Katholische Gruppen an Bischöfe: "Verspielen Sie die letzte Chance nicht"
Appell: Gläubige erwarten von ihrer Kirche weitreichende Reformen und ehrliche Aufarbeitung sexualisierter Gewalt
Der Druck kommt nicht nur von außen. Auch in den Reihen der katholischen Kirche selbst brodelt es. Einen Tag vor Beginn der Frühjahrsvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz haben mehrere katholische Gruppen und Verbände eine ehrliche Aufarbeitung sexualisierter Gewalt in kirchlichen Institutionen gefordert und Reformen verlangt. "Verspielen Sie die letzte Chance nicht", heißt es in einem am Montag veröffentlichten Appell der Katholischen Frauengemeinschaft Deutschlands (kfd), des Katholischen Deutschen Frauenbunds (KDFB), der Reformbewegungen "Wir sind Kirche" und "Maria 2.0" sowie des Katholischen LSBT+Komitees an die deutschen Bischöfe.
"Die Zeit des Hinhaltens, des Vertuschens, der immer noch schleppenden Aufklärung sexualisierter Gewalt und der toxischen Machtstrukturen muss endgültig vorbei sein", erklärte das Bündnis, das nach eigenen Angaben auch von Initiativen Betroffener wie "Eckiger Tisch" und Missbrauchsopfer Collegium Josephinum Bonn und Redemptoristen (MoJoRed e. V.) unterstützt wird. Nötig seien jetzt klare Worte und deutliche Taten, durch die die Kirche wieder glaubwürdig und positiv erlebt werden könne.
Am Wochenende waren erste Details aus einem noch unveröffentlichten Gutachten zu sexuellen Übergriffen auf Kinder und Jugendliche in Erzbistum Köln bekannt geworden. Laut einem Spiegel-Bericht geht um mehr als 300 Verdachtsmeldungen, über 300 Betroffene und mehr als 200 Beschuldigte seit 1975. In Gänze veröffentlicht werden soll das von dem Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki in Auftrag gegebene Gutachten des Strafrechtler Professor Björn Gercke erst am 18. März. Dem Bericht zufolge wurden dafür systematisch Aktenvorgänge mit insgesamt zehntausenden Seiten ausgewertet.
Zunächst fällt auf, dass die jetzt veröffentlichten Zahlen deutlich höher liegen als die der 2018 abgeschlossenen "MHG-Studie" der Deutschen Bischofskonferenz. Das interdisziplinäre Forschungsverbundprojekt mit dem Kürzel für die Institutsstandorte Mannheim, Heidelberg und Gießen hatte für das Erzbistum Köln in einen Zeitraum von 70 Jahren 135 Opfer und 87 beschuldigte Kleriker aufgelistet. Nichtgeweihte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Erzbistums wurden dabei nicht berücksichtigt - anders als laut Gercke im neuen Gutachten. Außerdem sei zwischen Verdachtsmeldungen und tatsächlichen Straftaten zu unterscheiden.
Suizid eines Verdächtigen
Das Erzbistum Köln gab am Montag den Suizid eines Geistlichen bekannt, gegen den der Verdacht des sexuellen Missbrauchs an einem zur Tatzeit minderjährigen Jungen in den 1990er Jahren vorgelegen habe. Der Betroffene soll sich erst im vergangenen Jahr an das Erzbistum gewandt haben. Strafrechtlich wäre die Tat demnach wegen der verstrichenen Verjährungsfrist nicht mehr zu ahnden gewesen. Nach Angaben des Erzbistums war der Ruhestandsgeistliche erst vier Tage vor dem Suizid am vergangenen Wochenende von seinen Aufgaben entbunden worden. Dabei habe man ihm seelsorgerische und psychologische Unterstützung angeboten.
Woelki hatte eine umfassende Aufarbeitung sexueller Gewalt durch Geistliche im Erzbistum Köln angekündigt, aber ein erstes Gutachten zu dieser Thematik zurückgehalten. Dieses kommt laut einem Bericht des Kölner Stadt-Anzeigers vom Samstag zu ähnlichen Opfer- und Beschuldigtenzahlen wie das von Gercke erstellte. Woelki warb am Wochenende um Verständnis für seine Entscheidung, das erste Gutachten vorerst nicht zu veröffentlichen: "Tatsächlich benötige ich als Bischof hinsichtlich aller relevanten Personen eine bestimmte qualitative und quantitative Faktenlage, die ein klares und konsequentes Veränderungshandeln dann auch nachhaltig möglich macht", schrieb er in einem Fastenhirtenbrief.
"Denn nichts schürt mehr Misstrauen und zunehmend auch Hass als die Ungewissheit und die Verdächtigungen im Blick auf die Ergebnisse der von mir in Auftrag gegebenen zweiten unabhängigen Untersuchung zu den Missbrauchs-Zusammenhängen", so Woelki. Zudem versprach er, das erste Gutachten "zeitnah" nach dem aktuellen zur Einsicht freizugeben - zunächst für die Betroffenen, später für Journalisten und weitere Interessierte.
"Man stelle sich bitte einen Moment mal vor, der Vorgang hätte in einer großen Moscheegemeinde stattgefunden", schrieb der Agnostiker, Jurist und Bundestagsabgeordnete Niema Movassat (Die Linke) am Montag auf seiner Facebook-Seite. "Ich glaube kaum, dass da große Medien und Politik so vergleichsweise ruhig bleiben würden..."
Gleichstellung und neue Sexualmoral gefordert
Der Appell der katholischen Reformgruppen dürfte den Kirchenoberen allerdings mehr zu denken geben, da zwischen den Zeilen gelesen werden kann, dass nicht wenige Kirchenaustritte bevorstehen, wenn er nicht zu weitreichenden Reformen führt. Neben der strafrechtlichen Verfolgung der Täter, und einer "kirchenrechtlichen Ahndung der Vertuscher" von Sexualdelikten wird auch ein Überdenken der Sexualmoral gefordert: "Die Kirche braucht einen neuen und positiven Zugang zur Sexualität, ihrer bewussten Gestaltung und der Tatsache, dass Sexualität zum Leben gehört. Heterosexuelle, Lesben, Schwule, trans- und intergeschlechtliche Menschen - alle gehören gleichwertig zu unserer Kirche", heißt es darin. "Es darf hier keine Verurteilungen und Diskriminierungen mehr geben."
Darüber hinaus geht es erneut um die Gleichstellung von Frauen und deren Zugang zu allen Diensten und Ämtern. Ein exklusiver Zugang für Männer widerspreche "dem christlichen Menschenbild und den allgemeinen Menschenrechten". Berufung sei keine Frage des Geschlechts.
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