Kampf zwischen Zivilisation und Chaos
Trotz wachsender Probleme und sinkender Zustimmung hält die US-Regierung an ihrem Erfolgsrezept der Ausbeutung des 11.9. fest und beweist damit Starrsinnigkeit, eher aber Einfallslosigkeit
Für US-Präsident Bush kam der 11.9. als eine Art der göttlichen oder weltgeschichtlichen Berufung. Plötzlich hatte man einen Feind, der aus dem Hinterhalt alles jederzeit und überall bedroht, und konnte die USA an die Spitze eines Krieges oder Kreuzzugs stellen, bei dem es um einen apokalyptisch stilisierten Kampf zwischen dem Guten und dem Bösen, zwischen der Zivilisation und der Barbarei, zwischen Freiheit und Fanatismus gehen soll. Lange Zeit konnte die Bush-Regierung ohne ernsthaften Widerstand innen- und außenpolitisch dank der Terroranschläge vom 11. September ihren Zielen nachgehen und die Welt sowie die USA grundlegend verändern. Doch nach dem zweiten Jahrestag und mit den Schwierigkeiten in den befreiten Ländern Afghanistan und Irak sowie dem Scheitern der versprochenen Friedenslösung in Israel scheint sich der 11.9.-Bonus und das Setzen auf die Angst immer schneller zu verbrauchen. Zumindest nach einer aktuellen Gallup-Umfrage ist die Zustimmung zu Bush (52%) wieder auf den Stand vor dem 11.9. gefallen, mit 43 % beurteilen ihn nun sogar mehr Amerikaner negativ als jemals zuvor.
Dass die Bush-Regierung den 11.9. für eigene Zwecke und den Machterhalt gnadenlos ausgebeutet hat und noch immer ausschlachtet, ist bekannt und wurde schon vielfach kritisiert. Dass sie offensichtliche Falschmeldungen nicht zurücknimmt und möglicherweise auf die durch die eigenen Reaktionen selbsterfüllende Prophezeiung erwartet, wurde im Fall des Irak-Kriegs mehr als deutlich. Nach Umfragen glauben mehr als die Hälfte der Amerikaner noch an die Regierungspropaganda, dass Hussein irgendwie mit dem 11.9. verbunden ist oder dass der Irak irgendwie mit al-Qaida zusammen gearbeitet hatte. Allerdings wurde der Irak erst nach dem Krieg zu einer Terrorhochburg, der Krieg und die wenig glückliche Besatzung stärken zudem im Land selbst und weltweit den muslimischen Terrorismus.
Unerbittlich - und möglicherweise ein wenig einfallslos - hält Präsident Bush jedoch an der Terrorbekämpfung als Erfolgsrezept für ihn und seine Regierung fest. Manche Argumente, mit denen man beispielsweise propagandistisch - oder sollte man verschwörungsmäßig sagen? - innenpolitisch Bürgerrechte reduziert und außenpolitisch Kriege gefochten hat, wurden wohl in der Hoffnung beiseite gestellt, allmählich in Vergessenheit zu geraten. Von den "Schläfern" als den überall "tickenden Zeitbomben" hört man nichts mehr (Zehntausende über die Welt verstreute tickende Zeitbomben), auch das Thema Hussein und Massenvernichtungswaffen wird möglichst gemieden. Die Verbindung von Hussein und dem internationalen Terrorismus taucht jetzt höchstens noch rhetorisch so auf, dass nun die - möglicherweise gar nicht vorhandenen? - irakischen Massenvernichtungswaffen auf keinen Fall mehr in die Hände der Terroristen gelangen könnten.
