Kann die Bundeswehr verantwortungsvoll mit Drohnen umgehen?
Ein Debattenbeitrag
Das Bundesverteidigungsministerium hat am 11. Mai die #DrohnenDebatte2020 ins Leben gerufen. Es soll eine breit ausgelegte gesellschaftliche Debatte entstehen. Diese soll klären, ob bewaffnete Drohnen für die Bundeswehr sinnvoll sind, oder ob die Gefahr, vorschnell militärische Gewalt einzusetzen zu groß ist.
Kein Land führt mehr Kriege als die USA. Dementsprechend verfügt kein Land über mehr militärisches Equipment. Durch die verhältnismäßig starke Transparenz der Regierung, die Arbeit von Whistleblowern und Journalisten ist der amerikanische Drohnenkrieg der am besten dokumentierte. Und Deutschland ist darin verwickelt.
Neben Irak und Syrien ist Afghanistan das am stärksten bombardierte Gebiet der Welt. Seit knapp 19 Jahren bekämpfen sich im Land verschiedene bewaffnete Gruppen, die afghanische Staatsgewalt und Militäreinheiten aus der ganzen Welt unter Führung der NATO. Allein 2019 forderte der Krieg, laut UNAMA-Bericht, etwa 3400 zivile Tote. Für Bomben aus der Luft ist die US geführte Koalition und seit wenigen Jahren das afghanische Militär verantwortlich. Häufig werden Drohnen eingesetzt. Mit Blick auf die USA zeigt sich, welche Risiken sich mit der geplanten Anschaffung bewaffneter Heron TP-Drohnen durch die Bundeswehr auftun.
Wie "chirurgische Waffen" Zivilisten töten
Die Drohnen werden vom Boden aus gesteuert, damit besteht kein Risiko für die Piloten. Die Operatoren steuern die unbemannten Luftfahrzeuge über Einsatzgebieten wie Pakistan, Irak, Syrien, Jemen oder Somalia und sitzen dabei teilweise am anderen Ende der Welt. Befürworter meinen, Drohnen schützen das Leben von Soldaten und vertreten die Meinung, dass deren Beschaffung eine zwingende Notwendigkeit darstellen würde, um Deutschlands Soldaten angemessen zu schützen.
Es heißt, Drohnen würden so präzise wie kaum andere Waffen schießen. Die Opferzahlen einer Rakete liegen meistens im einstelligen Bereich. Ein Berater Obamas sprach seinerzeit sogar von Antiterror-Missionen mit "chirurgischer Präzision".
Es ist attraktiv, Ziele zu bekämpfen, ohne das Leben der eigenen Truppen riskieren zu müssen; das macht den Krieg innenpolitisch bequemer. Denn Politiker müssen sich vor allem dann vor Angehörigen und der Bevölkerung für Auslandseinsätze rechtfertigen, wenn Soldaten in Särgen aus Konfliktzonen zurückkommen.
Seit Donald Trump im Amt ist, haben sich diese Angriffe in allen Ländern, die davon betroffen sind, vervielfacht.
Emran Feroz, Journalist und Autor von "Tod per Knopfdruck"
In Afghanistan gingen seit 2015 zwischen 4.000 und 10.000 Drohnentote auf das Konto der USA.1 Doch amerikanische Kampfdrohnen fliegen auch über die Grenzen des Landes hinaus. So wurde auch Pakistan seit 2001 tausendfach Ziel amerikanischer Bombardements.
Verdächtigt ist, wer sich verdächtig verhält
Beim Einsatz der Drohnen präsentiert die US-Regierung beeindruckend niedrige Zahlen sogenannter Kollateralschäden.2 Unabhängige Untersuchungen, wie die des Bureau of Investigative Journalism kommen jedoch auf deutlich höhere zivile Opferzahlen. Denn die US-Regierung verdächtigt besonders alle Männer im wehrfähigen Alter. Werden sie Opfer eines Angriffs, stuft das US-Militär sie pauschal als "feindliche Kombattanten" ein, bis ihre Unschuld nach dem Tod durch verschiedene Quellen bewiesen werden konnte.
