Kavanaugh: Mob-Rule versus Juristenputsch

Bild: Weißes Haus

Im "kalten Bürgerkrieg" haben beide politischen Lager in den USA Parallelwelten bezogen

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Brett Kavanaugh wurde am Samstag nach langer und hitziger Debatte im Senat zum neuen Richter am Obersten Gerichtshof der USA gewählt. Er ist nach Neil Gorsuch der zweite Kandidat Donald Trumps und verschiebt damit die Zusammensetzung des Supreme Courts nach rechts. Allerdings nicht sonderlich, da die beiden durch die Neuzugänge ersetzen Richter ebenfalls als konservativ, bzw. sehr konservativ galten.

Am Abend der Bestätigung durch den Senat hielt Donald Trump eine seiner längst berüchtigten Wahlkampfreden ab und verspricht dem enthusiasmierten Publikum die weitere Ernennung konservativer Richter. Er stellt dies als die wichtigste Aufgabe seiner Präsidentschaft dar. Das unabhängige Amt der Höchstrichter und die von ihnen erwartete ausgleichende Wirkung innerhalb der Gewaltenteilung werden damit vom Präsidenten selbst in Abrede gestellt. Ist die Demokratie in den USA jetzt am Scheideweg?

Was sich gerade in den USA abspielt, nennt einer der berühmtesten US-Journalisten und Mitaufdecker der Watergate-Affäre Carl Bernstein einen "kalten Bürgerkrieg". Dieser zeichnet sich dadurch aus, dass beide politischen Lager Parallelwelten bezogen zu haben scheinen. In die schallgedämpften Zimmer dringt kaum ein Laut der anderen Seite mehr, und jedes Gegenargument wird als eine, wie auch immer gearteter, politischer Trick abgetan, mit der die wahren Sachverhalte leugnet werden sollen. Der Ton ist unversöhnlich und überdreht. Die Republikaner behaupten sie würden gegen eine "Mob-Rule" kämpfen, bei der aus sinisteren Quellen hochbezahlte "Sozialisten" versuchen würden, Recht und Ordnung in den USA mittels wilder Proteste außer Kraft zu setzen. Die Demokraten diagnostizieren hingegen einen juristischen Putsch der Republikaner, der es einer Minderheit erlauben soll, auf Jahrzehnte juristisch über die Mehrheit zu bestimmen.

Die Argumentationslinien sind in einem verschieden hohen Grad bizarr und es ist nicht leicht, bei so viel hochkochender Emotion die Beweggründe der einzelnen Lager überhaupt noch zu erkennen. Der Versuch sollte allerdings unternommen werden.

Die Sicht der Republikaner

Die Rede von der "Mob-Rule" ist im Amerikanischen doppeldeutig. Zunächst ist ein Mob eine irrational und tendenziell gewalttätig agierende Menge. Gleichzeitig bezeichnet sich die Mafia in den USA selbst als der "Mob". Da mehrere Senatoren, Präsident Trump und auch der neu ernannte Höchstrichter Brett Kavanaugh die aktuellen Proteste als koordiniert und von linken Organisation finanziert bezeichnet haben, scheint die mafiöse Implikation somit gewollt.

Unvermeidlich fiel auch der Name George Soros, und eine gewisse antisemitische Note gibt es somit obendrauf. Aber so ist das eben, wenn Republikaner emotional werden. Seit längerem warnt man vor der "Gefahr von der Straße". Bekanntlich hält Donald Trump Antifa-Aktivisten für genauso gefährlich wie die "alt-right" Neo-Nazis. Dies alles ist aber weitgehend konservative Folklore und Argumentationen dieser Art hätten weder sonderlich zur Aufheizung des eigenen, noch zu der des progressiven und demokratischen Lagers beigetragen.

Es geht im aktuellen Fall von Kavanaugh aber noch um etwas anderes. Im politischen Agieren der Republikaner unter Donald Trump zeigt sich ein Muster. Und bei diesem scheint die Partei von Trump gelernt zu haben und bedient sich längst seiner Methoden. Technisch gesehen geht es um eine ununterbrochene Themensetzung, die der Gegenseite keinerlei Zeit zur Analyse einräumt. Der Vorwurf mafiöser Verstrickung der Demokraten ist bemerkenswert, nicht nur weil sich Trump selbst gewichtiger Vorwurfe der Kollusion ausgesetzt sieht, sondern weil er sich oftmals in seiner Karriere seiner Mafiakontakte gebrüstet hat.

Niemand glaubt ernsthaft, dass der ehemalige Kasino-Besitzer und Immobilientycoon Trump mit weißer Weste durch sein schillerndes Erwerbsleben geglitten ist. Diese Doppelstrategie wird eines Tages als typisch für die Trump-Administration gelten: Der Gegenseite werden jene Dinge vorgeworfen, derer man sich selbst schuldig gemacht hat und zugleich wird das eigene Fehlverhalten als verzeihlich dargestellt, wenn ihm nicht sogar eine gewisse Grandezza beigemessen wird. "Mafia-Mob" bei Demokraten klingt folglich übel und gefährlich, bei Trump selbst hingegen klingt Mafiakontakt nach Frank Sinatra und als ein Bestandteil erfolgreichen Unternehmertums, der von den eigenen Anhängern wohlwollend goutiert wird.