Keimbahn-Therapie?

Die Aussichten für gentechnische Eingriffe in die menschliche Keimbahn

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Gregory Stock ist Biophysiker, Direktor des Programms "Science, Technology and Society" an der UCLA und hat bereits 1993 in seinem Buch "Metaman: The Merging of Humans and Machines into a Global Superorganism" die evolutionären Folgen neuer Techniken diskutiert. Zusammen mit John Campbell organisierte er im März dieses Jahres die erste Konferenz über die Möglichkeiten und Probleme der Keimbahntheorie. Er geht davon aus, daß es keine Möglichkeit gibt, diese umstrittene und in einigen Ländern verbotene Technik zu blockieren, und wendet sich gegen die mit ihr einhergehenden Ängste. Für Stock ist es an der Zeit, daß wir uns mit der Keimbahntherapie und ihren Versprechungen schnell und ernsthaft auseinandersetzen, durch die die Menschen beginnen werden, ihre Evolution in die eigene Hand zu nehmen.

Zum Thema siehe auch das Telepolis-Special über Klonen sowie Zur Umprogrammierung des Lebens

Wissenschaft und Medizin sind von der Erforschung unserer Gene zu deren Manipulation übergegangen. Die Gentherapie bei Menschen - seit einem Jahrzehnt eine Science Fiction - kann jetzt für sich beanspruchen, daß es über 500 überprüfte Untersuchungen am Menschen gibt und sie über ein Budget des amerikanischen National Institute of Health von etwa 200 Millionen Dollar im Jahr verfügt. Die Möglichkeit, genetische Veränderungen in unseren Keimzellen vorzunehmen, wird einen großen Fortschritt für eine solche Therapie darstellen, weil Veränderungen in den ersten Zellen des menschlichen Embryos in jede Körperzelle kopiert werden und so jedes Gewebe erreichen können.

Die "Keimbahntherapie" verkörpert die größten Möglichkeiten und Herausforderungen der Molekulargenetik, weil sie verspricht (manche würden sagen: weil sie damit droht), letztlich unser ganzes Wesen zu transformieren, wenn immer tiefgreifendere genetische Veränderungen an unseren Genomen vorgenommen werden. Diese Technik wird uns dazu zwingen, jede Vorstellung darüber, was es bedeutet, ein Mensch zu sein, neu zu überdenken, da wir demselben Prozeß bewußter Gestaltung unterworfen werden, der die Welt um uns herum so dramatisch verändert hat. Wir werden nicht umhin kommen, uns auf neue Weise zu überlegen, was uns von anderen Lebewesen unterscheidet, wie unsere Gene uns formen und wie weit wir in den Fluß des Lebens zwischen Eltern und Kindern eingreifen wollen.

Es überrascht nicht, wenn sich die Medien auf entfernte Möglichkeiten der Manipulation der menschlichen Keimbahn konzentrieren, anstatt die therapeutischen Möglichkeiten zu thematisieren, die in den nächsten Jahren entwickelt werden könnten. Das ist wenig verwunderlich, denn die Technik ist in geisterhafte Echos einer eugenischen Reinigung und verstörenden Sci-Fi-Bildern von Übermenschen eingetaucht. Indem die Keimbahntherapie die Möglichkeit eines zweckmäßigen menschlichen Designs entstehen läßt, enthält sie auf einzigartige Weise die Herausforderung des kommenden Zeitalters. Andere mächtige Entwicklungen können uns in eine radikal andere äußere Welt eintauchen lassen, aber sie werden vermutlich die wesentlichen Strukturen unserer Biologie nicht verändern.

Es macht keinen Sinn mehr, vor der Diskussion zurückzuweichen, was wir tun werden, wenn alle technische Hindernisse überwunden sein werden, und die Gentechnik eröffnet uns die tiefreichende Macht, unsere Kinder und die Zukunft unserer Art zu formen.

Robert Taylor: Superhumans, in New Scientist vom 3.10.98

Auch wenn ein Eingriff in die Keimbahn noch einige Jahrzehnte lang klinisch nicht durchführbar sein wird, so sind ihre Möglichkeiten zweifellos riesig. Eines Tages könnte man mit ihr Kinder vor Krebs, AIDS und anderen Krankheiten schützen, ihre Intelligenz verbessern und sogar ihre Lebenszeit verlängern. Aber die Technik enthält auch eine fundamentale Herausforderung: Wie weit werden wir in der Umgestaltung des Geistes und des Körpers der Menschen gehen wollen? Diese Frage liegt der beginnenden internationalen Diskussion über die Anwendung der Molekulargenetik auf den Menschen zugrunde. Und während die Abendnachrichten zunehmend Durchbrüche bei dem Human Genome Project, der In-Vitro-Befruchtung, dem Klonen von Tieren und dem Herstellen künstlicher Chromosomen melden, wird die Keimbahntherapie zu einem wichtigeren Thema der Diskussion, der Gewissensprüfung und der Rechtsprechung werden. Mit dieser Technik werden wir unsere eigene Evolution steuern können, doch wir haben noch kaum damit begonnen, uns mit ihren Folgen auseinanderzusetzen.

