Umprogrammierung des Lebens
Zum Vortrag von Gregory Stock
Gregory Stock ist das fleischgewordene Klischee des 68er-Professors; auf den ersten Blick jedenfalls. Sein Gesicht versteckt er hinter einem dichten dunkelblonden Bart. Er ist nachlässig-unauffällig gekleidet, er spricht reflektierend-langsam und eher leise.
Stock lehrte in Princeton und an der University of California in Los Angeles, wo er die erste internationale Konferenz für Keimzellen-Engineering organisierte. Doch er schrieb auch den vergleichsweise populären Bestseller Metaman: The Merging of Humans and Machines into a Global Superorganism. Was er an diesem Samstagmorgen seinem elitären Silicon-Valley-Publikum verkündet, hat jedenfalls nichts von dem trockenen Erkenntnisbrei, den man von der Mehrheit seiner dozierenden Kollegen kennt.
Zu lange, beginnt Stock, habe sich der Mensch in dramatischer Selbstüberschätzung eingebildet, die Krone der Schöpfung zu sein. Doch die Evolution sei keineswegs am Ende. Im Gegenteil, sie trete nunmehr in eine beschleunigte Phase: Der Homo sapiens beginne mit seiner Selbst-Evolutionierung. Gezielte Veränderungen des menschlichen Erbgutes - somatische, nicht vererbbare Manipulationen auf der Ebene des Individuums wie auch Keimzelleneingriffe - seien nur noch wenige Jahre entfernt.
Und mit Sicherheit seien sie unaufhaltbar, denn gesetzliche Verbote würden wenig Wirkung zeigen, selbst wenn sie weltweit in Kraft träten - was nicht sehr wahrscheinlich sei, denn in einer Demokratie reiche schließlich eine signifikante Minderheit, um die Verabschiedung von einschränkenden Gesetzen zu verhindern. Entscheidend aber sei, daß die Gentechnik, verglichen etwa mit der Nukleartechnik, auf simplen und billigen Verfahren beruhe, die unter bescheidenen Bedingungen praktiziert werden können. Menschliches Genmaterial sei im Überfluß vorhanden und die Grenze zur Krankheitsbekämpfung zudem äußerst fließend - und die werde man kaum verbieten wollen, da für sie in der Bevölkerung Zustimmungsraten von 80 bis 90 Prozent existieren.
Die erste somatische Gentherapie wurde 1990 durchgeführt, 1996 gab es bereits 1500 Patienten, die mit genetischen Eingriffen behandelt wurden, 70 Prozent davon in den USA. Gentechnik ist ein 200-Milliarden-Dollar-Geschäft. Erste kommerzielle Anwendungen zeichnen sich ab: Milch mit menschlichen Hormonen, Organzüchtungen. Das Fernziel sei aber schlicht die Umwandlung der Menschheit selbst - zu einem Objekt von Design und Hacking. Schon heute, im Jahr, das uns bereits Dolly, Polly und das erste künstliche Chromosom bescherte, schicke man sich in Dutzenden von US-Laboren an, das Programm des Lebens wie jede andere Software zu behandeln und schrittweise zu verbessern.
"Natürlich ist es immer einfacher, neuen Code zu schreiben als an altem herumzubasteln, den man nicht so genau überblickt", sagt Stock, Autor auch eines erfolgreichen Programms für elektronisches Banking. Er sehe die größten Fortschritte daher in der Produktion ganz neuer Chromosomen. "Es wird bald Menschen geben, die 47 haben, oder 48, 49. Wieviel eben gebraucht werden, um unsere körperlichen und intellektuellen Fähigkeiten zu steigern."
"Wenn ich mich dann um einen neuen Job bewerbe", meint einer aus dem Publikum, "werde ich also nicht mehr nur meine Ausbildung und Erfahrungen angeben, sondern auch die Version meiner Chromosomen? Daß ich, sagen wir, Version 3.01 bin? Oder Generation 98.xx?"
"Sicher", lächelt Stock, "das wird Ihnen bei bestimmten Aufgaben einen Vorsprung gegenüber Leuten verschaffen, deren genetisches Programm nicht up-to-date ist. Wie auch ganze Gruppen, aufgeklärte soziale Schichten oder biologisch deregulierte Nationen, im Vorteil sein werden gegenüber konservativen Gemeinschaften, die zur künstlichen Evolution nicht bereit sind oder sie gar verbieten. Der normale darwinistische Ausleseprozeß eben ..."
Aber werde sich dagegen nicht sozialer und staatlicher Widerstand regen? Natürlich, nickt Stock, gebe es, vor allem in Europa, den Einwand, derartige Genmanipulationen bedeuteten das Ende der Welt, wie wir sie kennen. "Meine Antwort darauf: Gut so. Oder mit den Worten, die James Watson, Mitentdecker der DNA, mal in Deutschland gebrauchte: 'Gene an sich sind nicht böse, und Hitler ist auch tot.'"
Außerdem könne man die ganze Problematik des Keimzellen-Engineering einfach umgehen, indem man auf vererbbare Eingriffe verzichte und die Umprogrammierung der Gene erst nach der Zeugung beginne. "Gewissermaßen eine Ganzkörperersetzung ausgehend von der ersten Zelle." Ein solches Verfahren sei nicht nur politisch opportun, sondern biete technische Vorteile. In der Software-Produktion gebe es nun einmal keinen Stillstand, weshalb es nicht wünschenswert sei, über Jahrzehnte hinweg dieselbe Version von Menschheit zu produzieren.
"Die neuen Chromosomen müssen nicht vererbbar sein. Warum auch? Keiner wird die veraltete Software an seine Kinder weitergeben wollen. Statt dessen wird man für jede Generation jeweils das neueste Programm haben wollen."
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