Dass, wie Bush in seiner Rede am 12.9. vor dem 3. Infanterieregiment in Fort Stewart erklärte, der Irak nun für seine Regierung als "zentrale Front im Krieg gegen den Terror" gilt, ist erst Folge des eigenmächtigen Vorgehens, das Regime zustürzen, um angeblich die Sicherheit der USA zu dienen und die UN-Resolutionen umzusetzen. Bekannt ist, dass die Bush-Regierung schon unmittelbar nach dem 11.9. dieses nicht ungelegen kommende "Pearl Harbor" zu einem Angriff auf den Irak nutzen wollte. Jetzt hat man den Diktator gestürzt, aber gleichzeitig erst ein Schlachtfeld für den Terror geschaffen, was sich auch dem verbohrten Alleingang der US-Regierung und ihrer Überzeugung verdankt, dass Konflikte schnell, mit geringen Kosten und spektakulär die Macht demonstrierend mit Waffengewalt lösen lassen. Auch den Irak-Krieg glorifiziert Bush als "einen der schnellsten und humansten militärischen Aktionen der Geschichte". Sind die Bösen, nach deren Motiven für ihren "Hass" auf Freiheit und damit auf die USA gar nicht gefragt werden muss, erst einmal eliminiert, so scheint man im Weißen Haus zu glauben, können nur von selbst - oder mit der Hilfe der Alliierten, die die langfristigen und weniger spektakulären Dienste leisten sollen - Freiheit, Demokratie, Kapitalismus und eine USA-freundliche Regierung entstehen.
Auch in seiner letzten Rede strich Bush heraus, dass der vom 11.9. ausgehende Krieg gegen den Terrorismus den eigentlichen Auftrag der USA darstellt. Neu sind die Argumente nicht, dass der Terroranschlag zu den größten Verlusten seit dem Bürgerkrieg im eigenen Land geführt habe, dass ein neuer Feind sichtbar geworden sei, der sich an keine (zivilisierten) Regeln hält, und dass als Folge eine neue Kriegsführung (präventiv und weltweit) notwendig sei. Bush übersetzt für die amerikanischen Bürger und Soldaten:
Alle, die dienen, verstehen, um dieser Kampf geht. Unser Militär kämpft gegen die Terroristen im Irak und in Afghanistan und an anderen Orten, so dass unsere Leute nicht mit der terroristischen Gewalt in unseren eigenen Städten konfrontiert werden.
Doch Bush steht erheblich unter Druck, nachdem weder der Krieg gegen den Terrorismus diesen nicht wirklich eingedämmt hat, auch wenn es Erfolge bei der Jagd nach al-Qaida-Mitgliedern gibt, während innenpolitisch nach zweijähriger Ruhe die ausbeutbare Angst der Menschen nachlässt. Bush will nun möglichst die Last auf viele Schultern verteilen, aber offenbar noch immer am Ruder bleiben, obgleich sich diese Politik nun als gescheitert erweist. Außenminister Powell sollte gestern in Genf Freunde, Alliierte und UN-Angehörige die für eigenmächtig begonnene Unternehmung durch moralische Erpressung rekrutieren, nachdem politischer und wirtschaftlicher Druck bislang nicht die erwünschten Ergebnisse brachten:
Er wird eine Botschaft mitbringen: Keine freie Nation kann in diesem Kampf zwischen Zivilisation und Chaos neutral bleiben. Terroristen im Irak haben Vertreter der zivilisierten Welt angegriffen, sie zu bekämpfen und zu besiegen muss die Angelegenheit der zivilisierten Welt sein.
Solange die US-Regierung nicht Macht abgeben wird, dürfte die Motivation zur Beteiligung am riskanten und teuren Unternehmen des nation building im Irak gering bleiben. Neben der wachsenden Einsicht in den USA über die von der Bush-Regierung wenig bedachten Folgen des Krieg gegen den Terrorismus im Irak trägt aber auch die Angst vor dem Terrorismus im eigenen Land nicht mehr automatisch die Regierung. Nach einer Gallup-Umfrage von dieser Woche ist Bush in seiner Popularität auf den Stand vor dem 11.9. zurückgefallen (nach dem Terroranschlag erzielte Bush Zustimmungsraten von 90 Prozent). 43 Prozent der Befragten beurteilen seine Amtsführung negativ, mehr als die Hälfte lehnen es ab, der Regierung für den Irak weitere 87 Milliarden Dollar zu bewilligen.