Bis vor kurzem wurde über die Keimbahntherapie nicht viel diskutiert, denn in den frühen 90er Jahren schien sie noch zu weit entfernt, nur etwas Theoretisches und ein sicherer Gesprächsgegenstand zu sein, weil er nur unsere Kinder oder Enkel, aber nicht uns angeht. Doch seitdem hat die Molekularbiologie solche Fortschritte gemacht, daß eine rudimentäre Manipulation der Keimbahn von Menschen bereits nahezu möglich ist, auch wenn nicht mit der Sicherheit und Verläßlichkeit, die wir für medizinische Eingriffe bei Menschen fordern. Es ist für die gesamte Gesellschaft an der Zeit, die Möglichkeiten und Implikationen dieser Technik zu betrachten. Die mit diesen Konzepten verbundenen Gespenster - die leidenschaftlich verfolgte Pseudowissenschaft der Eugenik, um unsere Art zu "verbessern", und Hitlers brutaler Versuch, eine Herrenrasse zu schaffen - drängen sich so auf, daß man sie nur schwer ignorieren kann. Aber diese mächtige Technik steht so nahe vor uns, daß wir beginnen müssen, ihre Möglichkeiten und Gefahren zu erkunden.

Zu diesem Ziel haben John Campbell, ein Kollege an der UCLA Medical School, und ich im März 1998 ein eintägiges Symposium an der UCLA mit dem Titel Engineering the Human Germline organisiert, um diese Themen so ernst und öffentlich wie möglich zu erörtern. Wir waren der Überzeugung, daß die Versammlung einer kritischen Masse anerkannter Wissenschaftler und Ethiker - French Anderson, James Watson, Lee Silver, Lee Hood, Daniel Koshland, Mario Cappechi, John Fletcher u.a. -, die bereit sind, offen darüber zu sprechen, eine breite und intelligente öffentliche Diskussion in Gang setzen würde. Die eintägige Veranstaltung war kostenlos, für alle offen und gut angekündigt, aber angesichts des umstrittenen Themas, hatten wir ein beklommenes Gefühl. Unsere Ängste erwiesen sich als unbegründet. Tausend Menschen nahmen teil und reagierten so vernünftig auf das, was gesagt wurde, daß uns deutlich wurde, daß zumindest in den USA die Menschen bereit sind, sich auf ernsthafte Weise mit den gegenwärtigen und zukünftigen Möglichkeiten der Keimbahntherapie auseinanderzusetzen. Einige der Ideen, die während der Veranstaltung entwickelt wurden, waren besonders interessant.

Bereiche, die auf eine Keimbahntherapie zusteuern

Allgemein ging man davon aus, daß die Hauptfrage nicht ist, ob Eingriffe in die menschliche Keimbahn überhaupt stattfinden werden, sondern wie und wann dies geschehen wird. Die grundsätzlichen Entdeckungen, die die Technik ermöglichen, werden gemacht, gleich ob wir sie aktiv anstreben oder nicht, weil sie aus der tief in der normalen Wissenschaft eingebetteten Forschung kommen und nicht direkt auf die Keimbahntherapie zielen. Vier bestimmte Bereiche spielen dabei eine Rolle, die jeweils von ihrer eigenen mächtigen Dynamik vorangetrieben werden:

  1. Medizin Die somatische Gentherapie, die nicht auf Geschlechtszellen ausgerichtet ist und deren Manipulationen daher nicht an künftige Generationen weitergegeben werden, wurde eingelietet von French Anderson und anderen. Auch wenn sie nicht zu wichtigen neuen Krankheitsbehandlungen geführt hat, finden sich beträchtliche Begeisterung und finanzielle Unterstützung zur Weiterführung der vielen von ihr eröffneten Möglichkeiten. Gentherapie ist ein neuer Ansatz zur Behandlung bislang unheilbarer Krankheiten, und vieles, was hier an Technik entwickelt wird, wird auch auf Keimzellen anwendbar sein.
  2. Fruchtbarkeitsforschung Als Louissa Brown mithilfe einer In-Vitro-Befruchtung 1979 geboren wurde, nannte man sie ein "Retortenbaby". Damals gab es wegen dieser "gefährlichen" Technik viele Bedenken. IVF ist aber jetzt zur klaren Option für Zehntausende von Paaren geworden, die auf andere Weise keine Kinder bekommen können, und die Erfolgsquote ist in einigen Kliniken mehr als 40 Prozent pro Zyklus, also höher als bei der natürlichen Empfängnis. Erstaunlich viel Energie wird für die Verbesserung und Erweiterung der IVF aufgewendet, weil die Gesellschaft als ganze sich nicht der Ausdehnung der Reproduktionsmöglichkeiten auf unfruchtbare Paare widersetzt. Letztlich wird die Keimbahntherapie einfach nur ein Zusatz zu dieser Technik sein.
  3. Das Human Genome Project Gleich ob dieses Projekt in den nach der ursprünglichen Zeitvorgabe noch verbleibenden sechs oder in drei Jahren realisiert wird, wie dies vor kurzem vom Institute for Genomic Research (TIGR) angekündigt wurde, so ist klar, daß die Ergebnisse die Biologie und die Medizin revolutionieren werden. Das Aufdecken der Einzelheiten der menschlichen Genetik wird die Grundlage für die gesamte künftige Gentherapie schaffen und eine Vielzahl von verlockenden Möglichkeiten für Eingriffe in die Keimbahn und in somatische Zellen bereitstellen.
  4. Tierforschung Der jüngst erfolgte Fortschritt in der angewandten Molekulargenetik und Reproduktionsbiologie wurde sowohl von der Laborforschung in akademischen Institutionen auf der ganzen Welt als auch von der Arbeit in Unternehmen vorangetrieben, um billigere Medikamente herzustellen, Getriedesorten zu verbessern und neue Viehrassen herzustellen. Viele der daraus entstandenen Ergebnisse, die bereits Durchbrüche wie schockierende Mäuse, Klonen und künstliche Chromosomen erzielt haben, werden auf Menschen anwendbar sein.

