Kanada: Mit Notstandsgesetz gegen Corona-Proteste

Truck des sogenannten Freedom Convoys in Ottawa; Bild: ΙΣΧΣΝΙΚΑ-888/CC BY-SA 4.0

"Freedom Convoy": Die Regierung Trudeau setzt auf hartes Vorgehen

Die kanadische Regierung wird mit einem Notstandsgesetz gegen die Proteste vorgehen, die seit Ende Januar weltweite Schlagzeilen machen. Premierminister Justin Trudeau erklärte, "dass er zum ersten Mal in der Geschichte Kanadas auf das Notstandsgesetz zurückgreift, um der Bundesregierung vorübergehende Befugnisse zur Bewältigung der laufenden Blockaden und Proteste gegen die Pandemiebeschränkungen zu geben".

Der Polizei gebe dies mehr Instrumente an die Hand, "um die Ordnung an Orten wiederherzustellen, an denen öffentliche Versammlungen illegale und gefährliche Aktivitäten darstellen, wie etwa Blockaden und Besetzungen", wird Trudeau vom staatlichen Sender CBS zitiert. Die RCMP (Royal Canadian Mounted Police) werde damit auch in der Lage versetzt, kommunale Verordnungen und Verstöße auf Provinzebene durchzusetzen, falls erforderlich.

Der "Emergencies Act" definiert einen nationalen Notfall als eine vorübergehende "dringende und kritische Situation", die "das Leben, die Gesundheit oder die Sicherheit von Kanadiern ernsthaft gefährdet und von solchem Ausmaß oder solcher Art ist, dass sie die Fähigkeit oder die Befugnis einer Provinz übersteigt, damit umzugehen".

Gestern hatte der Minister für Katastrophenschutz, Bill Blair, mangelnde Durchsetzungskraft der Exekutive in der Hauptstadt beklagt und davon gesprochen, dass die kanadische Bundesregierung darauf vorbereitet sei, "alles Notwendige zu tun".

Beim gestrigen Treffen mit der liberalen Fraktion hatte Trudeau erklärt, dass es keine Pläne für den Einsatz des Militärs gebe. Vor dem Wochenende hatte der Premierminister laut Bericht der Zeit noch angedeutet, dass er notfalls auch das Militär als letztes Mittel einsetzen würde, um die Proteste zu beenden.

Dass die Regierung Trudeau nun mit Notstandsbefugnissen gegen Proteste, die sich an Corona-Maßnahmen entzündet haben, sagt viel darüber aus, welche Spannungen sich in Kanada aufgebaut haben.

"Das muss aufhören"

Aus einem "Trucker-Protest", der als "Freedom Convoy" Ende Januar erste internationale Aufmerksamkeit bekam, wurde ein großes politisches Problem, von dem man auch außerhalb Kanadas Spill-Over-Effekte befürchtet.

Rund 500 Fahrzeuge, Lastwagen, Pick-ups und andere Gefährte blockieren die Straßen vor dem kanadischen Parlament, beschrieb die Financial Times am Wochenende die Szenerie in der kanadischen Hauptstadt, die von der Regierung als "Besetzung" bezeichnet wird: Auf dem langen Boulevard stünden "Küchenzelte, Tische mit Hotdog-Brötchen und eine Bühne". Zu Beginn der Woche habe es sogar "tragbare Saunen und eine Hüpfburg" gegeben. Die Polizei zählte 4.000 Demonstranten am Samstag, die durch Wohnviertel in Ottawa marschierten.

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Bild. Es gibt auch Klagen von Anwohnern und Geschäftsleuten, die sich nicht nur über den Lärm, ständiges Gehupe und laufende Motoren, die Blockaden von Wegen und Läden und über geschlossene Geschäfte beschweren, sondern auch über Hinterlassenschaften, die weniger lustig sind als Hüpfburgen.

"Einzelne versuchen, unsere Wirtschaft, unsere Demokratie und das tägliche Leben unserer Mitbürger zu blockieren", kommentierte Trudeau: "Das muss aufhören."

Am Sonntagabend gab es die erste Erfolgsmeldung aus Sicht der Regierung. Die Ambassador-Brücke, die Detroit in den USA mit Windsor in Kanada verbindet, wurde aufgrund eines Gerichtsbeschlusses von der Polizei wieder für den Lieferverkehr geöffnet.

Gut über 25 Prozent des Handels zwischen den USA und Kanada läuft über diese Brücke, die von Teilnehmern des Freedom Convoys blockiert wurde. Auf umgerechnet etwa 208 Millionen Euro schätzte man den Schaden der knapp eine Woche dauernden Blockade, die Automobilhersteller Toyota und Ford sprachen von Produktionsausfällen.

Saftige Strafen - Schwierigkeiten der Politik

Es gibt mehrere Beispiele dafür, wie schwer sich leitende Politiker mit den Protesten tun. Es ist nicht nur der kanadische Regierungschef Trudeau, der seine Schwierigkeiten hat. Der Premierminister der Provinz Ontario, Doug Ford, verhängte erst einen Ausnahmezustand und drohte mit saftigen Strafen - umgerechnet knapp 70.000 Euro Strafzahlungen und einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr für diejenigen, die Straßen und Brücken blockieren - bis er dann am Montag erklärte, dass die Provinz, in deren Süden die Hauptstadt Ottawa liegt, Corona-Restriktionen ab 1. März aufheben wird.