Eines der Hauptprobleme von Drohneneinsätzen ist, dass jede Mission teilweise auf Spekulation basiert. "Signature Strikes" werden die Drohnenangriffe genannt, die auf Verdächtige geflogen werden, weil die Geheimdienste der Meinung sind, dass sie sich wie Terroristen verhalten.
Es wird immer wieder dieses Bild rekonstruiert, dass Drohnenoperatoren von oben ganz genau sehen, was der Beobachtete für einer ist, und was er alles macht und dass er wirklich ein Militanter und eben kein Zivilist ist; und das ist eben völlig falsch. Es haben viel zu viele Fälle in der Vergangenheit gezeigt, dass diese Operatoren zum Teil nicht sehen können, wer da was macht und sie können zum Teil nicht unterscheiden, ob das eine Frau ist oder ein Mann, oder ein Kind, oder ein Bewaffneter.
Emran Feroz: "Tod per Knopfdruck"
Bei einem Vorfall im Februar 2010 überwachten US-Soldaten stundenlang einen zivilen Konvoy mit Drohnen und beschlossen dann, ihn zu beschießen. Die Reisegruppe wurde bombardiert, bis die Piloten die Frauen und Kinder außerhalb der Fahrzeuge erkannten.
Über Sim-Karten und Handydaten orten die Piloten der Drohnen ihre potenziellen Ziele. Dabei erstellen sie aus den Daten der Überwachung3 ein Profil des Ziels. Bekannte Terrorverdächtige kommen auf die so genannte "Kill List". Sobald der US-Präsident diese abzeichnet, haben die Teams 60 Tage Zeit, den mutmaßlichen Terroristen zu fangen oder - in der Praxis sehr viel wahrscheinlicher - zu töten.
Mit jedem neuen Präsidenten wurde die Praxis der "Targeted Killings" ungehemmter. So hatten die Vereinigten Staaten bis November 2014 500 gezielte Tötungen durchgeführt (ca. 98 Prozent davon mit Drohnen). Dabei töteten sie schätzungsweise 3.600 Menschen. Offiziell sind darunter 473 Zivilisten. 50 Tötungen wurden von Präsident George W. Bush genehmigt, die anderen autorisierte Obama. In den letzten Tagen seiner Amtszeit zeigte sich Obama besorgt, dass zukünftige Präsidenten mit Hilfe der Drohnen dazu fähig wären, auf der ganzen Welt verdeckte Kriege ohne Rechenschaftspflicht oder demokratischer Debatte führen zu können.
In den acht Jahren seiner Amtszeit autorisierte Obama insgesamt 1.878 Drohnenangriffe. Im Vergleich dazu waren es innerhalb der ersten 2 Jahre unter Trump schon über 2.200 Anfang März 2019 unterzeichnete Trump dann eine Präsidentenverfügung, die die Maßnahmen seines Vorgängers zurückdrehte, mehr Transparenz über zivile Opfer außerhalb offizieller Kriegsgebiete zu schaffen.
Hinrichtungen ohne Prozess
Doch selbst wenn die Soldaten die "richtigen" Ziele töten, sind genau diese gezielten Tötungen besonders problematisch. Viele NGOs, Juristen, Whistleblower und Militäraussteiger haben sich gegen die Praxis der gezielten Tötungen mit bewaffneten Drohnen ausgesprochen. Sie kritisieren, dass US-Streitkräfte Terrorverdächtige gezielt töten, unter anderem, weil dies grundlegend gegen das rechtsstaatliche Prinzip der Unschuldsvermutung verstoße.
Jeder, der einer strafbaren Handlung beschuldigt wird, hat das Recht, als unschuldig zu gelten, solange seine Schuld nicht in einem öffentlichen Verfahren, in dem er alle für seine Verteidigung notwendigen Garantien gehabt hat, gemäß dem Gesetz nachgewiesen ist.