Einfach zu sagen: "Gemacht wird, was gemacht werden kann", überzeugt nicht, weil man eine Menge nicht macht, was man machen könnte. Doch läßt sich schwer glauben, daß man etwas, das Menschen auf der ganzen Welt leicht und billig machen können und das auch von vielen Menschen mit Geld gewünscht wird, nicht gemacht werden sollte. In der nicht allzu weit entfernten Zukunft wird sich die Keimbahntherapie genau so situieren: sie wird in Hunderten von Laboratorien auf der ganzen durchführbar sein, und es wird genetische Eingriffe geben, die viele als begehrenswert betrachten.

Dieser Gedanke der Unvermeidbarkeit sollte jedoch durch die Erkenntnis ausbalanciert werden, daß ein weit verbreiteter Einsatz der Keimbahntherapie und anderer fortgeschrittenen Reproduktionstechniken langsam erfolgen wird. Es ist ein weiter Weg von der ersten Forschung zu gängigen klinischen Methoden, die breit angewendet werden können. Zwanzig Jahre nach Beginn der IVF bei Menschen, gibt es in den USA nur 10000 Geburten mit dieser Methode, was einem von 400 Babies entspricht. Solche Verfahren bleiben für viele Jahre teuer und schwierig. Es wird mindestens eine Generation während der Zeit leben, in der das Verfahren sicher und verläßlich ist, und derjenigen, in der so weitverbreitet verfügbar ist, daß sie nicht mehr nur eine Handvoll von Menschen betrifft. Mario Capecci traf ins Schwarze, als er sagte, daß wir immer überschätzen, was in fünf Jahren möglich sein wird, und unterschätzen, was in 25 Jahren möglich sein wird. Unsere Blindheit gegenüber unvorhergesehenen Komplikationen mit neuen Techniken geht mit unserer Unfähigkeit zusammen, die dramatischen Durchbrüche vorwegzunehmen, die große Hindernisse überwinden werden.

Therapie oder Verbesserung

Wir werden mehrere Jahrzehnte Zeit haben, um uns zu entscheiden, wie wir am besten damit umgehen. Wir können nicht wissen, welche Probleme der Keimbahntherapie am größten sein werden, weil wir nicht wissen, wie sich die Technik entwickelt. Doch wenn die Probleme einmal klar sind, wird es Zeit genug geben, sich auszudenken, wie man mit ihnen umgeht. Zweifellos enthält die Keimbahntherapie riesige Möglichkeiten und Probleme, aber bevor sie konkreter werden, können wir sie nicht vernünftig regulieren. Es ist an der Zeit, die anfänglichen Möglichkeiten zu diskutieren und zu erkunden, aber nicht die ungewisse Zukunft abzuwürgen. Sich vorzustellen, daß wir die Konsequenzen dieser Technik jetzt sehen, geschweige denn beurteilen könnten, wäre ein gefährlicher Irrglaube.

Eine gewohnte Auseinandersetzung über die Gentechnik bei Menschen betrifft die Unterscheidung zwischen Therapie und Verbesserung, doch diese Unterscheidung wird nie eindeutig sein. Das Altern ist hierfür ein gutes Beispiel: Wenn es uns gelingt die Genetik des Alterns soweit aufzudecken, daß wir diesen Prozeß mit verschiedenen Genen hinauszögern können, die auf einem künstlichen Chromosom untergebracht sind, das in die Keimbahn plaziert wird, dann wäre dies ganz offensichtlich eine Verbesserung der Keimbahn, aber zugleich auch eine Keimbahntherapie - eine Prävention für verschiedene altersabhängige Krankheiten. Dieselbe Logik gilt auch für den Krebs. Wenn wir uns gegen Krebs impfen könnten, wäre das eine Verbesserung, aber gleichzeitig auch eine Therapie - eine Prävention gegen eine der größten Todesursachen. Beide Beispiele sind wesentlich "therapeutische Verbesserungen", und die meisten der in der unmittelbaren Zukunft denkbaren Eingriffe in die Keimbahn werden auf die eine oder andere Weise auch therapeutisch sein.

