"Kampfdrohnen senken die Tötungsschwelle"

US-Soldat bei der Steuerung von Kampfdrohnen auf Balad-Luftwaffenbasis im Irak. Predator_controls_2004-07-02.jpg:Bild: Cohen A. Young

Karl-W. Koch über den Bundesparteitag der Grünen, bewaffnete Drohnen für die Bundeswehr und den neuen Kalten Krieg

Karl-W. Koch ist Mitglied des Organisationsteams der Gruppe Unabhängige Grüne Linke in Bündnis 90/ Die Grünen. Als Basismitglied arbeitet er zu Frieden, Atomenergie und Verkehrspolitik. Er ist Journalist und Herausgeber des Buches Störfall Atomkraft: Aktuelle Argumente zum Ausstieg aus der Kernenergie.

In einem Antrag für den Parteitag von Bündnis 90/ Die Grünen an diesem Wochenende fordern Sie, die Anschaffung bewaffneter Drohnen für die Bundeswehr zu verhindern. Zugleich ist Ihre Partei Teil einer Regierungskoalition, die diese Waffen kaufen und einsetzen will. Welche Erfolgsaussichten geben Sie Ihrem Papier?

Karl-W. Koch: Parteien handeln nach Beschlüssen und Verträgen. Grundlage sind in dieser Frage das Grüne Grundsatzprogramm (GSP)1, der Beschluss des Wahlprogramm-Parteitages (WP-BDK)2 und der Koalitionsvertrag (KV)3. Diese sind leider nicht deckungsgleich, denn während das GSP bewaffnete Drohnen völlig ablehnt und sogar eine aktive Rolle Deutschlands in deren Verhinderung fordert, geht das WP – in übrigens einer umstrittenen Abstimmung mit wenigen Stimmen Mehrheit und technischen Problemen bei etlichen Teilnehmern – einen großen Schritt weiter und fordert nur noch, es müsse "klargemacht werden, für welche Einsatzszenarien der Bundeswehr die bewaffneten Drohnen überhaupt eingesetzt werden sollen, bevor über ihre Beschaffung entschieden werden kann.

Auch technische Herausforderungen wie mögliche Hackability müssen in der Gesamtabwägung eine wichtige Rolle spielen". Aber auch diese schwache Einschränkung wurde im KV ausgehebelt durch die Formulierung "Unter verbindlichen und transparenten Auflagen und unter Berücksichtigung von ethischen und sicherheitspolitischen Aspekten werden wir daher die Bewaffnung von Drohnen der Bundeswehr in dieser Legislaturperiode ermöglichen".

Die Verhandler haben also hier ihren von der Partei vorgegebenen Verhandlungsspielraum gleich mehrfach überzogen. Das soll offenbar mit der Gesamtabstimmung der Mitglieder über den KV als "geheilt" betrachtet werden (sinngemäßes Zitat "Die Mitgliedern haben dem ja zugestimmt"), was m.E. gleich doppelt falsch ist.

Zum einen wurden logischerweise nicht die Einzelpunkte abgestimmt, sondern nur die Gesamtheit und zudem haben nicht einmal 50 Prozent aller Mitglieder dem KV zugestimmt. An der Abstimmung nahmen lediglich 57 Prozent teil, für Grüne ein vergleichbar schwaches Ergebnis). Nur 86 Prozent davon stimmt zu. In der Summe haben also 49 Prozent aller Mitglieder zugestimmt.

Genauso wie der Wahlprogramm-Parteitag die Beschlusslage "gedreht" hat, wäre auf dieser BDK eine erneute Korrektur der Beschlüsse möglich. Dabei fordern wir ja ausdrücklich keinen Bruch des KV, sondern lediglich die Beschlusslage umzusetzen, nämlich "die ethischen und sicherheitspolitischen Aspekte" einer Beschaffung "zu prüfen", bevor bestellt wird.

Damit wird dem widersprochen, dass "Fachpolitiker von SPD, Grüne und FDP … sich darauf (einigen), die umstrittene Technik anzuschaffen". Die Grünen-Beschlusslage wird mit Umsetzen unseres Antrags bestätigt, der KV wird bis zur "Prüfung" lediglich ausgesetzt. Da ist umso mehr verschmerzbar, da es ein aktuell kein Szenario für die Bundeswehr gibt, in dem ein deutscher Kampfdrohnen-Einsatz vorstellbar wäre.

Ich sehe also gute Chancen, diese Abstimmung zu gewinnen. Und das, ohne dass die Koalition beschädigt würde, da "verbindliche und transparente Auflagen" nicht in Sicht sind und "die ethischen und sicherheitspolitischen Aspekte", wie es ja im Koalitionsvertrag heißt und wie es dem aktuellen technischen Stand entspricht, in absehbarer Zeit nicht berücksichtigt werden können.

