"Kaum Schlimmes an dem Begriff 'islamisch'"
Seite 2: Großraum Damaskus: "Weniger lax als die FSA" - Liwa‘ al-Islam, Brigade des Islam
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- Großraum Damaskus: "Weniger lax als die FSA" - Liwa‘ al-Islam, Brigade des Islam
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Die mehrere tausend Kämpfer umfassende Liwa‘ al-Isam (Brigade des Islam) ist im Umfeld der Ghouta aktiv, aus der sie Jabhet al-Nusra und die Freie Syrische Armee (FSA) verdrängt. Hierzu verhalf nicht zuletzt die salafistische Orientierung von Chefkommandant Zahran Alloush: Sie imponiert jenen, die die FSA auch in religiöser Hinsicht zu lax finden, schlägt andererseits aber nicht in die extremistische Kerbe al-Qaidas, die vielen Syrern zuwider ist.
Deshalb und um ein Gegengewicht zu al-Qaida zu bilden, wird Zahran Alloush von Saudi-Arabien unterstützt , wo auch sein Vater, der Religionsgelehrte Scheich Abdullah Mohammed Alloush, lebt. Zahran selbst war bis Mitte 2011 im syrischen Gefängnis Sidnaya wegen salafistischer Aktivitäten inhaftiert und schloss sich unmittelbar nach seiner Freilassung den Aufständen an.
Die Rebellenlaufbahn, die er seither zurücklegte, ist mehr als beachtlich: Am 29. September wurde unter seiner Führung die Armee des Islam ausgerufen. Interessanterweise befinden sich unter den 50 Brigaden, die der Dachverband bislang umfasst, weder die Radikalen (Jabhet al-Nusra, Islamischer Staat des Irak und der Levante / ISIL) noch die Moderaten (FSA), und viele Beobachter glauben, es sei genau dieser Mittelweg, der künftig die syrische Rebellenszene dominieren wird.
In einem Interview wies Zahran Alloush auf die "Verdienste von Liwa‘ al-Islam" hin. Als wichtigste Errungenschaften erachtete er die "weitgehende Befreiung" der Ost-Ghouta, die Bildung einer "organisierten Armee", die Versorgung von Krankenhäusern, Schulen und Moscheen in der Ost-Ghouta mit Strom und Trinkwasser, die Gründung der humanitären Stiftung "Nour al-Islam" ("Licht des Islam") und schulischer Einrichtungen, deren einziger Financier seine Brigade sei.
"Sind nicht alle Kämpfer in Syrien islamisch geprägt?"
Alloush betont, grundsätzlich zur Zusammenarbeit mit allen Brigaden bereit zu sein. Auf die Frage, ob dies auch nicht-islamische Gruppierungen einschliesse, antwortet er mit einer Gegenfrage: "Im Prinzip ja - aber sind nicht alle Kämpfer in Syrien islamisch geprägt?"
Die richtige Antwort muss nein heißen - dem ist keineswegs so, immerhin treiben allein die Kurden ganz andere Ideologien an.
Doch die Entschlossenheit, mit der Alloush dies ignoriert, macht klar, wo er steht: Für ihn ist der syrische Konflikt ein Ringen umn den "wahren Islam". So versteigt er sich im Lauf des Gesprächs zur Behauptung, die Unterjochung der Sunniten durch die Alawiten habe den Volksaufstand überhaupt erst ausgelöst. Im Prinzip bekennt er damit, dass ihm nicht an Menschenrechten, sondern einzig an den Rechten der Sunniten gelegen ist.
Demokratie ist "Diktatur der Stärkeren"
In Selim Idriss, dem Chef der FSA und Mitglied der Nationalen Koalition, wittert Alloush eine Marionette des Auslandes, womit er die USA und nicht etwa Saudi-Arabien meint. Schliesslich wollten erstere die Entstehung einer islamischen Umma verhindern, wohingegen Saudi-Arabien diese fördere.
Auch der vom Westen propagierten Nationalen Koalition misstraut Alloush, nicht zuletzt, weil diese Verhandlungen mit dem Regierung anstrebt.
Alloush lehnt Verhandlungen kategorisch ab, da er das gesamte syrische Regime - bis in dessen untersten Verwaltungsränge hinein - für schuldig befindet: Alle seien wegen Verbrechen am syrischen Volk vor Gericht zu stellen. Die Details dieser Jurisprudenz überlässt er Rechtsexperten, wichtig sei nur die Anwendung der Scharia.
Nicht minder schwammig sind seine Vorstellungen von einem möglichen Wahlsystem: Ein vom Volk zu wählendes Gremium mit nicht näher definierten Kompetenzen möge einen "Herrscher" (er bedient sich keiner modernen Termini wie "Präsident", "Premier") wählen. Den Begriff "Demokratie" verknüpft er mit dem syrischen Regime und interpretiert ihn als die "Diktatur der Stärkeren" - sprich der Alawiten.
In der von ihm anvisierten "islamisch-gerechten" Zukunft, hätten die Minoritäten nichts zu befürchten, sagt er. Allerdings auch kaum etwas zu erwarten: Jeglicher Frage nach ihren Rechten weicht Alloush aus und fragt im Gegenzug, wer sich in den vergangenen fünf Jahrzehnten um die Rechte der sunnitischen Majorität gesorgt habe?
Man muss gestehen, dass er mit dieser Frage einen Treffer ins Herz der vorgeblich um Menschenrechte besorgten internationalen Gemeinschaft landet. Es ist exakt diese Frage, die mittlerweile viele syrisch-sunnitische Rebellen zu ihrem Schutz- und Angriffsschild erhoben haben.
Große Verachtung für das Regime, die Schiiten und die internationale Gemeinschaft
Er scheint der perfekte Mann für Saudi-Arabien. Politisch unbedarft (Legislative, Exekutive, Judikative oder Wirtschaft scheinen für ihn Fremdwörter zu sein), sehnt sich Alloush in ein religiös glorreiches, vom Schisma mit den Schiiten unberührtes und darüber hinaus nebulöses Ummayaden-Imperium zurück. Zugleich wirkt er keineswegs wie ein eifernder Fanatiker.
Im Gegenteil: Er antwortet auffallend ruhig, konzentriert und scheinbar emotionslos auf alle Fragen. Das Ausmass seiner Verachtung für das Regime, die Schiiten und die internationale Gemeinschaft ist dennoch unübersehbar.
Alloush fühlt sich religiös verfolgt und erniedrigt und ist überzeugt, es sei nun die Stunde all derer gekommen, denen es in Syrien so wie ihm erging.