Formen der Keimbahntherapie

Es lassen sich zwei verschiedene technische Wege zur Keimbahntherapie beschreiten. Erstens die homologe Ersetzung, also die Veränderung eines bestehenden Gens in einem bestehenden Chromosom. Einen solcher Eingriff, den man schon fast realisieren kann, wird man wahrscheinlich aber bei Menschen nicht durchführen, da er schlicht nicht mit einfacheren Techniken wie dem Test vor der Implantation oder der Embryselektion konkurrieren kann. Warum sollte man Keimbahntherapie verwenden, um ein falsches Gen zu korrigieren, wenn man einen Embryo implantieren kann, der für eine richtige Version dieses Gens ausgewählt wurde? Das wurde bereits bei Eltern durchgeführt, bei denen das Risiko bestand, daß sie ein Kind mit Blasenentzündung bekommen.

Die zweite Methode, die von John Campell "doppelte Addition" genannt wurde, besteht aus der Einführung zusätzlicher Gene in einem zusätzlichen Chromosom in die Zelle. Dieses Verfahren wird, besonders bei multiplen Genen, billiger, sicherer und flexibler als die homologe Ersetzung sein. Weil es keine Interferenz mit den Genen einer Zelle gibt, würde die doppelte Addition mit geringerer Wahrscheinlichkeit zu unerwünschten Störungen der Zusammenhänge zwischen ihnen führen. Idealerweise würde in das Ei ein stabiles künstliches Chromosom mit einer Reihe von Dockingstellen eingeführt, das jeweils mit einer eigenen unabhängigen Kassette an Genen gefüllt werden kann. Rudimentäre Chromosomen dieser Art wurden bereits entwickelt, und verschiedene Firmen versuchen, sie zu verbessern.

Das Arsenal von getesteten Genkassetten, die sich auf diese Weise eingeführen lassen, könnte schließlich riesig groß werden. Eine von John Campbell vorgeschlagene Einführung stellt ein gutes Beispiel für die daraus sich ergebenden Möglichkeiten dar. Sein Vorschlag einer genetische Prävention von Prostatakrebs erfordert zwei Gene. Das erste Gen kodiert einen Ecdyson-abhängigen Transkriptionsfaktor, der die Expression des zweiten Gens steuert, und wird selbst von Transkriptionkontrollen gesteuert, die es nur in ektodermen Zellen der Prostata anschalten (diese Prostatazellen können zu Krebszellen werden). Daher ist der vom ersten Gen erzeugte Transkriptionsfaktor nur in der Prostata vorhanden, und dieser Faktor, der die Expression des Gens zum Zellsuizid ermöglicht, ist nur in der Anwesenheit von Ecdyson aktiv. Wenn dieses Selbstmordgen angeschaltet ist, erzeugt es ein Toxin und tötet die Zelle, in der es sich befindet, doch ein Mensch käme nur dann in Kontakt mit Ecdyson (ein Insektenpheremon), wenn es ihm injiziert wird. Wenn also jemand mit dieser Genkassette die Diagnose erhält, daß er Prostatakrebs hat, könnte er eine Dosis Ecdyson nehmen, um eine genaue zelluläre Operation in seiner Prostata auszulösen, die dort alle ektodermalen Krebszellen abtötet.

Mit derselben Methode ließen sich auch Brustkrebs und anderen Krebsformen behandeln. Sie ist nicht so weit entfernt, wie man vielleicht glaubt, denn jeder einzelne Schritt in diesem Verfahren wurde bereits an Tieren getestet. Natürlich würde es unvorhersehbare Komplikationen, vielleicht ein anderes exogenes Signal als Ecdyson oder eine elegantere Weise geben, gezielt das Gen zum Zellsuizid zu aktivieren. Entscheidend dabei ist, daß ganz neue Behandlungsverfahren mit der Keimbahntherapie möglich sind.

Somatische Therapie und Keimbahntherapie

Eine zentrale Idee, die während des UCLA-Symposiums aufkam, war, daß die Keimbahntherapie möglicherweise einfacher sein könnte als eine somatische Gentherapie. Ein Grund dafür ist, daß sie außerhalb des Körpers stattfindet, was eine größere Kontrolle und einen wesentlich leichteren Zugang zum Zellkern erlaubt. Ein weiterer Vorteil ist, daß Veränderungen der Keimbahn nicht besonders wirksam sein müssen, weil sie in der gesamten Zellkultur verifiziert werden können, bevor man einen menschlichen Embryo entstehen läßt. Wenn eine erwünschte Veränderung auf korrekte Weise nur in einer von einer Million Zellen geschieht, dann reicht dies aus, weil diese eine Zelle ausgewählt und in einer Zellkultur vermehrt werden kann. Mit einem künstlichen Chromosom könnte jede beabsichtige Veränderung bei Mäusen oder Schimpansen getestet werden, bevor sie in menschliche Zellen eingeführt wird. Ein solcher Test wäre entscheidend, um die Sicherheit und Verläßlichkeit zu erreichen, die wir bei der Humanmedizin verlangen.