In ihrem Wahlprogramm positionieren sich die Grünen deutlich kritischer zu bewaffneten Drohnen als die anderen beiden Koalitionäre. Dennoch kritisieren Sie den entsprechenden Passus. Weshalb?

Karl-W. Koch: Kampfdrohnen sind von ihrem Prinzip her die gefährlichsten Waffen, die es heute gibt. Sie sind ohne Menschen vor Ort einsetzbar, sie senken – nicht nur dadurch – die Tötungsschwelle. Diesen Effekt hat auch der "Computerspiel-Charakter" bei der Anwendung. Sie senken dadurch, dass eigne Verluste an Soldaten vermieden werden, auch die Hemmschwelle für ihren Einsatz bei den verantwortlichen Politikern.

Sie sind zudem unaufhaltsam auf gradlinigem Weg zu Autonomen Waffensystemen, d.h. in der nächsten Stufe entscheidet dann Künstliche Intelligenz über Menschenleben, für einen denkenden und mitfühlenden Menschen ethisch nicht vertretbar und nicht verantwortbar.

Zu allem Überfluss sehen wir bereits heute bei den aktuellen Einsätzen, ich erinnere nur an den letzten US-Drohneneinsatz in Kabul, dass bis zu 90 Prozent der Opfer eben nicht feindliche Soldaten und Terroristen, sondern Frauen und Kinder, Zivilisten, Unbeteiligte, ja teilweise ganze Hochzeitsgesellschaften sind.

Aber statt, dass diese Fälle rechtlich aufgearbeitet werden, werden sie als "Kollateralschäden" abgetan. Genau so entsteht die nächste Generation von Terroristen, genau damit werden die Wurzeln neuer Gewalttaten gegen Soldaten bei Auslandseinsätzen und gegen Menschen bei Terroranschlägen hier bei uns gepflanzt. Letztlich wird der psychologische Terror, unter dem die gesamte Bevölkerung in den anvisierten Gebieten leidet, bisher überhaupt noch nicht in die Bewertung einbezogen.

Unvorstellbar für uns, jede Minute damit rechnen zu müssen, ermordet zu werden oder danebenzustehen, wenn engste Familienangehörige innerhalb von Sekunden aus heiterem Himmel zerfetzt werden. Kriege werden so nicht gewonnen, sie werden verlängert in unendlichem Leid.

Wie wollen Sie eine solche Debatte über bewaffnete Drohnen in Gang bringen?

Karl-W. Koch: Wir stehen gut vernetzt in Verbindung mit Drohnen-Gegnern in anderen Parteien und vor allem mit der äußerst aktiven und gut aufgestellten Anti-Drohnen-Kampagne, mit Kontakten in die USA und zu Betroffenen, die Drohneneinsätze mitunter am eigenen Leib erlebt haben.

Wesentliche Teile der deutschen Friedensbewegung sind in der Frage unterstützend auf unserer Seite. Wir sind in der Öffentlichkeit und werden diese weiterhin suchen, informieren, aufklären und darüber die entscheidenden Politiker beim Wort und in die Pflicht nehmen.

Vom Whistleblower Daniel Hale stammen geleakte Dokumente, nach denen – Sie haben es gerade erwähnt – bis zu 90 Prozent der Opfer US-amerikanischer Drohnenangriffe nicht mit den Zielpersonen übereinstimmen. Müsste das nicht strafrechtlich gewürdigt werden?

Karl-W. Koch: Da sind wir bei einem der entscheidenden Punkte. Nach deutschem Recht wäre ein Einsatz unter den heutigen Bedingungen, also der geringen "Trefferquote" und Kollateralschäden von bis zu 90 Prozent, rechtswidrig, egal, unter welchen Bedingungen er läuft.

Eine Tötung ohne Prozess ist außerhalb direkter Kriegshandlungen grundsätzlich nicht zulässig. Dennoch findet das regelmäßig statt, auch von deutschem Boden aus. Selbstverständlich wären vor, bei und vor allem nach den Einsätzen die Gerichte gefragt.

Wenn die deutsche Justiz ihre Aufgaben ernst nehmen würde, müssten bereits heute deutsche Gerichte gegen die US-Drohneneinsätze, die von deutschem Boden (Ramstein und Stuttgart) gesteuert werden, aktiv werden.

In den USA – nach meinem Stand ein demokratischer Rechtsstaat – müsste dies ebenfalls geschehen. Ich sehe die Tatsache, dass dies jeweils nicht geschieht, als eine Unterwerfung der Rechtsprechung unter die Vorgaben der Politik und werte das daher als ein Versagen der Gewaltenteilung. Ein Problem für unser demokratisches System, schon bevor wir Deutsche die erste bewaffnete Drohne bestellt haben.