Artikel 11 Satz 1 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte
Wenn eine Regierung annimmt, dass jemand eines Verbrechens schuldig ist und beschließt, diesen zu töten ohne den Versuch, ihn festzunehmen, zu befragen und vor ein Gericht zu stellen, dann handelt es sich dabei um eine außergerichtliche Hinrichtung.
Viele Drohnenopfer wurden aufgrund von Anschuldigungen ausgewählt, überwacht und getötet. Man gab ihnen keine Möglichkeit, sich vor einem Gericht dazu zu äußern oder sich zu verteidigen. Sie bleiben solange Feinde, bis UN-Mitarbeiter, Aktivisten oder Journalisten ihre Unschuld beweisen. Pakistans UN-Botschafter sprach 2012 von mehr als tausend zivilen Opfern in seinem Land durch US-Drohnenschläge und erklärt, Drohneneinsätze führten zu einem höheren Ausmaß an Terror, anstatt ihn zu reduzieren.
Für sein Buch hat Emran Feroz mit der afghanischen Bevölkerung und den Taliban über das Leben unter den Drohnen gesprochen. Im Interview erklärte er: "Es gibt überhaupt kein Verständnis dafür. Es gibt eher Verständnis dafür, dass sich in diesen Regionen Betroffene, Familienangehörige von Opfern, nach Angriffen irgendwelchen militanten Gruppierungen anschließen und eben radikalisieren."
Was Deutschland damit zu tun hat
Zum einen sitzt z.B. das AfriCom in Stuttgart. Von dort koordiniert die USA sämtliche ihrer militärischen Aufgaben in Somalia und andernorts auf dem afrikanischen Kontinent (ausgenommen Ägypten).
Die Drohnenpiloten selbst sitzen meistens in Nevada. Vom Luftwaffenstützpunkt Creech steuern sie die Drohnen, die ihre tausende Kilometer entfernten Ziele oft wochenlang überwachen und schließlich töten. Das ist nur über ein Unterseekabel möglich, das die USA mit der amerikanischen Militärbasis im deutschen Ramstein verbindet. Die Daten gelangen hier von der Relaisstation weiter an einen Satelliten, der die Drohnen über dem Nahen Osten anpeilt. Kurz gesagt: Damit die Operatoren ihre Drohnen in Echtzeit steuern können, ist die Relaisstation Ramstein unverzichtbar. Andernfalls würden die Piloten ihre Ziele zeitversetzt sehen und flögen praktisch blind.
Was hat die Bundeswehr vor?
Wegen der oben genannten Probleme im Umgang mit Drohnen wird das Anschaffen bewaffneter Drohnen in Deutschland kontrovers diskutiert.
Bis jetzt besitzt Deutschland nur Überwachungsdrohnen in verschiedenen Größen. In europäischer Zusammenarbeit soll bis etwa 2025 die Eurodrohne fertig sein. Als "Brückenlösung" sollen zunächst Heron TP-Drohnen geleast werden. Im Koalitionsvertrag der großen Koalition ist diesbezüglich die Rede von Drohnen, über deren "Bewaffnung der Deutsche Bundestag nach ausführlicher völkerrechtlicher, verfassungsrechtlicher und ethischer Würdigung gesondert entscheiden" soll. Weiter heißt es dazu, "Völkerrechtswidrige Tötungen lehnen wir kategorisch ab, auch durch Drohnen."
Bis jetzt kommen wir oft zu groß und zu spät
Drohnenpilot der Bundeswehr
Im Interview erklärt ein deutscher Drohnenpilot, dass die Bundeswehr derzeit an den israelischen Heron TP Drohnen ausbildet. An diesen können Waffen angebracht werden, die Bundeswehr besitzt aber noch keine und deutsche Piloten wissen bisher noch nicht wie man mit diesen umgeht.
