen hingegen nur maximal 0,1 Prozent aus, wie der Leitautor Oliver Geden von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) erläutert. Unter diesen erfreut sich primär die Verwendung von Pflanzenkohle immer größerer Beliebtheit.
Regierungen müssen Emissionen reduzieren und CO2-Entnahme hochskalieren
"Wir müssen zuallererst Emissionen reduzieren", sagt Geden. "Und wir müssen CDR hochskalieren von 2,2 auf sieben bis neun Gigatonnen pro Jahr bis 2050." Den Zielwert von sieben bis neun Gigatonnen leiten die Autoren aus den IPCC-Szenarien ab.
Gegenwärtig würden die Regierungen nicht einmal CO2-Entnahmen in der Größenordnung versprechen, die für die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels notwendig wären. Schaut man auf die Klimapolitikbewertung des Climate Action Tracker, sind jedoch auch die Verpflichtungen zur Emissionsreduktion der Länder nicht ausreichend, um dieses Ziel zu erreichen, geschweige denn die tatsächlichen politischen Maßnahmen.
Bis Mitte des Jahrhunderts werde wohl Aufforstung weiterhin eine wesentliche Rolle bei der CO2-Entnahme spielen, glaubt Geden, aber mit einem sich weiter erwärmenden Klima werde es zunehmend schwieriger, CO2 in Wäldern gespeichert zu halten. Ab der Jahrhundertmitte würden daher verstärkt die neuartigen Technologien übernehmen. Doch was genau ist unter diesen überhaupt zu verstehen?
Pflanzenkohle als vielversprechende Methode zur CO2-Bindung
Bereits erwähnt wurde die Verwendung von Pflanzenkohle. Diese wird durch Pyrolyse von organischem Material gewonnen und kann dauerhaft etwa in Böden eingebracht werden, wo sie sogar Wasserverfügbarkeit und Nährstoffversorgung verbessern soll. Ferner wird auch damit experimentiert, Pflanzenkohle als Zusatzstoff in Baumaterialien wie Beton einzubringen und so deren CO2-Bilanz zu verbessern.
Silikatgestein und Direct Air Capture: Weitere Optionen zur CO2-Entnahme
Eine weitere Möglichkeit Kohlenstoff aus der Luft im Boden oder im Ozean zu binden, ist das Ausbringen zerkleinerten Silikatgesteins, das mit CO2 aus der Luft reagiert. Diese Methode wäre jedoch einigermaßen energieintensiv, da Gestein gemahlen und transportiert werden muss. Außerdem könnte die Veränderung des pH-Werts durch die chemische Reaktion Auswirkungen auf Ökosysteme haben.
Ein rein technisches Verfahren wäre die direkte Abscheidung von CO2 aus der Umgebungsluft, genannt Direct Air Capture (DAC). Auch dieses Verfahren ist äußerst energieintensiv und daher nur dort sinnvoll, wo ausreichend erneuerbare Energien zur Verfügung stehen. In Europa steht hier ein großes Demonstrationsprojekt in Island und wird mit geothermischer Energie betrieben. Das eingefangene Kohlendioxid wird anschließend im Untergrund verpresst.
Weiterhin kann CO2 bei Verbrennungs- und Industrieprozessen abgeschieden und ebenfalls in geologischen Formationen gelagert werden. Diese Methode nennt man Carbon Capture and Storage (CCS) und soll nach dem Willen der Bundesregierung bald gesetzlich möglich sein. Als CO2-Entnahmetechnik im Sinne des Berichts kann CCS aber nicht gelten, da das Treibhausgas nicht der Atmosphäre entzogen wird. Vielmehr werden hier nur industrielle Emissionen vermieden.
CCS bei Biomasseverbrennung erzielt negative Emissionen
Anders sieht es aus, wenn CCS bei der Verbrennung von Biomasse zum Einsatz kommt, denn diese hat zuvor beim Wachsen Kohlendioxid aus der Atmosphäre gespeichert. Nach heutigem Stand werden durch BECCS negative Emissionen von einer halben Million Tonnen CO2 pro Jahr erzielt, so der Bericht. BECCS ist in der Vergangenheit vielfach kritisiert worden, unter anderem wegen des hohen Flächenbedarfs für den Anbau von Bioenergiepflanzen, die mit anderen Landnutzungen in Konkurrenz stehen würde.
Die Wiedervernässung von Mooren, die in Deutschland auch als großer Beitrag zum Klimaschutz auf der Agenda steht, rechnet der Wissenschaftler Geden weniger den CDR-Methoden zu, da es dabei in erster Linie darum gehe, weitere Treibhausgasemissionen aus den Moorböden zu vermeiden.
UFZ und Geomar untersuchen CO2-Entnahme-Potenzial in Deutschland
Unabhängig von dem nun veröffentlichten Bericht hatten sich auch das Umweltforschungszentrum Leipzig (UFZ) und das Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel kürzlich mit den Möglichkeiten der CO2-Entnahme in Deutschland beschäftigt.
"Von den aktuell 700 Millionen Tonnen CO2, die noch emittiert werden, wären um die zehn Prozent durch CDR lösbar und diese zehn Prozent kommen zum einen aus naturbasierten Lösungen, aber auch – Deutschland ist von der Größe her begrenzt – von den technischen Lösungen Direct Air Capture, Carbon Storage und Bioenergie mit Carbon Storage", erläutert die UFZ-Forscherin Daniela Thrän.
Bei den technischen Lösungen fehle aber bislang noch die Antwort auf die Frage, wie das abgeschiedene CO2 dann transportiert und gespeichert werden solle.
Forschungsaktivitäten zu CO2-Entnahme nehmen weltweit zu
Auch wenn bislang nur wenig neuartige CO2-Entnahmetechniken zum Einsatz kommen, die Aktivitäten im Bereich Forschung und Entwicklung nehmen zu, wie in dem neuen Bericht nachzulesen ist. Die Zahl der geförderten Forschungsprojekte ist demnach von 50 im Jahr 2000 auf 1.160 im Jahr 2022 gestiegen.
Drittmittelprojekte finden sich vorwiegend in Kanada und den USA. Und in Europa wird in Norwegen, der Schweiz und Großbritannien mehr geforscht als in den EU-Staaten. In Deutschland sind die Forschungsprogramme CDRmare und CDRterra angelaufen, die sich mit ozean- und landbasierten Entnahmetechniken beschäftigen.
Fördergelder aus dem Bundesforschungsministerium sind übrigens auch in den Bericht "The State of Carbon Dioxide Removal" geflossen.