In den USA hat Pentagon-Sprecher John Kirby aber unlängst bekräftigt, dass keine US-Militärs für einen tödlichen Drohnenangriff bestraft werden, bei dem im vergangenen August im Kabul eine Familie getötet wurde. In Deutschland ist General Klein bis heute straffrei. Wird dieser Aspekt hinreichend beachtet?

Karl-W. Koch: Nein, und gerade das ist einer der hochgefährlichen Aspekte diese Entwicklung. Beim genaueren Hinsehen zeigen sich sogar zwei Ebenen des Unrechts: Die sogenannten Kollateralopfer und die vermeintlich zu Recht, faktisch aber unrechtmäßig getöteten Kämpfer und Terroristen. Wenn Menschen wahrnehmen, dass ihnen ihr Recht auf Leben und körperlicher Unversehrtheit sowie auf Eigentum unwidersprochen aberkennt wird, und der "Gegner" sich dann gleichzeitig zum großen Vorbild der Demokratie und der Menschenrechte aufschwingt, wird es – flapsig gesprochen – nicht nur "schräg", dann kippt im menschlichen Hirn offenbar ein Schalter und die Betroffenen sehen sich ebenfalls nicht mehr an Recht und Gesetz gebunden.

Ihre Parteifreundin Annalena Baerbock hat ein entschiedenes Vorgehen gegen Russland gefordert. Lässt sich damit die drohende Gewalteskalation und deren Folgen beherrschen?

Karl-W. Koch: Im Verhältnis zu Russland stehen wir am Scheideweg. Seit der Auflösung des Ostblocks und dem Zerfall der UdSSR gab es ein breites Zeitfenster sowie mehrerer Angebote seitens Russlands zur Entspannung und einer weitgehenden Partnerschaft.

Dies wurde von der Nato, von den USA und auch von Deutschland mehrfach ausgeschlagen. Hintergrund war vermutlich die tatsächliche oder vermeintliche Schwäche Russlands und die – wie wir heute wissen – Überheblichkeit, Russland nicht als Partner zu brauchen, sondern irgendwann zum Dumpingpreis "übernehmen" zu können. Das mag zu Zeiten Jelzins nachvollziehbar gewesen sein, falsch war es immer. Hätte der Westen Russland damals die Hand gereicht, wäre die Lage heute eine andere.

Um mich klar auszudrücken: Putin ist ein "lupenreiner" Machtpolitiker und Autokrat im schlechtesten Sinne, seine Politik gegen Kritiker, Journalisten und Menschenrechtler ist unakzeptabel. Seine aggressive Politik u.a. in Syrien, Libyen und der Ukraine ebenfalls. Aber dass er in diese Machtposition kommen konnte und diese – wie er heute das tut – so ausspielen kann, ist auch auf Fehler der westlichen Regierungen zurückzuführen: Auf nicht gehaltene Zusagen, auf die vorrangige Bewertung wirtschaftlicher Interessen, auf Nichtanerkennung der russischen Vorleistungen am Ende des Kalten Krieges …

Der ja im besten Begriff ist, in einer neuen Art wiederzukehren.

Karl-W. Koch: Dieser neue Kalte Krieg könnte schneller als je zuvor "heiß" werden: Die sogenannte Weltuntergangsuhr des Bulletin of the Atomic Scientists zeigt den kleinsten Wert in ihrer Geschichte: hundert Sekunden vor Mitternacht.

Eine atomare Eskalation wird von beiden Seiten nicht ausgeschlossen, und diese wäre nach allen heutigen Erkenntnissen nicht mehr kontrollierbar. Das Europa "danach" wäre nicht wiederzuerkennen.

Bisher war ein, wenn nicht der entscheidende Faktor im politischen Handeln der westlichen Staaten das Interesse der Wirtschaft. Wenn aber politische Ziele hinter wirtschaftlichen Interessen zurückstehen müssen, ist eine glaubwürdige Politik nicht möglich.

Die Politik gegenüber Russland und übrigens auch gegenüber China ist zudem eine Gratwanderung: Härte und Einforderung von Menschenrechten sowie rechtsstaatlichem Handeln, aber auch Einhaltung von Zusagen und eigne Bereitschaft zur Entspannung. Die beiden letzteren fehlten bislang in der deutschen Politik, wobei sich der Besuch von Frau Baerbock wohltuend davon absetzte.

Sie fand, so weit in den Meldungen erkennbar, die richtige Mischung bei ihren Besuchen in der Ukraine und in Russland. Nur mit Härte und Zugeständnissen aller Seiten lässt sich dieser Konflikt noch entschärfen. Von "Lösen" spreche ich dabei bewusst nicht. Aber einen Krieg um die Ukraine oder Teile des Landes kann im Endergebnis keine Seite gewinnen. Verlieren würden jedoch alle Menschen in Europa.