Der Eingriff in die Keimbahn wird sich schließlich tiefgreifend von der heute praktizierten somatischen Therapie unterscheiden. Das Ziel der somatischen Therapie ist das physische Einbringen eines veränderten Gens in ein bestimmtes Gewebe, ohne daß es irgendwo anders hingelangt. Das ist sinnvoll bei zugänglichen Gewebszellen wie bei der Lungenschleimhaut (Zystofibrose) oder bei weißen Blutzellen (ADA-Mangel), aber die meisten Gewebe sind nicht ohne weiteres zugänglich. Wie gelangt man beispielsweise gezielt zum Herzmuskel oder zu Zellen in der Prostata? Wenn man den Blutkreislauf verwendet, dann führt dies zu sehr schwierigen Zielproblemen, wenn die Expression auf ein bestimmtes Gewebe beschränkt werden soll. Daher ist das Problem, Gene wirksam einzubringen, der somatischen Gentherapie inhärent.

Mit der Keimbahntherapie werden Genveränderungen automatisch in jede Körperzelle kopiert, und Transkriptionskontrollen müssen sicherstellen, daß die Gene nur am richtigen Ort und zur richtigen Zeit ausgedrückt werden. Die Steuerung und Kontrolle unserer Gene ist die "natürlichste" Art der praktizierten Gentherapie, weil so auch unser Körper arbeitet. Die Unterschiede zwischen unseren Haut- und Muskelzellen entstehen nicht aus Unterschieden in den Genen, die sie enthalten, sondern aus unterschiedlichen Expressionsweisen der Gene. Wenn eingebrachte Gene wirksam kontrolliert werden sollen, müssen sie von DNA-Kontrollabschnitten begleitet werden, weswegen künstliche Chromosomen mit ihrer riesigen Kapazität solch vielversprechende Übertragungsmittel zu sein scheinen.

Unbegründete Voraussetzungen der Kritik an der Keimbahntherapie

Viele ethische Bedenken über die Keimbahntherapie werden erhoben, als wäre es gleichgültig, wie diese Technik realisiert wird. Aber das ist keineswegs egal. Ethische Infragestellungen der Keimbahntherapie beruhen oft auf unbegründeten Annahmen, wie sie ausgeführt werden kann.

Beispielsweise wurde implizit vorausgesetzt, daß es von den Menschen, in deren Keimbahn Veränderungen vorgenommen werden, keine "vorherige Einwilligung" erfolgen könne. Doch ein Eingriff wie die weiter oben beschriebene Prävention gegen den Prostatakrebs läßt tatsächlich eine solche Einwilligung zu, weil die eingebrachten Gene solange inaktiv bleiben, bis sie von einem exogenen Signal eingeschaltet werden. Obgleich also der Embryo seine Gene unter der Leitung seiner Eltern erhalten hat, kann er als Erwachsener entscheiden, ob er sie aktivieren will. Ein Mann mit einem Prostatakrebs könnte sich dafür entscheiden, die zuvor beschriebene genetische Umwandlung nicht zu aktivieren und stattdessen auf andere Behandlungen vertrauen. Diese "verschobene Einwilligung" ist mit der richtigen Realisierung der Keimbahntherapie möglich, zumindest bei Eingriffen, die nur im Erwachsenenalter aktiv werden.

Ein noch wichtigeres ethisches Problem war die Vererbung. Wieder einmal wurde unterstellt, daß die Keimbahn-Veränderung praktisch durch ihre Definition vererbbar sein müßte. Aber Eingriffe in die Keimbahn können so geschehen, daß sie nicht vererbt werden. Mario Capecci stellte ein Cre-lox-Rekombinationsverfahren vor, bei dem ein künstliches Chromosom in Geschlechtszellen seine Centromeren in Reaktion auf ein exogenes Signal verlieren würde, wodurch sie nicht auf die nächste Generation übertragen werden. Das würde die Keimbahntherapie in eine "somatische Ganzkörpertherapie" verwandeln, also in eine somatische Therapie der ersten Embryozelle. John Campbell und ich haben diese Art einer nicht-verbbaren Keimbahntherapie als "genomische Erweiterung" bezeichnet, weil sie im wesentlichen das Genom eines einzelnen Menschen erweitert.

Dieses Verfahren wird wahrscheinlich sehr wichtig werden, weil die Vererbbarkeit für die Veränderungen der Keimbahn, wie man sie sich heute vorstellt, eine unerwünschte Eigenschaft wäre. Man muß wohl kaum erwähnen, daß niemand einen Fehler an die nächste Generation weiterzugeben wünscht. Interessanterweise aber wollen manche auch Verbesserungen nicht weitergeben. Die Empfänger auch der am besten hergestellten Chromosomen werden erst zwanzig oder dreißig Jahre nach ihrer Geburt Kinder wollen. Ihre einst auf der Höhe der Zeit befindliches künstliches Chromosom wird dann hoffnungslos veraltet sein, und sie werden ihren Kindern die neuesten Genkassetten und künstlichen Chromosomen geben wollen. Das unterscheidet sich nicht sehr von verbesserter Software: Man wird einfach die neue Version verlangen.

