Kannten Sie Michail Gorbatschow?

Lost in history: Gorbatschow auf der Einheitsfeier 2014 in Berlin. Bild: SpreePiX - Berlin, CC BY-NC-ND 2.0

Themen des Tages: Was der Blick auf den Tod von Michail Gorbatschow enthüllt. Was den letzten Generalsekretär der KPdSU mit Hans-Christian Ströbele verbindet. Und was auf Schloss Meseberg los war.

Liebe Leserinnen und Leser,

Zeiten des Krieges sind immer Zeiten einseitiger Berichterstattung, und von ihr scheinen selbst die Toten nicht verschont, wie die Nachrufe auf Michail Gorbatschow zeigen. Das belegt auch der ebenfalls verstorbene Hans-Christian Ströbele. Und dann war in einem barocken Brandenburger Schloss noch was los.

Doch der Reihe nach.

Mehr als ein Maskottchen der Deutschen Einheit

Michail Gorbatschow wird es im Laufe seiner langen Krankheit geahnt haben: "Vater der Einheit", "Totengräber der Sowjetunion", diese Labels wurde der 91-Jährige nie wieder los. Dabei kämpfte er in den vergangenen Jahren beharrlich gegen das mediale-politische Bild und damit gleichsam gegen seine Vergangenheit. Diesen Kampf hat er nun ebenso verloren wie jenen gegen seine Krankheit: Gorbatschow starb am Dienstag im Alter von 91 Jahren in Moskau im Wissen eines – nun in der Ukraine eskalierten –Konfliktes, den er seit über 30 Jahren zu verhindern suchte.

Gorbatschow war es, der nach 1987, in der Endphase der Sowjetunion, das Bild eines "gemeinsamen europäischen Haus" geprägt hatte. Die Rede am 10. April 1987 in Prag mit dem Titel ,,Für ein gesamteuropäisches Haus" ("Za obščeevropejskij dom") hätte zum Ausgangspunkt einer europäischen Friedensordnung werden können, die seit dem 24. Februar dieses Jahres den Menschen in der Ukraine viel Leid erspart hätte.

Doch der Sinnspruch von "Europa, unserem gemeinsamen Haus" oder dem "gemeinsame europäische Haus" fand nur Eingang in Historiker-Essays, er schlug sich nie in Denken und Handeln beiderseits des einstigen Eisernen Vorhangs nieder.

Im postsowjetischen Raum war der letzte Staatschef der UdSSR nicht wohlgelitten. Zu dramatisch waren die sozialen Folgen des Zusammenbruchs, die maßgeblich ihm angelastet wurden. Zu Hause angefeindet, im Westen als Polit-Maskottchen auf der Fanmeile am Brandenburger Tor vorgeführt – das war die eigentliche Tragödie des Elder Statesman Gorbatschow.

Der mediale Blick auf den nun Verstorbenen zeigt indes ein grundlegendes Problem der deutschen Medienlandschaft, der es nicht hinreichend zu gelingen scheint, dieses breite Panorama abzubilden. Die Berichte über den "Vater der Einheit" zeugen von einem germanozentristischen Weltbild, das auch bei anderen Themen einen objektiven und wahrhaftigen Blick auf das Weltgeschehen verschleiert. Medien und Politik schaffen sich ihre eigene Welt – von der Gorbatschow-Nachrufe über die Ukraine bis hin nach Afghanistan.

Hans-Christian Ströbele: gradlinig und ungehört

Diese Erkenntnis zur politischen Person Gorbatschow trifft im Wesentlichen auch auf den ebenfalls verstorbenen Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele zu. "Unbeirrbar und mit Freude an der Provokation" präsentiert ihn das Hauptstadtbüro der Faz posthum, "gradlinig, aufrichtig und hartnäckig" sowie als "Querkopf und Freigeist" der Spiegel. Ernst genommen wurden seine Positionen bei politischen Entscheidern zuletzt aber kaum mehr.

Tatsächlich war Ströbele ein vehementer Gegner der neuen, vorgeblich menschenrechtsbewegten militärischen Außenpolitik. Er habe mit wenigen grünen Bundesabgeordneten gegen die Kriegseinsätze im Kosovo und in Afghanistan gestimmt, schilderte er im Interview mit dem früheren Telepolis-Chefredakteur Florian Rötzer:

Das war ein Riesenproblem, denn die Kanzlermehrheit stand auf dem Spiel. Aber ich habe die Kriege damals für falsch gehalten. Ich bin mir heute auch sicher, wenn der Kanzler gesagt hätte, er wolle eine Kriegsbeteiligung in Afghanistan für 20 Jahre, er nicht die notwendige Mehrheit gefunden hätte. Bisher sind die Kriegsbeteiligungen nicht aufgearbeitet.:;:Hans-Christian Ströbele

Daraus müsse die deutsche Politik ihre Lehre ziehen "und zukünftige Kriegseinsätze im Ausland nur unter ganz engen Voraussetzungen in Betracht ziehen". Dazu gehöre, dass das Ziel klar benannt und auch ein Ende festlegt wird.

Das Gegenteil ist der Fall – und das nicht erst seit dem 24. Februar dieses Jahres, dem Tag also, an dem die russische Armee in die Ukraine einmarschierte. Mehr noch: Hans-Christian Ströbele gehörte zu einem Schlag Politiker, die heute in der deutschen Medienlandschaft Gefahr laufen, in von einem Shitstorm in den nächsten zu geraten. Und die von radikalen Kräften in der Ukraine schon mal auf schwarze Listen gesetzt werden, deren Ziel wenig Interpretationsspielraum zulässt.

Die deutsche Politik nach Hans-Christian Ströbele wird stromlinienförmiger werden. "Charaktere wie Hermann Scheer oder Ströbele von den Grünen und so weiter", so der SPD-Rebell Marco Bülow, "die sind seltener geworden.

Die gab es häufiger, die gab es übrigens selbst in der Union. Zum Beispiel Rita Süßmuth, selbst noch ein Lammert oder auch ein Norbert Blüm, die schon mal Wiederworte gegen den Unionskanzler ausgedrückt haben. Das war möglich. Heute ist das eigentlich nicht mehr so. Und wenn, dann führt das ganz schnell dazu, dass man nicht mehr dabei ist.

PR-Termin im Barock-Schloss

Das Bundeskabinett traf sich indes auf Schloss Meseberg. Dort gab es Fotos vor der Tür.