Gleichwohl fährt Bush noch am besten in Bezug auf die Bekämpfung des Terrorismus. Hier findet er die Zustimmung von 64 Prozent, was allerdings auch zeigt, dass die Menschen die von Bush gemachte Klammer zwischen dem Irak und dem Krieg gegen den Terrorismus nicht mehr überzeugt. Allerdings hat Bush auch hier stark an Zustimmung verloren, da nun auch die anderen politischen und wirtschaftlichen Probleme des Landes wieder an Gewicht gewinnen, während die Angst und die Bedrohung, auf die Bush noch immer setzt, im Bewusstsein der Menschen schwindet, solange kein neuer Terroranschlag stattfindet.
Veranschaulichen lässt sich dieses Dilemma anhand der von der Bush-Regierung im Zusammenhang mit dem neuen Ministerium für "Heimatschutz" (home security) fabrizierten Systems, das Behörden und Menschen über den Grad der Gefährdung durch drohende terroristische Anschläge informieren soll. Seit Einführung des "Homeland Security Advisory System" im März 2002 ist die in fünf Farben von Grün (niedriges Risiko) bis Rot (ernsthaftes Risiko) codierte Risikowarnung meist wie jetzt auf "Gelb" (erhöhtes Risiko) eingefroren worden. Darunter sinken wollte man es offenbar auch aus politischen Gründen nicht, vier Mal, zuletzt im Mai, wurde es vorübergehend auf Orange (hohes Risiko) erhöht.
Symptomatisch mag schon sein, dass Risikolosigkeit nicht vorgesehen war. Schließlich befinden sich die USA seit dem 11.9. für unvorhersehbare Zeit im Krieg. Doch die Menschen immer in einer "Be ready"-Haltung, also in Angst, vor einem erneuten Anschlag zu halten, kann nicht funktionieren. Die Angst erlahmt, andere Dinge werden wichtig, die Bedrohung rückt in die Ferne. Auch der Versuch, die Bedrohung nicht zu überhöhen, indem man bei der Warnung sich sozusagen in der Mitte hält, kann auf die Dauer nicht greifen. Letzten Monat wurde das Warnsystem, nachdem es schon viel verspottet wurde, auch in einem Kongressbericht kritisiert. Die Regierung habe die Bedrohung so vage gehalten, dass man an der Berechtigung der Warnungen zweifeln und nicht mehr auf sie reagieren könne.
Das Problem, das weit über das Warnsystem selbst hinaus geht, ist mittlerweile auch im zuständigen Ministerium angekommen, in dem man sich aber weiterhin windet. Es wurden zwar Richtlinien formuliert, nach denen es schwerer wird, die Warnstufe zu erhöhen, aber senken will man es auch nicht. Heimatschutzminister Tom Ridge antwortete auf die Frage, warum man jetzt wie im Jahr zuvor die Warnstufe nicht erhöht habe, obwohl das Ministerium vor dem 11.9. 2003 darauf hingewiesen hatte, dass Terroristen große Anschläge planen würden:
Tatsache ist, dass unser Sicherheitsgrad bei Gelb heute besser ist als ein Jahr zuvor und dass er ein Jahr später noch besser sein wird. Daher wird die Schwelle von Gelb auf Orange höher werden. Das ist ein Unterschied.
Nach dieser Logik müsste die Warnstufe allerdings sinken - zumindest langfristig. Das aber scheint eben nicht das Interesse der Bush-Regierung zu sein. Ridge machte so deutlich, wie die New York Times berichtet, dass es noch Jahrzehnte dauern könnte, bis die Regierung auf Grün oder "geringes Risiko" umschalten könne und die Bedrohung durch Terroranschläge auf die USA weitegehend vorbei sei:
Wir wissen, dass wir uns auf einem weiten Weg befinden, weil, wie ich glaube, es einen Nachfolger von al-Qaida und einen Nachfolger von bin Laden geben wird.