Sicherheit und Verläßlichkeit

Während des UCLA-Symposiums in diesem März stellte ich eine kritische Frage: "Würden Sie, wenn Sie aus einem Grund, der völlig unabhängig von der Keimbahntherapie ist, ein Kind durch In-Vitro-Fertilisation bekommen und ihr Geburtshelfer Ihnen anbietet, ein künstliches Chromosom mit Genen hinzuzufügen, das die Lebenserwartung ihres Kindes um ein oder zwei Jahrzehnte verlängert, dieses Chromosom hinzufügen?" Unter der Bedingung eines sicheren und verläßlichen Verfahrens bejahten zwei Drittel der Zuhörer diese Frage, ein Handvoll lehnte dies ab und der Rest gab keine Antwort. Wenn die Technik sich so entwickelt, daß sichere und überzeugende Genkonstrukte verfügbar sind, werden viele Menschen sie haben wollen.

Um nicht nur eine isolierte Keimbahntherapie bei Menschen zu haben, sind zwei Dinge erforderlich: überzeugende Genkonstrukte und ein Übertragungsvehikel, das diese sicher und verläßlich in den Embryo transportiert. Bevor es das nicht gibt, werden nur sporadisch einzelne Eingriffe stattfinden, doch ihrer Verantwortung bewußte Mediziner werden die Technik nicht einsetzen. Es ist nicht klar, wie sicher ein solches Verfahren sein muß, bevor es praktiziert wird, aber eine absolute Sicherheit ist sicherlich zu viel verlangt, weil auch die Alternative - die natürliche Befruchtung - ein riskanter und schwieriger Vorgang ist. Die natürliche Befruchtung verwendet man offensichtlich dann, wenn man an die Sicherheit denkt, aber 75 Prozent der natürlich befruchteten Embryos werden niemals geboren.

Künstliche menschliche Chromosomen scheinen das beste Mittel zu sein, um Verläßlichkeit und Sicherheit zu gewährleisten. Wenn man das Ausmaß der Forschungsarbeit bedenkt, die in die Verbesserung der verschiedenen, bereits entwickelten rudimentären Chromosomen investiert wird, so scheint es möglich zu sein, daß es innerhalb eines Jahrzehnts ein verläßliches Transportvehikel für menschliche Genkassetten, das im Laboratorium sorgfältig getestet und erfolgreich bei Mäusen und Primaten eingesetzt wurde, geben wird.

Die zweite Notwendigkeit für eine Keimbahntherapie sind genetische Konstrukte, die Menschen überzeugend finden. Es ist schwierig zu sagen, wann es sie geben wird, aber im Hinblick auf die gewaltigen Energien, die in die somatische Gentherapie und in die Vollendung des Human Genom Project investiert werden, ist es wahrscheinlich, daß es solche Konstrukte ebenfalls in einem Jahrzehnt geben wird. Letztlich ist jede Genmanipulation, die über eine somatische Gentherapie für Krebs, AIDS oder anderen Erkrankungen entwickelt wurde, auch auf die Keimbahn übertragbar, und man wird im Zuge der Entwicklung der Genchip-Technik Allele, die mit bestimmten Eigenschaften in der Population verbunden sind, entdecken. Die ersten Eingriffe in die Keimbahn mit einer breiten Attraktivität werden aber wohl im Hinblick auf das Altern erfolgen. Aufgrund ihres Wesens muß die Keimbahn-Genttechnik auf den körperlichen Zustand der Erwachsenen ausgerichtet sein, die sinnvoll vor der Befruchtung anzizipiert werden können. Krebs ist eine dieser Verfassungen, aber die Bedrohung durch Krebs verblaßt im Vergleich zu den Anschlägen auf die Gesundheit, die mit dem Altern einhergehen.

Wie immer die Menschen auch mit der ihnen zuerteilten Lebenserwartung zufrieden sein mögen, so kann man sich nur schwer vorstellen, daß die Nachfrage nach einem genetischen Eingriff in die Keimbahn, der auf vernünftige Weise das Altern verzögert, nicht gewaltig groß sein wird. Wir wissen noch nicht, ob das Altern leicht zum Gegenstand einer genetischen Manipulation werden kann, aber es gibt Hinweise aus der Forschung an Fruchtfliegen und Nematoden, daß dies der Fall ist. Innerhalb von zehn oder zwanzig Jahren sollten wir die Antwort kennen, und sie wird natürlich wichtige Voraussetzungen für die Keimbahntherapie mit sich bringen.

Grundlagen der Diskussion

Wohin geht also die Reise von diesem Punkt aus? Weitere Forschungen wären hilfreich, um hinsichtlich der Keimbahntherapie besser zwischen Phantasie und Wirklichkeit unterscheiden zu können. Die Diskussion wurde zu sehr von phantastischen Vorstellungen als von den therapeutischen Möglichkeiten bestimmt, die unmittelbar vor uns liegen. Es wäre ein schwerer Fehler, wenn wir jetzt versuchen würden, die ferne Zukunft dieser Technik in 50 oder 100 Jahren zu gestalten. Die künftigen Möglichkeiten sind noch zu undeutlich, weswegen wir uns auf unsere Kinder und Enkel verlassen müssen, um dieses Zeitalter der Gentechnik dann durch Entscheidungen in den Griff zu bekommen, die für sie am besten ihren Bedürfnissen gerecht werden. Wir sollten uns hingegen auf die Vorteile und Gefahren konzentrieren, die unmittelbar vor uns liegen. Es ist nicht vernünftiger, wenn wir versuchen sollten, die Entscheidungen unserer Kinder hinsichtlich der Keimbahntherapie zu bestimmen, als wenn die Menschen zur Zeit der Wright-Brüder versucht hätten, die heutige Luftfahrtindustrie zu steuern.