Auch die Pflicht, mit einem Pass die Corona-Schutzimpfungen vorzuweisen, werde beendet, was zu den zentralen Forderungen des Protests gehört. Dieser begann damit, dass Lastwagenfahrer gegen die Pflicht zur Vorlage eines Impfausweises beim Grenzübertritt USA/Kanada protestierten, die ab Mitte Januar in Kraft trat, und wuchs sich im Lauf der vergangenen zwei Wochen zu einer Kundgebung aus, die sich in größeren Stil und mit weitaus mehr Menschen als Trucker und deren Fan-Gemeinde ganz allgemein gegen die Corona-Politik der Regierung richtete.

Zuschreibungen, die einfach widerlegt werden

Zur besonderen Zielscheibe der Proteste wurde Premierminister Justin Trudeau. Er hatte die Proteste falsch eingeschätzt, da er voreilig, wie sich zeigte, davon ausging, dass er die Protestierenden nicht weiter beachten müsse. Er identifizierte sie mit Radikalen, mit denen er auf keinen Fall reden wollte. Auf die erste Protestwelle in Ottawa am letzten Januar-Wochenende reagierte er so:

Ich weiß, dass diese Pandemie frustrierend ist. Es ist frustrierend, dass wir nach zwei Jahren immer noch nicht mit dem Kampf gegen Covid-19 fertig sind. Aber in den letzten Tagen waren die Kanadier schockiert - und, offen gesagt, angewidert - von dem Verhalten einiger Leute, die in unserer Hauptstadt protestierten.

Ich möchte ganz klar sagen: Wir lassen uns nicht von denen einschüchtern, die Angestellte kleiner Unternehmen beschimpfen und Obdachlosen das Essen stehlen. Wir werden denen nicht nachgeben, die rassistische Flaggen schwenken. Und wir werden denen nicht nachgeben, die Vandalismus begehen oder das Andenken an unsere Veteranen entehren.

In Kanada ist für dieses Verhalten kein Platz. Also, an die Verantwortlichen: Es muss aufhören.

Justin Trudeau

Es war einfach, diese Zuschreibungen zu widerlegen. Zwar fanden die Ausschreitungen, die Trudeau in den Vordergrund rückte, statt, und es gab die Fahnen, die extremrechte Positionen markieren (erwähnt werden Hakenkreuzfahnen und die Flagge der Konföderierten), wie auch Organisatoren aus einer rechten Partei stammen, aber die Proteste waren sehr viel größer und die Teilnehmer und Unterstützer bei Weitem diverser, als sie der Regierungschef beschrieb.

Eine Reportage mit Fotomaterial, die Trudeaus Einordnung eindrucksvoll widerlegt, wurde auch hierzulande bekannt. Dem schlossen sich dann Veröffentlichungen an wie etwa die von der Foundation against Intolerance and Racism, die rechte Aktivisten nicht ignorieren (und eine Art des martialischen Protests mit Trucks monierten, die nicht jedermanns Sache ist), die aber auch herausstellten, dass die man es sich auf der "progressiven Seite" zu einfach mache.

Sogar viele dreifach geimpfte Kanadier der politischen Mitte (ich würde mich selbst in diese Kategorie einordnen) sind begierig darauf, mit dem Leben nach der Pandemie weiterzumachen, und haben nicht viel Zeit für die Sticheleien von doppelt maskierten Puritanern, die jeden starken politischen Dissens als von (in Trudeaus Worten) "Frauenhassern und Rassisten" ausgehend denunzieren.

In dieser Woche zeigten Umfrageergebnisse, dass fast die Hälfte der voll geimpften Kanadier jetzt mit "den Sorgen und Frustrationen der Menschen, die an den Trucker-Protesten in Ottawa beteiligt sind", sympathisieren - ein erstaunliches Ergebnis, wenn man bedenkt, wie viele Journalisten die letzten zwei Wochen damit verbracht haben, Trudeaus Darstellung der Trucker als Hassprediger zu verstärken.

Jonathan Kay, Übersetzung DeepL

Zum größeren Bild gehört aber auch, dass Kanada hohe Impfquoten hat, dass die Mehrheit in Umfragen bislang hinter der Corona-Politik der Regierung stand und dass sich auch die Trucker-Gewerkschaften mehrheitlich auf die Seite der Regierung und gegen die Proteste stellen.

Nicht zu übersehen ist, dass die Corona-Krise soziale Ungleichheiten weiter gesteigert hat und dass die Wut und Empörung, die daraus entstehen, eine Reißbrett-Politik, die nur konzeptionell Passendes sehen will, vor ziemliche Probleme stellen.

Von der politischen Wirkung solcher Proteste profitieren Vertreter des rechten politischen Spektrums augenscheinlich mehr. Wie es geht, daraus politisches Kapital zu schlagen, führen auf der anderen Seite der Grenze Ex-Präsident-Trump und Fox-News vor.