Die Raketen, welche die Bundeswehr anschaffen möchte, sollen extrem präzise und kleiner sein als bisher eingesetzte Bomben. Die Bundeswehr hat ganz genau formuliert, was die Waffen leisten sollen: hohe Präzision, kleine Wirkladung mit skalierbaren Effekten, unmittelbare Kontrolle, Steuerung der Waffe durch Waffenbediener, Modifikation des Auftreffzeitpunktes und Möglichkeit zum Bekämpfungsabbruch sollen die Opferzahlen so gering wie möglich halten.4
Für gezielte Tötungen, wie sie andere Nationen vornehmen, würden deutsche Soldaten zur Rechenschaft gezogen werden. Da sich Bundeswehrsoldaten auch in Einsatzgebieten wie Mali und Afghanistan lediglich selbst verteidigen dürfen, also in Notwehr oder Nothilfe ihre Waffen einsetzen dürfen, stünden außergerichtliche Hinrichtungen, auch für Drohnenpiloten, unter Strafe.
Der menschenrechtskonforme Einsatz?
Bewaffnete Drohnen der Bundeswehr sollten, so der Pilot weiter, das Einsatzumfeld von Soldaten überwachen. Mit kleineren Sprengsätzen soll so beim Gegner ein sogenannter "Effekt" erzielt werden, ihn also durch Explosionen in der Nähe einschüchtern und zum Aufgeben bewegen.
Der Drohnenpilot zeichnet ein Szenario, indem ein Auto voller Militanter durch eine Drohne gezielt beschossen und damit der Motor des Fahrzeugs zerstört werden könnte, damit Soldaten am Boden diese festnehmen könnten. Der Pilot ist überzeugt davon, dass mit solchen Drohnen Menschen gerettet werden könnten. Da Luftschläge durch Kampfjets und amerikanische Drohnen entweder zu spät kommen oder zu massiv wären, würde man so das Leben von vielen Kämpfern und Zivilisten verschonen.
Ist das noch Terrorismusbekämpfung?
Drohnen ermöglichen es, jeden jederzeit zu töten. Viele Regierungen haben davon Gebrauch gemacht. Mit ihnen ist es so einfach wie nie zuvor, den Krieg in ein anderes Land zu tragen, ohne jemals einen Fuß über die Grenze zu setzen. Doch auch ohne Fußabdruck können sie eine Spur der Zerstörung hinterlassen.
Mit fortschreitender Technologie werden Künstliche Intelligenz, Roboter und Drohnen nicht nur in den Konfliktgebieten des Planeten immer präsenter werden. Die Menschen unter ihnen leben unter absoluter Überwachung und ständiger Bedrohung, aufgrund falscher Annahmen bombardiert zu werden. Durch das Töten von Unbeteiligten radikalisieren sich oft die Hinterbliebenen.
Amnesty International hat Leitprinzipien ausformuliert, die z.B. beinhalten, dass Staaten beim Einsatz der Waffen vollständige Transparenz und Rechenschaftspflicht gegenüber der Öffentlichkeit gewährleisten müssen. Maßnahmen wie diese und internationales Recht können dazu beitragen diese Ausmaße einzudämmen.
Neue Technologien verschwinden nicht einfach und im internationalen Wettrüsten will keine Regierung auf einen militärischen Vorteil verzichten. Die Bundeswehr verspricht sich an Standards halten zu wollen und die Absichten, die der Pilot vorgestellt hat, klingen edel. Amnesty fordert Staaten zu einer sinnvollen "Beteiligung der Zivilgesellschaft an der Entwicklung von Standards zum Einsatz und Transfer bewaffneter Drohnen" auf.
Sollte sich Deutschland bewaffnete Drohnen zulegen, braucht es also eine aufgeklärte Öffentlichkeit, die über die Risiken der Waffen Bescheid weiß und die jede Regierung für das, was sie tut, und für das, was sie unterstützt, zur Verantwortung zieht. Die vom Verteidigungsministerium losgetretene Debatte könnte jetzt dazu dienen, zusammen mit verschiedenen Gruppen demokratisch eine Lösung der Drohnenfrage zu erarbeiten.