Ein Eingriff, der auf die Veränderung des menschlichen Genoms gerichtet ist, darf nur zu präventiven, diagnostischen oder therapeutischen Zwecken und nur dann vorgenommen werden, wenn er nicht darauf abzielt, irgendeine Veränderung des Genoms von Nachkommen herbeizuführen.

Artikel 13 aus der Bioethik-Konvention des Europarates

Aber es ist entscheidend, daß wir jetzt eine ernsthafte, breit angelegte und wohlbegründete Diskussion über die Möglichkeiten und Gefahren zu beginnen führen, die eine Gentherapie der Keimbahn mit sich bringen wird. Diese Technik kann schneller da sein, als wir uns dies vorstellen. Und um kluge Entscheidungen treffen zu können, dürfen wir uns nicht, wie dies beim Klonen der Fall war, überraschen lassen.

Verschiedene Taktiken könnten erheblich zu einem wachsenden Bedenken der Keimbahntherapie beitragen. Um einen realistischen Eindruck von den Möglichkeiten und Problemen dieser Therapie zu gewinnen, wäre es sinnvoll, die Ausarbeitung von konkreten Forschungsansätzen zu unterstützen, um sie überprüfen zu können. Bei der amerikanischen Recombinant Advisor Commission (RAC) könnte man mit Vorschlägen zur somatischen und zur Keimbahntherapie beginnen. In Deutschland könnte eine offenere Erkundung der Möglichkeiten der Gentechnik beim Menschen einsetzen. In der heutigen Welt bedeutet der unilaterale Versuch eines Landes, diesen Schlüsselbereich der Forschung zu blockieren, lediglich, dessen Ausgestaltung der Rest der Welt zu überlassen.

Notwendig ist eine breit angelegte Überprüfung der kritischen Fragen, die durch gentechnische Eingriffe in die menschliche Keimbahn entstehen. Wir stecken unsere Köpfe in den Sand. Die schwierigste, problematischste und provokativste Folge des Human Genome Project stellen die Möglichkeiten dar, die es für das Herumbasteln in unserem genetischen Bauplans mit sich bringt, um unser genetetisches Design zu verändern. Wir müssen überlegen, wie wir sicherstellen können, daß die Verfahren der Gentechnik sicher und verläßlich sind, und jenen zur Verfügung stehen, die sie wollen, und wie wir ihren Mißbrauch erkennen und minimieren können. Womit wir uns beschäftigen müssen, ist nicht die Frage, ob gentechnische Eingriffe in die Keimbahn erfolgen sollen, sondern wie, wann, wo, für wen und in welchem Umfang sie angewandt werden sollen.

Die plötzliche Erkenntnis, daß das "Klonen von Menschen" uns nahe bevorsteht, hat eine Vielzahl von Reaktionen ausgelöst, um dies zu verhindern. Das Klonen von Menschen ist äußerst wichtig als Symbol: es hat die Aufmerksamkeit dafür geschaffen, daß die Menschheit mehr verändern wird als das Land, das sie bewohnt. Die mächtigen Techniken, die wir entwickeln, wirken auf uns selbst zurück und dringen in die privatesten und intimsten Aspekte unseres Lebens ein. Wir werden zu Gegenständen bewußter Gestaltung. Ob das Klonen von Menschen verboten werden sollte oder nicht, wird kaum einen Einfluß auf diese kritische Transformation ausüben, weil die Biotechnologie auf breiter Front voranstürmt. In den meisten Ländern gibt es starke Kontrollen, um ein unverantwortliches Experimentieren mit Menschen zu erschweren oder gar zu verhindern, und die Strafandrohung läßt jedes vorzeitige Klonen von Menschen in den USA äußerst unwahrscheinlich werden. Es ist allerdings kein Verbot des Klonens notwendig, um die Welt vor der Verbreitung von verdoppelten Menschen zu bewahren, und wenn ein derartiges Gesetz vorgeschlagen wird, sollte es sich zumindest auf die "Herstellung eines menschlichen Klons" richten und explizit vermeiden, jede Grundlagenforschung zu verbieten.

Eine Reihe von Ängsten gegenüber der Keimbahntherapie sind angesprochen worden. Eine der größten ist, daß sie die Welt dramatisch verändern wird, indem sie für unser Leben wichtige Grenzpfähle zerstört und ethische sowie emotionale Probleme schafft, für die wir nicht gerüstet sind. Diese Angst ist weder unvernünftig, noch trifft sie allein auf gentechnische Eingriffe in die Keimbahn zu. Die Technik schwemmt uns mit sich und verändert unsere Welt so tiefgreifend, daß viele Aspekte des menschlichen Lebens in einem Jahrhundert völlig anders sein werden. Fortschritte in der Genetik und der Medizin können die menschliche Reproduktion in großem Ausmaß verändern, aber Entwicklungen in der Telekommunikation und der Künstlichen Intelligenz werden sich auf uns ebenso stark auf andere Weise auswirken.

Wir greifen in Bereich ein, die bislang außerhalb unserer Herrschaft standen, und wir können uns nur begrenzt an der Vergangenheit orientieren. Die Menschheit ist aus ihrer Kindheit herausgetreten und erwachsen geworden, und sie muß ihre wachsende Macht anerkennen und für sie Verantwortung übernehmen. Wir haben keine andere Wahl. In vielen Bereichen beginnen wir, Gott zu spielen, und können nicht mehr zurück. Manche schlagen vor, eine Pause einzulegen, bis wir weise genug sind, um weiter vorangehen zu können. Doch selbst wenn dies möglich wäre, würde dies ein vergeblicher Versuch sein. Wir werden die Weisheit zum Treffen kluger Entscheidungen über unsere neu gewonnenen Möglichkeiten nicht finden, wenn wir ängstlich versuchen, sie zu vermeiden, sondern nur indem wir uns auf dem Weg nach vorne tasten, Neues ausprobieren und Informationen sammeln, Fehler begehen und auf sie reagieren sowie uns ganz entschlossen um einen kollektiven Entscheidungsprozeß über unser weiteres Voranschreiten bemühen.

In unserem Innersten werden wir davon geängstigt, daß ein totalitäres Regime die Keimbahntherapie mißbrauchen könnte. Doch dasselbe Risiko gibt es bei jeder Technik, weil die Gefahr politisch und nicht technisch ist. Die Keimbahntherapie wird zu kompliziert und schwierig sein, um sie auf der gesellschaftlichen Ebene einzusetzen. Es gibt weitaus direktere und wirksamere Mittel für Despoten, um ethnische oder religiöse Gruppen zu vernichten. Die eugenischen Programme Hitlers waren nur ein kleiner Teil des Bösen, das er der Welt gebracht hat. Einfach nur mächtige Techniken voller Möglichkeiten zu vermeiden, weil wir uns vorstellen, sie könnten von Tyrannen mißbraucht werden, ist ein gefährlicher Weg.

Eine andere Sorge angesichts der Eingriffe in die Keimbahn ist, daß sie nur den Reichen möglich sein werden und daher die Armen und Benachteiligten weiter zurückfallen lassen. Diese Sorge ist teilweise auf einem Mißverständnis begründet, wie die Technik sich entwickelt. Sicher, zu Beginn werden diese Techniken schwierig und teuer sein, aber wenn sie ausgereift sind, werden sie der breiten Öffentlichkeit offenstehen. Das Fernsehen ist dafür ein triviales, aber sehr anschauliches Beispiel. Das beste Fernsehgerät, das sich der reichste Mensch der Welt vor einer Generation kaufen konnte, kann in keiner Weise an die heutigen billigen Massenprodukte heranreichen. Die gentechnischen Verfahren werden sich auf dieselbe Weise entwickeln, und die Kluft zwischen den Armen und Reichen der einen Generation wird gegenüber dem Abgrund zwischen dieser Generation und der nächsten winzig sein. Die ersten Benutzer dieser Technik werden sicher diejenigen sein, die so reich, gierig und wagemutig sind, um sie an sich selbst anzuwenden. Wer könnte für eine derartige Forschung und Entwicklung besser geeignet sein als gut informierte und flüssige Freiwillige, die so offensichtlich außerhalb der Zwänge der Ökonomie und der Regierung stehen?

Die zwischen den Generationen existierenden Abgründe, die durch die Keimbahntherapie entstehen, werde eine gewaltige Herausforderung darstellen, aber man sollte sie nicht mit den stereotypen Aufteilungen von gesellschaftlichen Klassen verwechseln. Die größte Kluft könnte sich zwischen den Menschen eröffnen, die die Idee einer menschlichen Evolution durch die Gentechnik begrüßen, und jenen, die sie aus philosophischen oder religiösen Gründen ablehnen. Seltsamerweise könnte die Keimbahntherapie Kulturen, Menschen und Familien die Möglichkeit anbieten, ihre Philosophien über die menschliche Evolution körperlich zu manifestieren, weil die Menschen sich schließlich zwischen dem biologischen Stillstand und dem biologischen Fortschritt entscheiden müssen.

Die fundamentale Herausforderung der Keimbahntherapie wurde während der Podiumsdiskussion an der UCLA am besten von James Watson formuliert, als er sagte: "Und noch etwas anderes, weil niemand den Mut hat, es zu sagen ... Wenn wir bessere Menschen aus dem Wissen heraus machen könnten, wie wir neue Gene hinzufügen, warum sollten wir es dann nicht machen?"

Aus dem Englischen übersetzt von Florian Rötzer

Dieser Artikel ist eine umgearbeitete Version des Artikels mit demselben Titel, der in dem Buch "Der analysierte Mensch" (Jahrbuch für Recht und Technik Bd. 7, Duncker & Humboldt) 1999 erscheinen wird.